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Wirtschaftsumfeld
Bericht Wirtschaftsumfeld Ukraine Außenwirtschafts-, Industriepolitik
Kiew (GTAI) - Die seit Ende August 2019 amtierende neue ukrainische Regierung hat ein Programm für 2020 bis 2024 verabschiedet. Im Fokus stehen Wirtschaftsreformen.
22.10.2019
Ende September 2019 hat die ukrainische Regierung ein Programm für 2020 bis 2024 veröffentlicht, in dem die Ziele und Prioritäten für alle Ministerien festgelegt sind. Das Programm, das am 4. Oktober vom Parlament bestätigt wurde, kann in ukrainischer Sprache unter folgendem Link abgerufen werden: https://program.kmu.gov.ua
Eine der bedeutendsten geplanten Reformen ist die Aufhebung des Landmoratoriums, das seit 2001 besteht. Zum 1. Oktober 2020 soll der Kauf und Verkauf landwirtschaftlicher Flächen freigegeben werden. Zuständig für die Umsetzung der Reform ist das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Landwirtschaft (http://www.me.gov.ua). Von dem Schritt erhofft sich die Regierung, dass die Produktivität der Agrarwirtschaft um 6 Prozent pro Jahr steigen wird.
Damit sich die Bauern den Kauf von Land leisten können, will die Regierung 2020 insgesamt 4,4 Milliarden Hrywnja (UAH; etwa 162 Millionen Euro; 1 Euro = 27,12 UAH; Wechselkurs der Nationalbank vom 10. Oktober 2019) bereitstellen. Dies soll die Zinskosten auf ein Niveau von 3 bis 7 Prozent drücken. Die Maßnahme ist jedoch auf den Kauf von Flächen bis maximal 500 Hektar beschränkt. Außerdem will die Regierung feindliche Landübernahmen ("Raider-Attacken") bekämpfen und bis Ende 2020 ein digitales Landkataster erstellen.
Zuletzt haben mehrere Fraktionen Gesetzentwürfe zur Reform des Bodenmarkts in die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, eingereicht. Das Wirtschaftsministerium selbst hat insgesamt 35 verschiedene Varianten erarbeitet, sagte Wirtschaftsminister Timofij Mylowanow. Eine davon sieht vor, das Eigentum an Land auf höchstens 0,5 Prozent der gesamten landesweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche sowie 15 Prozent innerhalb eines Gebiets (Oblast) zu beschränken.
Außerdem sollen nur Ukrainer und in der Ukraine registrierte Firmen Land kaufen können. Dieser Punkt ist insofern strittig, als auch Ausländer, die Firmen in der Ukraine gründen, Zugang zum Bodenmarkt bekämen. Nach Kritik aus Gesellschaft und Politik hat sich Präsident Wolodymyr Selenskyj deshalb jüngst dafür ausgesprochen, den Bodenmarkt für Ausländer erst ab 2024 zu öffnen.
Internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank fordern seit langem eine Bodenreform, um die Effizienz der Landwirtschaft zu erhöhen. In der Ukraine ist das Thema aber heikel. In einer Umfrage, die die Rating Group (http://ratinggroup.ua) Ende September 2019 durchgeführt hat, sprachen sich 73 Prozent gegen eine Liberalisierung des Bodenmarkts aus, nur 19 Prozent waren dafür.
Ein weiteres Ziel des Wirtschaftsministeriums ist die Wiederaufnahme der ins Stocken geratenen Privatisierung. Hunderte staatlicher Firmen sollen an private Eigner verkauft und etwa 1.000 Staatsunternehmen geschlossen werden. Landesweit gibt es rund 3.600 staatliche Firmen, von denen aber nur etwa 2.300 tatsächlich tätig sind. Viele der Firmen schreiben Verluste oder werden zur Bereicherung korrupter Politiker und Geschäftsleute genutzt.
Aktuell wird ein Verkauf von 800 kleineren Staatsfirmen über das Ausschreibungsportal ProZorro vorbereitet. Die ins Stocken geratene Privatisierung der Großbetriebe Odessa Port Plant (Düngemittel, http://www.opz.odessa.net), Krasnolimansk (Kohlebergbau, https://krasnolimanskaya.com.ua), United Mining and Chemical Company (Bergbau, https://umcc.com.ua), Elektrotyazhmash (elektrische Maschinen, Generatoren; http://spetm.com.ua) und Indar (Pharma, https://indar.com.ua) soll vorangetrieben werden. Weitere 21 Großunternehmen sollen auf die Privatisierungsliste gesetzt werden.
Geplant ist ferner, das Arbeitsrecht zu liberalisieren. Dies soll die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtern und die informelle Beschäftigung eindämmen. Bei seinem Amtsantritt hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj den 1. Januar 2020 als Frist für die Annahme eines neuen Arbeitsgesetzbuchs gesetzt.
