Wirtschaftsumfeld | Russland | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Lohnkosten
Inflation und Fachkräftemangel zwingen Russlands Arbeitgeber zu Lohnerhöhungen. Die Personalfluktuation bleibt hoch. Deutsche Firmen stehen als Arbeitgeber hoch im Kurs.
27.07.2021
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Der Fachkräftemangel zwingt Russlands Arbeitgeber zur Anhebung ihres Gehaltsniveaus. Rund zwei Drittel der Unternehmen sind bereit, im Jahr 2021 die Löhne ihrer Angestellten zu erhöhen, ergab eine Umfrage der Personalagentur Kelly Services. Die Steigerung liegt im Schnitt bei 4 bis 6 Prozent. Auch Boni werden wieder gewährt.
Lohnsteigerungen können Inflation oft nicht kompensieren
Der Durchschnittslohn im Land wird 2021 nominal um 9,1 Prozent auf rund 56.000 Rubel (etwa 638 Euro) steigen, schätzt das Wirtschaftsministerium in seiner aktualisierten Prognose von Mitte Juli 2021. Ab 2022 ist mit einem nominalen Wachstum der Gehälter um jährlich 6,6 Prozent zu rechnen. Bis 2024 steigen sie voraussichtlich auf rund 68.000 Rubel. Der monatliche Mindestlohn wird ab 1. Januar 2022 von derzeit 12.792 Rubel (rund 145 Euro) auf 13.617 Rubel angehoben. Die Maßnahme betrifft 4,7 Millionen Arbeitnehmer.
Die Inflationsrate von 6,5 Prozent auf Jahresbasis (Stand: Juni 2021) macht einen Großteil der Lohnerhöhungen für viele Arbeitnehmer jedoch wieder zunichte. Im Pandemiejahr 2020 musste ein Drittel der Arbeitnehmer Gehaltseinbußen hinnehmen, meldet die Recruiting-Agentur Hays. Ein weiteres Drittel konnte das nominale Einkommensniveau halten. Rund 30 Prozent erhielten mehr Geld, darunter Mitarbeiter in den Bereichen IT und Telekommunikation, Gesundheitswesen, Transport und Logistik, sowie im Onlinehandel und der Baubranche. In der Unterhaltungsbranche, im Hotel- und Gastgewerbe, sowie im Gewerbeimmobilienmarkt gab es hingegen Einkommensrückgänge.
Entwicklung der durchschnittlichen Bruttomonatslöhne
2018 | 2019 | 2020 | 2021 1) | |
---|---|---|---|---|
nominal (in Rubel) | 43.445 | 47.867 | 51.083 | 56.000 |
nominal (in Euro) 2) | 587 | 661 | 618 | - |
nominale Veränderung (in %) 3) | 11,0 | 10,2 | 6,7 | 9,6 |
jährliche Inflationsrate (in %) 4) | 3,9 | 3,8 | 4,9 | 5,7 - 6,2 |
Durchschnittliche Bruttomonatslöhne nach Region
2020 (in Rubel) | Veränderung 2020/19 (in %) 1) | 2020 (in Euro) 2) | |
Landesdurchschnitt | 51.083 | 6,7 | 618 |
Gebiet Magadan (Hochlohnregion) | 102.397 | 7,8 | 1.237,9 |
Autonomer Bezirk Tschukotka (Hochlohnregion) | 121.314 | 12,8 | 1.466,6 |
Autonomer Bezirk der Jamal-Nenzen (Hochlohnregion) | 110.759 | 9,1 | 1.339,0 |
Moskau (Hochlohnregion) | 95.719 | 6,1 | 1.157 |
Gebiet Iwanowo (Niedriglohnregion) | 28.165 | 4,5 | 340,5 |
Republik Tschetschenien (Niedriglohnregion) | 29.611 | 6,8 | 358,0 |
Republik Kabardino-Balkarien (Niedriglohnregion) | 29.908 | 9,8 | 361,6 |
Durchschnittliche Bruttomonatslöhne nach Branchen
2020 (in Rubel) | Veränderung 2020/19 (in %)1) | 2020 (in Euro)2) | |
Insgesamt | 47.468 | 7,5 | 573,8 |
Bauwirtschaft | 43.547 | 1,6 | 526,4 |
Energiewirtschaft | 52.880 | 5,3 | 639,3 |
Bergbau | 94.898 | 6,5 | 1.147,2 |
