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Wirtschaftsumfeld | Vereinigtes Königreich | Außenhandel

"Autofaktor" prägt den deutsch-britischen Handel

Das Vereinigte Königreich rutscht im Ranking der wichtigsten deutschen Handelspartner immer weiter ab. Verantwortlich ist nicht nur der Brexit, sondern vor allem das Auto.

Von Marc Lehnfeld | London

Das Vereinigte Königreich verliert für den deutschen Warenaußenhandel immer stärker an Bedeutung. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete als erste, dass die britische Insel in diesem Jahr erstmals seit 1950 aus den Top 10 der wichtigsten deutschen Handelspartner fallen könnte.

Laut aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts ist der deutsche Warenaustausch mit dem Königreich im 1. Halbjahr 2021 um 2,3 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode zurückgegangen. Mit fast allen anderen wichtigen Handelspartnern verzeichnete Deutschland hingegen zweistellige Wachstumsraten. Insgesamt könnte das Vereinigte Königreich 2021 um drei Plätze auf den 11. Rang der wichtigsten deutschen Handelspartner abrutschen.

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Rückläufiger Außenhandel seit Brexit-Referendum 2016

Begonnen hat der Abwärtstrend im Jahr des Brexit-Referendums 2016, als das Königreich noch stabil auf Rang fünf der wichtigsten deutschen Handelspartner lag. In dem Jahr brach der bilaterale Handel um 4,6 Prozent ein, 2017 stagnierte der deutsch-britische Außenhandel. Mit einem weiteren Rückgang im bilateralen Handel in 2018 rutschte das Königreich auf den sechsten Platz und in den Folgejahren immer weiter ab.

Seit 2016 wächst der Außenhandel mit dem Vereinigten Königreich langsamer als der deutsche Warenaustausch mit der Welt insgesamt. Während der Handel mit China und Polen seit 2016 jährlich um durchschnittlich 5,7 bzw. 5,1 Prozent zulegte, schrumpfte er mit dem Vereinigten Königreich um 4,4 Prozent. Ein ähnlicher Abwärtstrend lässt sich auch im deutsch-französischen Handel beobachten.

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Der Rückgang im deutsch-britischen Handel liegt vor allem am kränkelnden deutschen Export. Die deutschen Warenimporte von der britischen Insel entwickelten sich hingegen verhältnismäßig stabil. Der deutsche Exportanteil - also der Anteil der Exporte am deutsch-britischen Außenhandel - ist von 70,7 Prozent in 2016 auf 65,7 Prozent in 2020 gesunken. 

Deutsch-britischer Warenhandel seit 2016 (nach ausgewählten Güterkategorien, Anteil und Veränderung in Prozent)

Kategorie

Anteil 2020

Veränderung der Anteile seit 2016 in Prozentpunkten

Veränderung 2020/20191)

Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate 2016-2020

Gesamt

100,0

-13,5

-4,4

"Autofaktor"2)

18,8

-7,8

-27,4

-12,3

Außenhandel ohne "Autofaktor"

81,2

7,8

-9,5

-1,9

Chemische Erzeugnisse

15,7

-0,3

-9,5

-4,9

Industriemaschinen3)

9,5

0,4

-21,7

-3,4

Verschiedene Fertigwaren

10,3

1,1

-12,2

-1,7

Sonstige Fahrzeuge4)

7,9

2,1

0,4

3,1

Elektrische Maschinen

5,6

0,5

-13,9

-2,3

Eisen, Stahl, NE-Metalle, Metallwaren5)

7,2

0,7

-9,6

-1,7

Nahrungsmittel und Getränke

5,7

0,9

-1,5

0

Sonstige

16,2

10,0

36,8

21,6

1) nominal; 2) umfasst Pkw (SITC-781), Kfz-Teile (SITC-784) und Kolbenverbrennungsmotoren (SITC-713); 3) umfasst SITC-71 bis 74; 4) umfasst Kfz ohne Pkw (SITC-78) sowie Flug-, Schienen- und Wasserfahrzeuge (SITC-79); 5) umfasst SITC-67 bis 69Quelle: Berechnungen von Germany Trade & Invest auf der Basis von Daten des Statistischen Bundesamts 2021

"Autofaktor" hemmt bilateralen Handel

Beim Blick auf die einzelnen Produktkategorien werden die Verschiebungen innerhalb des deutsch-britischen Handels deutlich. Gerade der "Faktor Automobil", also der Warenaustausch mit Pkw und Kfz-Teilen, bremst den Austausch der beiden Länder. Seit 2016 ist er im Durchschnitt um 12,3 Prozent pro Jahr eingebrochen, also stärker als der gemeinsame Außenhandel insgesamt. Besonders schwach entwickelte sich daneben auch die Gütergruppe der chemischen Erzeugnisse, vor allem die medizinischen und pharmazeutischen Erzeugnisse.

