Dieser Inhalt ist relevant für:
Saudi-ArabienWirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | Saudi-Arabien | Staatshaushalt
Die angekündigten Sparmaßnahmen zur Haushaltskonsolidierung könnten die Wirtschaftskrise Saudi-Arabiens verschärfen. Ein neuer Defizitrekord wird aber so möglicherweise vermieden.
25.05.2020
Von Robert Espey | Dubai, Riad
Die Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise beschränken sich im Wesentlichen auf Überbrückungshilfen für notleidende Privatunternehmen. Das Hilfspaket, das die Zentralbank (Saudi Arabian Monetary Authority/SAMA), der National Development Fund und das Finanzministerium geschnürt haben, wird mit 32 Milliarden US-Dollar beziffert.
Die Zentralbank will im Rahmen des "Privat Sector Support Program" den Geschäftsbanken Liquidität sichern, um Stundungen von Kreditrückzahlungen mit einem Gesamtvolumen von 8 Milliarden US$ zu ermöglichen. Ferner sollen Neukredite von 3,5 Milliarden US$ fließen. Zudem will die Zentralbank Kreditgarantien in Höhe von insgesamt 1,6 Milliarden US$ übernehmen. Die Leitzinsen wurden gesenkt.
Über den National Development Fund sollen zusätzliche Mittel an die Social Development Bank, den Human Resource Fund, den Saudi Industrial Development Fund und den Agriculture Development Fund fließen. Zielgruppe sind hier kleine und mittlere Unternehmen. Das Finanzministerium hat die Aussetzung verschiedener Gebühren angeordnet. Steuern und Abgaben (Mehrwertsteuer, Einkommensteuer, Zollabgaben etc.) dürfen drei Monate verzögert gezahlt werden.
Die Sozialversicherung (GOSI) bietet seit April für im Privatsektor beschäftigte Saudi-Araber ein "Kurzarbeitergeld" an. Befristet für drei Monate zahlt die Arbeitslosenversicherung 60 Prozent des Lohns (Höchstbetrag: 2.400 US$). Die Mittel für das "Kurzarbeitergeld"-Programm sind auf 2,4 Milliarden US$ begrenzt.
Kategorien | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 1) | 2020 2) |
Einnahmen | 163 | 139 | 184 | 241 | 247 | 222 |
.Öl | 119 | 89 | 116 | 163 | 162 | 137 |
.Nicht-Öl | 44 | 50 | 68 | 78 | 85 | 85 |
Ausgaben | 267 | 221 | 248 | 288 | 283 | 272 |
.laufende Ausgaben | 211 | 186 | 193 | 238 | 237 | 226 |
.investive Ausgaben | 56 | 36 | 55 | 50 | 46 | 46 |
Defizit | -104 | -83 | -64 | -46 | -35 | -50 |
Defizit (BIP-Anteil) | 15,8 | 12,9 | 9,2 | 5,9 | 4,5 | 6,4 |
BIP (Milliarden US$) | 654 | 645 | 689 | 787 | 793 | 774 |
Neben Überbrückungs-/Liquiditätshilfen will die Regierung aber offensichtliche keine größeren Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung in der Nach-Corona-Phase ergreifen. Im Vordergrund steht vielmehr die Begrenzung des Haushaltsdefizits. Seit 2014 schreibt der Haushalt rote Zahlen. Das Defizit erreichte 2015 mit 104 Milliarden US$ (BIP-Anteil: 15,8 Prozent; Bruttoinlandsprodukt) einen Höhepunkt und konnte bis 2019 auf 35 Milliarden US$ (4,5 Prozent) gesenkt werden. Aufgrund des stark eingebrochenen Ölpreises und der gesenkten Fördermenge droht nun für 2020 ein neuer Defizitrekord.
Etwa 66 Prozent der Staatseinnahmen entfielen 2019 auf den Ölsektor. Der 2019 erzielte durchschnittliche Ölpreis betrug 66 US$. Im April 2020 lag der Durchschnitt bei unter 20 US$, im Mai könnten es immerhin 25 US$ werden. Saudi-Arabien förderte in den ersten vier Monaten 2020 durchschnittlich 10,3 Millionen bpd (barrel per day). Aufgrund der ab Mai 2020 geltenden OPEC+ Förderquoten darf Saudi-Arabien im Mai/Juni nur noch 8,5 Millionen bpd fördern und ab Juli 9,0 Millionen bpd. Saudi-Arabien hat angekündigt, im Juni nur 7,5 Millionen bpd zu produzieren. Würde ab Juli wieder gemäß der Förderquote produziert, ergäben sich 2020 im Jahresdurchschnitt 9,3 Millionen bpd (2019: 9,8 Millionen bpd).
