Mehr zu:
Hongkong / SingapurCoronavirus / Investitionsklima
Wirtschaftsumfeld
Bericht Wirtschaftsumfeld Hongkong Coronavirus
Anscheinend wird die Krise zum neuen Normalzustand. Enttäuschte Expatriates verlassen die zunehmend unter Stress stehende Metropole und ziehen unter anderem nach Singapur.
02.03.2020
Von Roland Rohde | Hongkong
Mit dem Slogan “Hongkong works“ hat die selbst ernannte Weltmetropole viele Jahre lang und zu Recht für sich geworben. Doch Anfang 2020 klingt die Phrase etwas beschönigend. Tatsächlich funktioniert in der Sonderverwaltungsregion (SVR) seit der Jahresmitte 2019 manches nicht mehr.
Zunächst legten Demonstrationen und Auseinandersetzungen weite Teile der Innenstadt und der Infrastruktur lahm. Geschäftsreisende mussten Reisen und Termine verlegen. Konferenzen und Meetings wurden abgesagt, weil sich Teilnehmer aus China nicht mehr sicher fühlten. Die Proteste hatten starke antichinesische Tendenzen angenommen.
Auch die zahlreichen in Hongkong lebenden Ausländer mussten mit deutlichen Einschränkungen leben. Über Monate konnte man am Wochenende nicht zum Shoppen, Essen oder Feiern in die Innenstadt fahren, weil sich dort Polizei und Demonstranten Gefechte lieferten. So etwas kannte man in der ehemaligen britischen Kolonie nur noch aus Geschichtsbüchern.
Doch als sich Weihnachten 2019 näherte, flauten die Demonstrationen ab. Für kurze Zeit kehrte wieder so etwas wie Normalität ein. Die Schonzeit währte allerdings nur wenige Wochen, da tauchte eine neue Krise auf: Im benachbarten China grassierte das sogenannte Coronavirus (COVID-19). Dort legte es weite Teile des wirtschaftlichen und sozialen Lebens lahm.
In Hongkong erinnerte man sich sofort an die letzte Gesundheitskrise. Die SARS-Epidemie, deren Erreger mit dem derzeitigen Coronavirus eng verwandt ist, kostete 2003 fast 300 Menschen das Leben. Anscheinend war die Bevölkerung davon noch derart traumatisiert, dass sie mit panikartiger Angst reagierte.
Die Regierung, die während der vorhergegangenen politischen Krise den Rückhalt großer Teile der Bevölkerung verloren hatte, wollte nun alles richtigmachen. Sie schloss, der Forderung der Mehrheit der Bürger folgend, die Grenze zu China fast komplett. Alle Großveranstaltungen – dabei ist Hongkong ein wichtiger Messestandort – wurden abgesagt. Schulen und Universitäten wurden bis zum Ende der Osterferien, also für insgesamt rund drei Monate, geschlossen.
Die Maßnahmen müssen angesichts der Faktenlage als voreilig und restriktiv bezeichnet werden. Ende Februar 2020 zählte die SVR lediglich 90 Krankheitsfälle und zwei Todesopfer infolge des Coronavirus. Im gleichen Zeitraum waren 110 Personen der saisonalen Grippe erlegen. Zudem dürfte laut Einschätzung von Medizinern die Sterblichkeitsrate des neuen Erregers, wenn man die vielen nichtgemeldeten Krankheitsfälle berücksichtigt, nicht viel höher als bei der schweren Influenza-Epidemie von 2018/19 liegen.
Die Schließung von Schulen für drei Monate rief bei den meisten in Hongkong lebenden Expatriates großes Unverständnis hervor. Vielen Familien bereitet diese Maßnahme Probleme. Einige versuchten, ihre Kinder in Europa oder Nordamerika kurzzeitig einzuschulen, was sich aber als sehr schwierig bis unmöglich erwies.
Für einige ist das Maß nun endgültig voll. Wenn die Krise zur neuen Normalität geworden ist und der Staat seinen ureigenen Verpflichtungen nicht mehr nachkommt, schauen sie sich nach neuen Standorten um. Für eine Stadt, die von Kapital, Firmen und Fachkräften aus dem Ausland lebt, ist das eine verhängnisvolle Entwicklung.
Der Name Singapur fällt immer öfter, wenn sich in Hongkong lebende und arbeitende Ausländer unterhalten. Die ersten von ihnen sind bereits 2019 in den südostasiatischen Stadtstaat gezogen. Weitere dürften im Verlauf des Jahres 2020 folgen. Die Regierung agiert in der Coronavirus-Krise mit ungewöhnlich ruhiger Hand. Sie setzt auf Aufklärung und situationsangepasste Maßnahmen. Obwohl es dort bei kleinerer Bevölkerung etwas mehr Coronavirus-Fälle als in der SVR gab, blieben die Schulen geöffnet.
Noch verlassen die Menschen Hongkong nicht in Scharen. Doch für jene, die 2020 turnusgemäß wegziehen, dürften deutlich weniger Nachfolger kommen. Der eigentliche Lackmustest für die SVR wird allerdings nach dem Abklingen der Epidemie stattfinden. Sollte es wieder zu massenhaften Protesten und Streiks kommen, dann steigt die Metropole wohl in die zweite Liga ab. Der Immobilienmarkt hat den Abstiegskampf bereits eingepreist. Die Mieten und Häuserpreise befinden sich seit dem Herbst 2019 praktisch im freien Fall.
Weitere Informationen zu Wirtschaftslage, Branchen, Geschäftspraxis, Recht, Zoll, Ausschreibungen und Entwicklungsprojekten können Sie auf der Länderseite Hongkong abrufen.
In einem Themenspecial untersucht Germany Trade & Invest die Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft in Asien.