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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | Indien | Investitionen aus China
Weniger chinesische Investitionen und Importe und mehr lokale Produktion - so soll Indiens Wirtschaft selbstständiger werden. Für viele Unternehmen bedeutet das aber höhere Kosten.
09.07.2020
Von Boris Alex | Berlin
Indiens Regierung will die Wirtschaft des Landes neu ausrichten. Im Zuge der Coronakrise wurde die in vielen Schlüsselbranchen starke Importabhängigkeit - insbesondere von China - deutlich. Als Reaktion darauf hatte Premierminister Narendra Modi im Mai 2020 die Devise Aatmanibhar Bharat, selbstständiges Indien, ausgegeben. Ziel ist es, die lokale Wertschöpfung in Schlüsselindustrien zu erhöhen und das Land so weniger anfällig für Störungen in den globalen Lieferketten zu machen.
Durch den im Juni 2020 erneut aufgeflammten Grenzkonflikt entlang der seit Jahrzehnten umstrittenen Line of Actual Control (LAC) im Himalayagebiet zwischen Indien und China, hat dieser Plan auch eine noch stärkere politische Dimension erhalten. Indien zielt jetzt vor allem auf eine Entkopplung der eigenen Wirtschaft von China ab. In den letzten Wochen wurden von indischer Seite Maßnahmen ergriffen, um den Einfluss chinesischer Unternehmen auf dem Subkontinent einzudämmen.
Zum einen sollen chinesische Investitionen eingeschränkt werden. Im April 2020 hatte Indiens Regierung beschlossen, dass Foreign Direct Investment (FDI) aus Staaten mit einer Landgrenze zu Indien von dem beschleunigten Genehmigungsverfahren im Rahmen der Automatic Route, bei der es keiner Zustimmung durch die indische Zentralbank Reserve Bank of India (RBI) bedarf, ausgenommen sind.
Zeitungsberichten zufolge stehen 50 FDI-Vorhaben chinesischer Firmen auf dem Prüfstand. Im Bundesstaat Maharashtra wurden drei Projekte mit einem Investitionsvolumen von umgerechnet 600 Millionen Euro vorübergehend auf Eis gelegt, darunter auch ein 450 Millionen Euro schweres Investment von Great Wall Motors. Der Autobauer möchte in einem ehemaligen Werk von General Motors in der Nähe von Pune Sport Utility Vehicle (SUV) und Elektrofahrzeuge für den indischen Markt montieren und hatte angekündigt, in den nächsten Jahren 900 Millionen Euro in die Pkw-Fertigung sowie in Forschung und Entwicklung investieren zu wollen.
Für viele Start-ups könnten die neuen FDI-Beschränkungen den Zugang zu Wagniskapital erschweren. Chinesische Tech-Konzerne und Beteiligungsgesellschaften haben ihr Engagement in Indien in den letzten Jahren ausgebaut und sind inzwischen an einigen großer Start-ups beteiligt. Ursprünglich wollte der zur Alibaba Group gehörende Finanzinvestor Ant Tech 150 Millionen US-Dollar (US$) in den indischen Lieferdienst Zomato investieren. Aufgrund der neuen FDI-Regeln muss das Investment aber erst von der Reserve Bank of India genehmigt werden. Auch andere Start-ups befürchten, von frischem Kapital abgeschnitten zu werden.
Indien will aber nicht nur Investitionen aus China erschweren, sondern auch die Beteiligung chinesischer Unternehmen an Infrastrukturprojekten zurückdrängen. Im Juli 2020 hatte die Regierung angekündigt, Joint Venture mit chinesischen Partnern von Straßenbauvorhaben auszuschließen. Bereits vergebene Projekte sollen neu ausgeschrieben werden, falls Bieter aus China dabei zum Zuge gekommen sind. Die Beschränkungen könnten auf andere Bereiche wie Kraftwerksbau und Schienenverkehr ausgeweitet werden, so die Aussage des Ministeriums für Straßenverkehr.
Als dritte Maßnahmen will Indien die Einfuhr von chinesischen Gütern beschränken und durch lokal gefertigte oder aus anderen Ländern importierte Produkte substituieren. Die Regierung hat die Wirtschaftsverbände aufgefordert, Listen zu erstellen, bei welchen Erzeugnissen Indien in den nächsten zwei bis drei Jahren von chinesischen Importen unabhängig werden könnte.
Im Mittelpunkt stehen Waren, bei denen die Importabhängigkeit von China besonders hoch ist, wie Vorprodukte für die Pharmaindustrie, elektronische Bauteile, Elektrohausgeräte und Unterhaltungselektronik, Kraftwerkstechnik sowie Telekommunikationsausrüstung. Bei den letztgenannten Segmenten ist Indien bereits einen Schritt weiter: Mit der Begründung, dass durch den Einsatz chinesischer Ausrüstung die nationale Sicherheit gefährdet sei, sollen die Hersteller bei öffentlichen Ausschreibungen im Kraftwerksbau sowie zum geplanten Mobilfunknetz der 5. Generation (5G) benachteiligt oder ganz ausgeschlossen werden.
Auf der elektronischen Plattform für das öffentliche Beschaffungswesen, Government e Marketplace (GeM), müssen die Anbieter seit Kurzem das Herkunftsland sowie den Lokalisierungsgrad der dort registrierten Produkte angeben. Dabei sollen Erzeugnisse mit einem Indienanteil von mehr als 50 Prozent bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen absoluten Vorrang genießen. Die Ursprungskennzeichnung soll auch auf kommerzielle E-Commerce-Plattformen wie Amazon, Flipkart oder Paytm ausgedehnt werden.
Die Maßnahmen kommen zwar bei der Bevölkerung gut an, stellen aber die Wirtschaft vor große Herausforderungen. So hat die Entscheidung, dass sämtlich Container aus China in den indischen Häfen manuell vom Zoll kontrolliert werden müssen, dazu geführt, dass der Nachschub mit elektronischen Bauteilen stockt und die Auftragshersteller ihre Handy-Produktion drosseln müssen. Das könnte auch vielen anderen Branchen wie der Kfz- und Zulieferindustrie drohen, falls hier vergleichbare Maßnahmen ergriffen werden, die zu Störungen in den Lieferketten führt.
Im Energie- und Telekommunikationssektor befürchten die Unternehmen zudem, dass ein Verbot chinesischer Ausrüstung die Investitionskosten nach oben treibt, da kein adäquater lokaler Ersatz verfügbar ist und die Produkte aus anderen Ländern preislich über denen aus China liegen. Auf Hersteller wie Huawei und ZTE entfällt ein Viertel des indischen Markts für Telekom-Ausrüstung von rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.