Dieser Inhalt ist relevant für:
Vereinigtes KönigreichBrexit / Außenhandel, Struktur / Coronavirus
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | Vereinigtes Königreich | Brexit
Die britische Wirtschaftskrise trifft den Handel hart - auch mit Deutschland, vor allem im Bereich Automobil. Eine Erholung ist nicht in Sicht.
29.09.2020
Von Marc Lehnfeld | London
Die schwere britische Wirtschaftskrise sorgt auch im Außenhandel für rote Zahlen. Die Warenimporte brachen unter dem Corona-Einfluss von Januar bis Juli 2020 nominal um 23,2 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode ein. Der Monat Mai markierte mit einem Minus von rund einem Drittel den Tiefpunkt. Seitdem erholen sich die Einfuhren zwar wieder, liegen aber auch Ende Juli 2020 noch um 16,9 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Land | in Mrd. Euro1 | in Mrd. brit. Pfund3 | Veränderung ggü. Vorjahresperiode (in %)2,3 | Anteil am Gesamtimport (in %) |
---|---|---|---|---|
Gesamter Warenimport | 264,4 | 231,8 | -23,2 | 100 |
EU | 137,6 | 120,7 | -23,6 | 52,1 |
Rest der Welt | 126,8 | 111,1 | -22,7 | 47,9 |
Deutschland | 32,9 | 28,9 | -25,2 | 12,5 |
China | 30,3 | 26,7 | -5,2 | 11,5 |
USA | 24,9 | 21,8 | -21,6 | 9,4 |
Niederlande | 22,7 | 20,0 | -20,9 | 8,6 |
Frankreich | 14,3 | 12,5 | -31,9 | 5,4 |
Die Einfuhren aus Deutschland sind von Januar bis Juli 2020 um rund ein Viertel eingebrochen. Trotzdem bleibt die Bundesrepublik mit einem stabilen Anteil von 12,5 Prozent der größte Warenlieferant.
Grund für den deutschen Einbruch ist vor allem der Faktor "Automobil". Während der Ausgangsbeschränkungen waren auch die Autohäuser geschlossen, nun scheuen die Kunden hohe Anschaffungskosten. Bis Ende August 2020 wurden deshalb rund 40 Prozent weniger Pkw neu registriert als noch im Vorjahr. Das belastet folglich auch die Pkw-Einfuhren aus Deutschland, die ebenfalls um rund 40 Prozent eingebrochen sind.
Für das Gesamtjahr erwartet der Automobilverband SMMT einen Rückgang der Pkw-Neuregistrierungen um rund 30 Prozent. Das bedeutet einen Umsatzverlust von rund 22 Milliarden Euro.
Die Pkw-Importe werden folglich im Rest des Jahres niedrig bleiben. In einem No-Deal-Szenario, also einem Ende der Brexit-Übergangsphase ohne gemeinsames Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (EU), könnten Automobilhersteller in den letzten Monaten November und Dezember jedoch versuchen, möglichst viele Pkw auf die britische Insel zu liefern, um zusätzliche Kosten durch Zölle ab dem 1. Januar 2021 zu vermeiden. SMMT erwartet bei Anwendung des Zollsatzes von 10 Prozent nach dem neuen UK Global Tariff eine durchschnittliche Mehrbelastung von 1.600 Euro pro Fahrzeug im Pkw-Import.
Kategorie | Einfuhrwert in Mrd. britischen Pfund2 | Veränderung ggü. Vorjahresperiode (in %)1 | Anteil am Gesamtimport aus Deutschland (in %) |
---|---|---|---|
Gesamt | 29,4 | -24,5 | 100,0 |
Pkw | 7,0 | -39,8 | 23,9 |
Kfz-Teile3 | 1,3 | -44,6 | 4,6 |
Chemie | 4,4 | -18,7 | 14,9 |
davon medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse | 1,5 | -22,5 | 5,0 |
Industriemaschinen | 3,5 | -27,1 | 11,8 |
davon als Vorleistungsgüter | 1,8 | -29,3 | 6,2 |
davon als Investitionsgüter | 1,6 | -24,8 | 5,5 |
Die europäischen Automobilverbände warnen einhellig davor, dass im No-Deal-Szenario in der EU und im Vereinigten Königreich die Nachfrage nach Pkw und Transportern aufgrund der Zölle um 3 Millionen Fahrzeuge nachhaltig wegbricht. Ohne zollfreien Handel zwischen EU und britischer Insel stehen die Automobilfabriken im Königreich unter Druck. Der Großteil ihrer Produktion wird in die EU exportiert. Das betrifft auch deutsche Kfz-Teile-Lieferungen auf die Insel, die von Januar bis Juli 2020 um 44,6 Prozent gesunken sind.