Große Ziele hat sich auch das Infrastrukturministerium (https://mtu.gov.ua) gesteckt. Ein Schwerpunkt ist der Ausbau der Infrastruktur für die See- und Binnenschifffahrt. Der Frachtverkehr auf den Flüssen soll von 10 Millionen auf 20 Millionen Tonnen steigen, der Güterumschlag an den Seehäfen von 135 Millionen auf 148,5 Millionen Tonnen. Geplant ist, Schleusen zu modernisieren und neue Anleger für Schiffe mit einem Tiefgang von 15 Metern an den Seehäfen zu bauen.
Weitere Informationen finden Sie im Artikel "Ukraine möchte Binnenschifffahrt wiederbeleben" unter http://www.gtai.de/MKT201905288014
Die staatliche Eisenbahngesellschaft Ukrzaliznytsia (http://www.uz.gov.ua) soll in drei Gesellschaften aufgeteilt werden, darunter eine für den Betrieb der Infrastruktur sowie je eine für den Güter- und Personentransport. Der Bahnverkehr soll für private Anbieter geöffnet werden. Geplant ist, 5.000 Kilometer Gleise zu erneuern sowie in Lokomotiven und Passagierwaggons zu investieren. Ukrzaliznytsia soll in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und Teile an die Börse gebracht werden.
Ein weiterer Schwerpunkt des Infrastrukturministeriums ist die Sanierung der Straßen. Bis 2024 sollen 24.000 Kilometer Nationalstraßen erneuert und landesweit 150 automatische Waagen (Weigh-in-Motion) installiert werden.
Weitere Informationen finden Sie im Artikel "Ukraine erhöht Investitionen in den Straßenbau" unter http://www.gtai.de/MKT201905238005
Aufgrund der knappen öffentlichen Kassen ist mehr privates Engagement eine wichtige Voraussetzung für den Ausbau der Infrastruktur. Mit der Annahme des Gesetzes "Über Konzession" in zweiter Lesung am 3. Oktober 2019 wird der Weg frei für den Bau von Mautstraßen sowie den Betrieb von Häfen und Flughäfen. Nach zwei Jahren Vorbereitung ersetzt das Gesetz die bestehende Gesetzgebung im Bereich der öffentlich-privaten Partnerschaften. Geplante Pilotprojekte für Konzessionen sind der Betrieb der Häfen Olwia und Cherson sowie der Bau der Mautstraßen von Kiew nach Bila Zerkwa und von Lwiw (Lemberg) nach Krakowez an der Grenze zu Polen.
Weitere Prioritäten des Regierungsprogramms liegen auf der Verringerung der Staatsverschuldung sowie der Digitalisierung der Verwaltung und der staatlichen Dienstleistungen. Die im Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) vorgesehene Anpassung der Gesetzgebung an EU-Standards soll weiter fortgesetzt werden.
Die Reformen und die Umsetzung der geplanten Maßnahmen sollen die Wirtschaft ankurbeln. Ziel der Regierung ist ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 40 Prozent bis 2024. Hierzu beitragen soll eine deutliche Steigerung des Zuflusses an ausländischen Direktinvestitionen auf insgesamt 50 Milliarden US-Dollar (US$), gegenüber zuletzt nur rund 2 Milliarden US$ pro Jahr.
Der Analyst Alexander Paraschiy vom Investmenthaus Concorde Capital steht den Wachstumszielen skeptisch gegenüber. Er sehe in dem Dokument keine klaren Treiber, die zu einem so massiven Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen und so hohem Wachstum führen könnten. Sollte die Regierung nur die Hälfte der gesteckten Ziele erreichen, wäre dies schon ein wirtschaftlicher und finanzieller Durchbruch.
Entscheidende Voraussetzung für mehr Direktinvestitionen ist zudem, dass die Zusammenarbeit mit dem IWF fortgesetzt wird. Sie gilt als wichtiges Signal für Investoren und als Garant dafür, dass die Regierung an dem Reformkurs festhält. Zuletzt kamen die Verhandlungen mit dem IWF aber ins Stocken. Knackpunkt sind Unsicherheiten über das weitere Schicksal der Ende 2016 verstaatlichten PrivatBank. Der ehemalige Großaktionär Ihor Kolomojskyj, der Selenskyj im Wahlkampf unterstützt hatte, drängt auf eine Entschädigung oder die Rückgabe der Bank, deren Rettung den Steuerzahler mehr als 6 Milliarden US$ gekostet hat.
Weitere Informationen zu Wirtschaftslage, Branchen, Geschäftspraxis, Recht, Zoll und Ausschreibungen in der Ukraine sind unter http://www.gtai.de/ukraine erhältlich.