Verarbeitendes Gewerbe | 46.201 | 4,4 | 558,5 |
.darunter: | |||
.Herstellung von Nahrungsmittel | 37.182 | 5,9 | 449,5 |
.Herstellung von Getränken | 45.382 | 3,0 | 548,6 |
.Textilindustrie | 28.908 | 8,3 | 349,5 |
.Holzindustrie | 30.394 | 2,5 | 367,4 |
.Papierindustrie | 50.764 | 6,1 | 613,7 |
.Chemische Industrie | 56.836 | 4,3 | 687,1 |
.Gummi- und Kunststoffindustrie | 37.761 | 5,3 | 456,5 |
.Maschinenbau | 47.135 | 6,2 | 569,8 |
.Metallurgie | 56.979 | 6,6 | 688,8 |
.Computer, Elektronik und Optik | 56.637 | 2,2 | 684,7 |
.Elektrotechnik | 45.847 | 2,1 | 554,2 |
.Fahrzeugbau | 46.585 | 2,3 | 563,2 |
.Reparatur und Montage von Maschinen und Ausrüstungen | 51.696 | 3,6 | 625,0 |
.Einzel- und Großhandel; Reparatur von Fahrzeugen | 42.410 | 7,2 | 512,7 |
Hotels und Gaststätten | 26.851 | -5,9 | 324,6 |
Transport und Lagerung | 52.820 | 2,8 | 638,5 |
Informations- und Telekommunikationstechnik | 84.948 | 9,6 | 1.026,9 |
Gesundheitswesen und Sozialdienstleistungen | 49.402 | 14,5 | 597,2 |
Finanzwesen, Banken, Versicherung | 112.301 | 7,8 | 1.357,6 |
Immobilienbranche | 38.213 | 2,8 | 462,0 |
Durchschnittliche Bruttomonatslöhne nach ausgewählten Positionen
2021 (in Rubel) | 2021 (in Euro) 2) | |
Geschäftsführerin 1) | 500.000 – 1.800.000 | 5.583 – 20.100 |
Niederlassungsleiterin | 400.000 - 850.000 | 4.467 – 9.492 |
Direktorin Geschäftsentwicklung | 320.000 – 800.000 | 3.573 – 8.934 |
Produktionsleiterin | 130.000 – 220.000 | 1.452 – 2.457 |
Supply Chain Managerin | 330.000 – 800.000 | 3.685 - 8.934 |
Programmiererin | 130.000 – 300.000 | 1.452 – 3.350 |
Sekretärin mit Fremdsprachenkenntnissen | 120.000 – 170.000 | 1.340 – 1.898 |
Buchhalterin | 70.000 – 150.000 | 781 – 1.675 |
Kraftfahrerin | 80.000 – 110.000 | 893 – 1.228 |
Produktivität verharrt auf niedrigem Niveau
Die Arbeitsproduktivität in russischen Betrieben beträgt nur rund die Hälfte im Vergleich zur Europäischen Union. Viele Ursachen sind hausgemacht: Zahlreiche russische Arbeitgeber investieren wenig in die berufliche Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Bei den meisten Arbeitnehmern endet der Lernprozess nach der Schule oder Universität. Statt selbst Fachkräfte auszubilden, werden diese oftmals von der Konkurrenz abgeworben. Ausbildungsstand und berufliche Tätigkeit klaffen häufig auseinander. Bei 45 Prozent der Angestellten stimmt die Qualifikation nicht mit den an sie gestellten Anforderungen überein, ermittelte die Boston Consulting Group.
Mehrere deutsche Firmen decken ihren Fachkräftebedarf in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer und ihrem Programm zur dualen Berufsausbildung.
Deutsche Arbeitgeber überzeugen mit Kontinuität
Jedes dritte Unternehmen in Russland kämpft mit einer hohen Personalfluktuation. Jobhopping, der Wechsel zur Konkurrenz für ein etwas höheres Gehalt, ist nach wie vor weit verbreitet. Rund jeder fünfte Arbeitnehmer suchte sich 2020 einen neuen Arbeitgeber. Deutsche Unternehmen setzen hingegen meist auf personelle Stabilität und punkten bei Arbeitnehmern mit der Verlässlichkeit, auch in Krisenzeiten Löhne pünktlich zu zahlen.
