Mehr zu:
Palästinensische GebieteInvestitionsklima / Außenwirtschafts-, Industriepolitik / Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | Palästinensische Gebiete | Coronavirus
Mitte Mai konnten die Palästinensischen Gebiete auf eine wirkungsvolle Eindämmung der COVID-19-Epidemie blicken. Die Wirtschaftsprognose sieht aber düster aus.
28.05.2020
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Die Zahl der bekannten Infektionsfälle in den Palästinensischen Gebieten lag Mitte Mai bei rund 550. Von diesen waren drei Viertel genesen. Die Zahl der Sterbefälle blieb mit vier gering. Dieser Erfolg war sowohl der Abschottung von den Nachbarländern als auch einheimischen Distanzierungsmaßnahmen zu verdanken.
Indessen werden die guten Nachrichten zur Rettung von Menschenleben von düsteren Berichten aus dem Wirtschaftsbereich begleitet. Laut einer Prognose des Palästinensischen Zentralamts für Statistik (Palestinian Central Bureau of Statistics - PCBS) wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020, unter der Annahme einer dreimonatigen Dauer einschneidender Distanzierungsmaßnahmen, um 13,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr sinken. Die Anfang des Jahres erstellte Basisprognose ging noch von einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent aus.
Das bedeutet, dass der wirtschaftliche Gesamtschaden der Corona-Krise auf 15,9 Prozent der potenziellen Wirtschaftsleistung des Jahres 2020 geschätzt wird. Fast die Hälfte der epidemiebedingten Wirtschaftseinbußen wird laut der Krisenprognose auf den Dienstleistungs- und Handelssektor entfallen, gefolgt von der Industrie mit 14 Prozent.
Einen regelrechten Einbruch erwartet das PCBS bei den Bruttoanlageinvestitionen, die laut der Pandemie-Prognose um 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr nachgeben werden. Zum Jahresbeginn war bei dieser Kennziffer ein Anstieg um 6 Prozent erwartet worden.
Die genannten Prognosen sind in diesem Stadium mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet. Wie in anderen Ländern, bleiben die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise in erheblichem Maße von der tatsächlichen Entwicklung der Erkrankungszahlen in den kommenden Monaten abhängig.
Zudem wird die Wirtschaftsentwicklung der Palästinensischen Gebiete von der Erholung der benachbarten israelischen Wirtschaft von der Corona-Krise beeinflusst. Das gilt vor allem für Warenexporte, die 2018 nach den jüngsten verfügbaren Daten zu 84 Prozent nach Israel gingen, und für die Beschäftigung bei israelischen Arbeitgebern. Dennoch steht in jedem Fall fest, dass 2020 für die palästinensische Wirtschaft ein sehr schweres Jahr wird.
Wenn es auf dem Höhepunkt der Abwehrmaßnahmen gegen Corona dennoch einen gewissen Lichtblick gab, so war es ein Nachfrageschub, dem sich die Textilindustrie im Gaza-Streifen gegenübersah. Textilhersteller in dem durch anhaltende Blockade verarmten Landstrich, konnten bedeutende Beschäftigungs- und Umsatzzuwächse durch die Herstellung von Schutzmasken und Schutzkleidung, inklusive Handschuhen, für die Bekämpfung der Corona-Epidemie – auch für israelische Kunden – verbuchen.
In einer Situation, in der Israel Überlegungen über eine Neugestaltung seiner Lieferketten anstellt, nicht zuletzt mit Blick auf einen Abbau der Abhängigkeit von China, zeigt sich, dass der Warenkauf in den Palästinensischen Gebieten dem Land eine höhere Versorgungssicherheit für eine Reihe von Erzeugnissen bieten kann. Ob das zu einer Intensivierung der Lieferbeziehungen führt, wird jedoch, wie stets im israelisch-palästinensischen Verhältnis, nicht zuletzt von der Politik abhängen.