Lieferketten- und Absatzprobleme sowie Ausgangsbeschränkungen haben in diesem Jahr die Produktion erheblich gedrückt. Die Automobilbranche ist nach den Bekleidungsherstellern die Industrie mit der zweitschwächsten Erholung der Produktionsvolumen. Die Zahl der produzierten Pkw von Januar bis Ende August lag noch rund 40 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Das erklärt auch den Rückgang bei den deutschen Kfz-Teile-Lieferungen.
Schon jetzt beträgt der Umsatzverlust der britischen Automobilindustrie etwa 10,6 Milliarden Euro. Die nun anbrechende zweite Coronawelle wird die Erholung der Branche bremsen. Einer V-förmigen Krisenbewältigung stehen die Befürchtungen um einen No Deal entgegen.
Es ist aber nicht nur der Automobilfaktor im deutsch-britischen Handel, der die britische Nachfrage nach deutschen Gütern bremst. Auch die Maschinennachfrage ist schwach, weshalb die Einfuhren von Industriemaschinen aus Deutschland noch immer rund 27 Prozent unter dem Vorjahresniveau zurückbleiben. Das betrifft sowohl die Vorleistungsgüter wegen der gesunkenen Produktionsvolumen, aber auch die Maschinen, die als Investitionsgüter in den Betrieben genutzt werden. An Investitionen in die Produktionsanlagen ist in vielen Branchen derzeit nicht zu denken. Der noch immer unklare Ausgang der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen und die finanzielle Belastung durch die Wirtschaftskrise verderben den Appetit.
Eine besondere Rolle hat Nordirland im europäisch-britischen Warenhandel ab 2021. Das zusammen mit dem Austrittsabkommen verhandelte Nordirland-Protokoll sichert freien Warenverkehr zwischen dem britischen Landesteil mit dem Rest des Vereinigten Königreichs und der EU zu. Deutsche Waren können daher weiterhin wie gewohnt nach Nordirland exportiert werden. Für den Transit durch Großbritannien sollten Unternehmen allerdings diese Hinweise beachten.
Bisher spielt Nordirland für den deutsch-britischen Warenhandel aber nur eine kleine Rolle. Gerade 1 Prozent macht der Landesteil am bilateralen Handel aus.
Der geplante Rechtsbruch des britischen Internal Market Bill mit dem Nordirland-Protokoll ist deshalb zwar für die Verhandlungen mit der EU und das Ansehen über die britische Rechtstreue in der Welt äußerst wichtig. Zumindest für den deutsch-nordirischen Handel sind dadurch aktuell keine besonderen Effekte absehbar.
Relativ robust beweisen sich die Importe aus China. Chemikalien- und Materiallieferungen (insbesondere Textilien) konnten in der Krise kräftig zulegen und ließen die Einfuhren aus der Volksrepublik deshalb nur um rund 5 Prozent fallen. Die Textillieferungen stiegen sogar um 163,7 Prozent und erreichten einen Anteil an den gesamten chinesischen Lieferungen von 7,2 Prozent. Auch die Investitionsgüterlieferungen von Büromaschinen, die mit 11,8 Prozent einen großen Anteil haben, legten um 23,1 Prozent zu.
Allerdings äußert sich die britische Regierung zunehmen kritisch zur Importabhängigkeit vom zweitgrößten Warenlieferanten. Nicht nur Huawei soll aus der Kerninfrastruktur des 5G-Netzes ausgeschlossen werden. Im Project Defend versucht sich die Regierung bei der Lieferung von kritischen Gütern in Zukunft breiter aufzustellen.