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Wirtschaftsumfeld | Taiwan | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Die Stimmung auf dem lokalen Arbeitsmarkt hat sich 2020 eingetrübt. In einigen Bereichen klagen Unternehmen über Schwierigkeiten, adäquates Personal zu rekrutieren.
20.07.2020
Von Alexander Hirschle | Taipei
Noch zu Jahresbeginn 2020 sah die Lage auf dem Arbeitsmarkt recht positiv aus: Nach Angaben des Directorate General of Budget, Accounting and Statistics (DGBAS) erreichte im Dezember 2019 die saisonbereinigte Arbeitslosenquote 3,7 Prozent - bei Männern 3,8 Prozent und bei Frauen 3,6 Prozent. Übergreifend stieg die Rate damit im Jahresvergleich um marginale 0,01 Prozentpunkte.
Überdurchschnittlich hoch war die Arbeitslosenquote in der jungen Bevölkerungsgruppe zwischen 15 und 24 Jahren mit 11,7 Prozent. Zwischen 45 und 64 Jahren waren hingegen nur 1,9 Prozent der Menschen ohne Arbeit. Die Erwerbsquote lag übergreifend bei 59,2 Prozent.
Bevölkerung (in Mio.) | 23,6 |
Erwerbspersonen (Bevölkerung älter als 15 und jünger als 65 Jahre, in Mio.) | 17,0 |
Erwerbstätige (in Mio.) | 11,9 |
Arbeitslosenquote, offizielle (in %, nach ILO-Definition) | 3,7 |
Analphabetenquote (in %) | 1,0 |
Universitätsabschluss (in %) | 36,2 |
Im Januar 2020 planten zahlreiche Firmen noch Neueinstellungen. Besonders positiv waren die Prognosen in Bezug auf das Restaurant-, Hotel- und Freizeitgewerbe. Dort sahen fast 97 Prozent der Firmen die Rekrutierung von neuen Beschäftigten im 1. Quartal 2020 vor. Doch der Ausbruch des Coronavirus traf vor allem diese Branchen sehr stark.
Taiwan konnte die Coronakrise zwar medizinisch mit nicht einmal 500 Infizierten bis Ende Juni 2020 sehr gut in den Griff bekommen - doch wirtschaftlich ging sie nicht spurlos an den Unternehmen der Insel vorüber. Die konjunkturelle Dynamik lässt nach. Die offizielle Wachstumsprognose der Regierung für 2020 wurde von ursprünglich 2,7 Prozent um etwa 1 Prozentpunkt nach unten revidiert. Private Finanzinstitute gehen von noch geringeren Steigerungsraten bis hin zu einer Stagnation aus. Eine starke Rezession wird jedoch nicht erwartet.
Dennoch bleibt der Arbeitsmarkt auf der Insel nicht gänzlich unberührt von den Auswirkungen der Coronapandemie. Ende April schickten knapp 1.000 meist kleine Firmen fast 20.000 Arbeitnehmer in den unbezahlten Urlaub. Die Arbeitslosenrate kletterte im Mai auf 4 Prozent; der höchste Wert für diesen Monat seit sieben Jahren. Einige Firmen machen sich dies zunutze und stellen jetzt Personal ein, da dieses in ausreichender Zahl und zu relativ moderaten Tarifen verfügbar ist.
Die Perspektiven für die Arbeitnehmer stellen sich für die nähere Zukunft nicht allzu rosig dar. So suchten im Frühjahr 2020 gemäß einer Studie des Job-Portals "1111 Job Bank" deutlich weniger Studienabgänger Vollzeitbeschäftigungen, da sie angesichts der schwachen konjunkturellen Entwicklung weniger Chancen auf eine Anstellung sahen. Andere Untersuchungen haben ergeben, dass die kurzfristigen Personalplanungen der lokalen Firmen so wenig expansiv sind wie seit elf Jahren nicht mehr.
Positive Impulse könnten von Investitionen der aus China "rückkehrenden" taiwanischen Firma herrühren. Insgesamt beliefen sich diese 2019 auf rund 23 Milliarden US-Dollar (US$), fast 60.000 Arbeitsplätze sollen dadurch auf der Insel geschaffen werden. Der Trend soll bis 2021 anhalten. Zusätzlich plant die Regierung, künftig verstärkt internationale Firmen anzulocken, die ihre Lieferketten angesichts von Corona und Handelskonflikt breiter und stabiler aufstellen wollen.
Allerdings wird es für die Firmen auf der Insel grundsätzlich schwieriger, adäquates Personal zu rekrutieren. Die "Überakademisierung" - ein Großteil der jungen Taiwaner strebt auf die Universitäten - führt zu einem Mangel an Technikern und Handwerkern. Der Ende 2019 vom Deutschen Wirtschaftsbüro (AHK) durchgeführte "Business Confidence Survey Report" kam zu dem Ergebnis, dass 19 Prozent der deutschen Unternehmen vor Ort einen Mangel an qualifizierten Beschäftigten als große Herausforderung angesehen haben.
Auf der anderen Seite wollten 65 Prozent der deutschen Firmen in Fortbildungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter investieren. Im Jahr zuvor hatte mehr als die Hälfte der Firmen angegeben, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung etablierter Arbeitskräfte mit mehr als vier Jahren Berufserfahrung zu haben. Die Suche nach Managern, Ingenieuren und Technikern sowie Verkäufern wurde von jeweils mehr als 35 Prozent der Firmen als kompliziert beschrieben.
Ein weiterer hemmender Faktor ist die niedrige Geburtenrate bei gleichzeitig starker Alterung der Bevölkerung. Gemäß Berechnungen des National Development Council hatte die Zahl der Erwerbspersonen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren mit rund 17,4 Millionen Personen im Jahr 2015 ihren Höhepunkt überschritten. Dieser Projektion zufolge wird deren Anteil an der Gesamtbevölkerung zwischen 2015 und 2065 von 74 auf 49,7 Prozent sinken.
Um die entstehende Lücke zu füllen, soll nach den Plänen der Regierung die Gesamterwerbsquote etwa durch die Anhebung des Renteneintrittsalters und eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen ausgeweitet werden. So brachte eine 2018 von der DGBAS durchgeführte Erhebung zu Tage, dass fast 2 Millionen Frauen in Taiwan aus familiären Gründen keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. Ebenso werden Veränderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen erarbeitet, um zusätzliche ausländische Beschäftigte ins Land zu holen.
Der lokale Arbeitsmarkt gilt gemäß einer Untersuchung des International Institute for Management Development im internationalen Vergleich als attraktiv. Die Insel belegte in dem Ende 2019 veröffentlichen Ranking Platz 20 und lag damit vor Südkorea, Japan und China. Dennoch droht Taiwan im Rennen um ausländische Spezialisten ins Hintertreffen zu geraten, da die Löhne im Vergleich zu den Top-Industrieländern relativ niedrig sind.
Nicht nur Ausländer, sondern selbst gut ausgebildete Taiwaner ziehen mittlerweile häufig Arbeitsplätze in anderen Ländern wie etwa den USA vor, wo zum Teil deutlich mehr verdient werden kann. Aber auch in den Metropolen Chinas sind die Gehälter für Spitzenkräfte mittlerweile deutlich höher als in Taiwan. Der Insel selbst droht in diesem Zusammenhang ein zunehmender "Brain-Drain", sprich der Verlust von gut ausgebildeten Beschäftigten.
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