Die Öleinnahmen könnten sich 2020 gegenüber 2019 mehr als halbieren, das wäre ein Einnahmeausfall von 80 Milliarden US$ oder mehr. Auch die Nicht-Öleinnahmen dürften infolge der Wirtschaftskrise spürbar zurückgehen. Ohne Ausgabenkürzungen gegenüber dem im Dezember 2019 vorgestellten Budget 2020 ergäbe sich ein Defizit von 110 Milliarden bis 120 Milliarden US$. Bei einer angenommenen Schrumpfung des nominalen BIP um 15 Prozent würde dieser Fehlbetrag einem BIP-Anteil 16 bis 18 Prozent entsprechen.
Die Regierung will nun das Haushaltsdefizit durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer (MwSt) von 5 auf 15 Prozent (ab Juli) sowie durch Sparmaßnahmen bei laufenden und investiven Ausgaben begrenzen. Nach Einschätzung des Finanzministeriums wird die MwSt-Anhebung (ab Juli) aber nicht zur Erhöhung der MwSt-Einnahmen führen, sondern aufgrund des sinkenden Konsums lediglich Mindereinnahmen kompensieren.
Das vom Finanzministerium am 11. Mai vorgestellte Sparpaket hat ein Volumen von 27 Milliarden US$. Bei Regierungsorganisationen sollen laufende und investive Ausgaben gestrichen, gekürzt oder auf folgende Jahre verschoben werden. Gleiches gilt für Projekte, die im Rahmen der "Vision Realization Programs" (Vision 2030) durchgeführt werden, sowie für Mega-Projekte (das "Red Sea" Tourismusprojekt, die "Entertainment City Qiddiya" im Raum Riad, die Expansion des Moschee Komplexes in Mekka etc.).
Zusätzlich sollen die Einkommen der im öffentlichen Sektor beschäftigten Saudiaraber gekürzt werden. Die seit 2018 als Ausgleich für die Einführung der MwSt und den Subventionsabbau an die saudiarabischen Beschäftigten des öffentlichen Sektors gezahlte "Cost of Living Allowance" in Höhe von monatlich 267 US$ entfällt ab Juni. Die 1,5 Millionen im Staatsdienst tätigen Saudi-Araber entsprechen 46 Prozent der gesamten saudiarabischen Erwerbstätigen. Als weiterer Schritt zur Senkung der Personalkosten sollen auch andere im öffentlichen Sektor gewährte "Benefits" überprüft werden.
Saudi-Arabien hatte zwischen 2005 und 2014 die Staatsverschuldung von 123 Milliarden US$ beziehungsweise 37,3 Prozent des BIP auf sehr geringe 12 Milliarden US$ beziehungsweise 1,6 Prozent reduziert. Der Ölpreiseinbruch 2014 brachte dann die Trendwende. Für Ende 2019 meldet das Finanzministerium eine Verschuldung von 181 Milliarden US$ (BIP-Anteil: 22,8 Prozent).
Im April 2020 erklärte Finanzminister Mohammed Al-Jadaan, zusätzlich zur ursprünglich für 2020 geplanten Kreditaufnahme in Höhe von 32 Milliarden US$ seien zusätzliche 27 Milliarden US$ erforderlich. Damit könnte die Staatsverschuldung auf 240 Milliarden US$ ansteigen, was einer BIP-Quote von etwa 36 Prozent entsprechen würde. Es ist geplant, die bisher geltende Verschuldungsobergrenze von 30 Prozent des BIP auf 50 Prozent anzuheben.
Ende März 2020 erreichte die Staatsverschuldung 193 Milliarden US$, davon entfielen 107 Milliarden US$ auf lokale Kreditgeber und 86 Milliarden US$ auf ausländische. Bis 2015 hatte sich die Regierung ausschließlich bei lokalen Kreditgebern verschuldet.