Personalchefs aus Deutschland sollten bei Einstellungsgesprächen lokale Besonderheiten kennen. Russische Bewerber nennen bei ihren Gehaltsvorstellungen üblicherweise den Nominallohn. Dieser beinhaltet die 13 Prozent Einkommensteuer, die vom Arbeitnehmer abzuführen sind, nicht aber die Sozialabgaben von etwa 30 Prozent, für die allein der Arbeitgeber aufkommt. Die Pandemie verändert den Prozess der Personalsuche. Online-Interviews mit Kandidaten werden von der Ausnahme zur Regel.
Ausländische Unternehmen zahlen für Personal im mittleren bis höheren Management oftmals höhere Gehälter als russische Arbeitgeber. Damit werden meist notwendige Zusatzqualifizierungen, wie Fremdsprachenkenntnisse (Deutsch oder Englisch), vergütet. Generell setzen Firmen in Russland aus Kostengründen verstärkt auf einheimisches Personal und ersetzen Expatriates aus Europa.
Weitere Lohnbestandteile
In Russland erhalten Arbeitnehmer eine stärker leistungsbezogene Entlohnung als in Deutschland. Generell gilt: Je höher ein Mitarbeiter, insbesondere eine Führungskraft, in der Hierarchie steht, desto umfangreicher sind die zusätzlichen Lohnbestandteile.
Während Dienstwagen dem Top-Management vorbehalten sind, zählt eine vom Arbeitgeber finanzierte private Krankenzusatzversicherung zu den festen Bestandteilen eines Arbeitsvertrages. Wer gemäß der Tätigkeitsbeschreibung mobil erreichbar sein muss, bekommt ein Mobiltelefon gestellt. Arbeiter oder einfache Angestellte erhalten als Zusatzleistungen meist Verpflegungszuschüsse sowie private Unfall- und Rentenversicherungen. Weitere Lohnbestandteile können Firmendarlehen, Mitarbeiterrabatte und Fortbildungen sein.
In Unternehmen mit Schichtbetrieb müssen Zuschläge von 20 Prozent für jede Nachtarbeitsstunde gezahlt werden, wenn die Lohnarbeit zwischen 22:00 und 6:00 Uhr geleistet wird. Dabei handelt es sich um den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestsatz, der innerhalb eines Unternehmens kollektivvertraglich auch höher ausfallen kann.
Mehrarbeit, die über die vertraglich beziehungsweise tariflich festgelegte Arbeitszeit um bis zu zwei Stunden hinausgeht, muss generell mit einem Zuschlag von mindestens 50 Prozent auf den Normalsatz vergütet werden. Dauert die Mehrarbeit länger als 2 Stunden, wird ein Zuschlag von mindestens 100 Prozent auf den Normalsatz gewährt. Unterliegt der Arbeitstag keinen zeitlich festgelegten Normen, kommt diese Regelung nicht zur Anwendung.
Der Arbeitgeber kann Mitarbeitern freiwillig einen Bonus auszahlen, der abhängig vom Jahresergebnis nach individueller Leistung gestaffelt ist. In Arbeitsverträgen für Führungskräfte wird häufig ein 13. (und gegebenenfalls weiteres) Monatsgehalt vereinbart, dessen Auszahlung meist vom Erreichen der Umsatzziele abhängig ist.
Sozialversicherungsbeiträge
Sozialabgaben machen in Russland rund ein Drittel des Bruttogehalts aus.
Sozialbeiträge 2021 (in Prozent der Bemessungsgrundlage)
Rentenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 22,0 |
Krankenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 5,1 |
Abgabe für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Mutterschaftsschutz (Arbeitgeberanteil) | 2,9 |
Arbeitslosenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 0 |
Sonstige Versicherungen (Arbeitgeberanteil) | 0 |
Erläuterungen zu Beitragsbemessungsgrenzen | bis zu 912.000 Rubel Bruttojahresgehalt für Sozialversicherung, bis zu 1.150.000 Rubel Bruttojahresgehalt für Rentenversicherung1), der darüber liegende Gehaltsanteil wird mit 10% versteuert |