Der "Autofaktor" im deutsch-britischen Warenaußenhandel (Anteil, Veränderung und Wachstum in Prozent)

Anteil am Gesamtvolumen 2016

Anteil am Gesamtvolumen 2020

Veränderung 2020/20191)

Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate 2016-20202)

Pkw, Kfz-Teile und Motoren

26,7

18,8

-27,4

-12,3

Exporte

Pkw, Kfz-Teilen und Motoren3), darunter

21,7

15,0

-28,9

-12,7

  Pkw

17,1

11,2

-30,9

-14,1

  Kfz-Teile und Motoren

4,5

3,8

-22,3

-8,2

Importe

Pkw, Kfz-Teilen und Motoren1), darunter

5,0

3,8

-21,0

-10,7

  Pkw

3,4

2,5

-17,8

-11,4

  Kfz-Teile und Motoren

1,6

1,3

-26,5

-9,2

1) nominal; 2) Compound Annual Growth Rate (CAGR); 3) Pkw aus SITC-781, Kfz-Teile aus SITC-784, Kolbenverbrennungsmotoren aus SITC-713Quelle: Berechnung von Germany Trade & Invest auf der Basis der Außenhandelsstatistik des Statistischen Bundesamts 2021

Der Exportschlager Automobil dominiert die deutsch-britische Handelsentwicklung. Deutsche Neuwagenlieferungen machten 2020 immerhin 11 Prozent des deutsch-britischen Gesamthandels aus. Seit 2016 sanken die Ausfuhren von deutschen Neuwagen jährlich um durchschnittlich 14,1 Prozent, während auch die Neuregistrierungen auf der britischen Insel im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 11,8 Prozent pro Jahr eingebrochen sind. Das liegt einerseits am außergewöhnlich starken Jahr 2016, in dem mit 2,7 Millionen Fahrzeugen so viele Pkw wie nie auf der britischen Insel verkauft wurden. Andererseits verschiebt sich das Konsumverhalten, denn während sich seitdem der Verkauf von Elektro- und Hybridfahrzeugen verbesserte, erlebten klassische Verbrenner einen Niedergang. 

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Die Pkw-Produktion hat sich in beiden Ländern seit 2016 ähnlich entwickelt. Sowohl die deutsche als auch die britische Pkw-Herstellung erreichten 2016 ihren Zenit. Sie sind dann aber in der Folge bis 2020 insgesamt um 38,8 Prozent bzw. 46,5 Prozent eingebrochen.

Seit dem Brexit-Referendum 2016 hat der britische Automobilverband SMMT regelmäßig vor den Folgen eines No-Deal-Brexits, also eines britischen Austritts aus der Europäischen Union (EU) ohne Freihandelsabkommen gewarnt. Gerade 2019, dem zentralen Verhandlungsjahr über den Brexit selbst, ruckelte es in der britischen Pkw-Produktion, weil einige Brexit-Fristen verstrichen und die Branche mit Produktionsverschiebungen reagieren musste. Eine Auswirkung der Brexit-Verhandlungen auf die britische Pkw-Produktion ist allerdings nicht deutlich erkennbar, ist doch seit 2016 die Produktion für den Heimatmarkt stärker gefallen als für den Export. Auch ist der EU-Anteil an der Exportproduktion nur leicht von 56 Prozent auf 53,5 Prozent gesunken.  

Zukunft des britischen Automobilstandorts nach Brexit weiter offen

Der langwierige Brexit-Prozess hat in der britischen Automobilindustrie aber als starker Unsicherheitsfaktor gewirkt, denn die zukünftige Rolle der Insel in der globalen Pkw-Wertschöpfungskette stand im No-Deal-Szenario durchaus infrage. Deshalb hat die Branche in den vergangenen Jahren kaum investiert. Ob die aufgeschobenen Investitionen nun unter den weitgehend zollfreien europäisch-britischen Freihandelsbedingungen im Königreich oder gar anderswo realisiert werden, ist noch ungewiss. Mehr Informationen zur gemischten Stimmung in der Branche fasst dieser Branchenbericht zusammen.

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