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Wirtschaftsumfeld
Branchenbericht China Konsumgüter, übergreifend
Seit COVID-19 gehen in China die Online-Verkäufe durch die Decke. Besonders gefragt sind neben Atemschutzmasken auch Nahrungsmittel sowie Produkte zur Freizeitgestaltung zu Hause.
09.03.2020
Von Stefanie Schmitt | Beijing
Wohl noch nie in der Geschichte Chinas dürften die Menschen so viel Zeit zu Hause verbracht haben wie in den letzten Wochen. Seit klar ist, dass COVID-19 von Mensch zu Mensch übertragen werden kann (21. Januar 2020) und seit der Verlängerung der Frühlingsfestferien um eine Woche bis zum 3. Februar 2020, befindet sich das Land auch Anfang März noch immer im Ausnahmezustand.
Zwar dürften die meisten Rückkehrer es inzwischen an ihren Wohnort geschafft und auch die fast überall obligatorischen 14 Tage Hausquarantäne hinter sich gebracht haben. Doch Schulen und Kindergärten sind nach wie vor bis auf Weiteres geschlossen und bieten Online-Unterricht an. Die meisten Restaurants und Läden, mit Ausnahme der Lebensmittelgeschäfte, empfangen ebenfalls noch keine Kunden. Und diejenigen Restaurants, welche überhaupt geöffnet haben, sind oftmals nahezu leer und empfangen keine Gruppen.
Sport- und Freizeiteinrichtungen sind gesperrt. Konzerte, Theatervorstellungen, Messen und Konferenzen finden vorläufig nicht statt – oder allenfalls virtuell. Reisen im Land sind streng reglementiert und führen in eine erneute Quarantäne. Um Ansteckungen zu vermeiden, bieten viele Firmen ihrem Personal die Möglichkeit, alten Urlaub zu nehmen oder im Home-Office zu arbeiten.
Aber was passiert, wenn 1,4 Milliarden Verbraucher plötzlich zu Hause bleiben? Der Online-Handel wird zum Rückgrat der Versorgung, lautet die Analyse der Fachzeitschrift "Horizont". Allein die französische Kette Carrefour berichtete von einem Anstieg der Hauslieferungen bis zum 21. Februar um 597 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, darunter Gemüse sogar um 713 Prozent. Wie Chinas zweitgrößte Online-Plattform JD – allerdings noch für Anfang Februar – publizierte, stiegen die Verkäufe von Frischgemüse im Vorjahresvergleich um etwa 450 Prozent, von Rind- und Geflügelfleisch sowie Eiern um 400 Prozent. Reis, Milchprodukte und andere Grundnahrungsmittel legten um 154 Prozent zu.
Zwar gab es auch bei Online-Bestellungen immer wieder Lieferengpässe (speziell bei Gesichtsmasken, die nach wie vor kaum, dass sie im Angebot erscheinen, ausverkauft sind). Des Weiteren waren Kurierfahrer selbst von den Reise- und Quarantänerestriktionen betroffen. Doch insgesamt funktioniert das System gut, einschließlich der zahlreichen Temperaturmessungen vor jeder Lieferung. Allein in Beijing sind laut China Daily basierend auf Zahlen des Municipal Market Regulation Bureau 20.000 Kurierfahrer unterwegs, die mehr als 400.000 Bestellungen pro Tag abarbeiten.
Gut laufen auch vorbereitete Nahrungsmittel, die einfach zuzubereiten sind. Beispielsweise setzte Guoquan, eine kleine Plattform für gewaschene und zurechtgemachte Feuertopfzutaten, an einem einzigen Tag im Februar 2020 die Rekordsumme von umgerechnet 2,9 Millionen US-Dollar um, berichtete China Daily. Feuertopf ist vor allem im Winter sehr beliebt, und die Zutaten müssen lediglich in köchelndes Wasser geworfen werden. Zudem verzeichnen Instant-Nudeln und Gefrierware überdurchschnittliche Zuwächse.
Abgesehen von Lebensmitteln wird alles bestellt, was geeignet ist, die Langeweile zu Hause zu vertreiben. Während etwa der Verkauf von Automobilen im Februar um 92 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat einbrach, was nicht zuletzt den deutschen Autobauern und –zulieferern Sorgen bereitet, erlebten Produkte aus dem Gesundheitsbereich sowie Kosmetik- und Unterhaltungsartikel Absatzsprünge. Besonders gut läuft der Verkauf von Yogamatten, Büchern, Kondomen sowie Nintendo-Switch-Konsolen, so berichtete Shanghai Daily auf Basis von Daten des Online-Handelsprimus Alibaba. Auch Heimtrainer sind gefragt. Wenn schon zu Hause, dann wenigstens fit bleiben, lautet die Devise. Zahlreiche Apps zum Nachturnen, vielfach initiiert von Branchenunternehmen wie Technogym, ergänzen das Programm.
Andere Online-Portale berichten ebenfalls von ungewöhnlichen Bestellhäufungen. Bei Pinduoduo gehörten Haarschneidesets (auch Friseure arbeiten nicht) und Präservative zu den zehn am häufigsten bestellten Produkten. Von JD.com war zu hören, Back-und Grilluntensilien hätten um das Siebenfache zugelegt.
Viele Firmen haben inzwischen reagiert und ihr Angebot massiv ausgebaut. Gut aufgestellt war, wer bereits WeChat-Filme mit Hygienetipps oder Kochkursen ins Netz stellen konnte. Andere haben rasch nachgezogen. Zum Image tragen darüber hinaus Solidaritätsbekundungen mit der am stärksten betroffenen Bevölkerung in Wuhan oder noch besser Hilfslieferungen dorthin bei.
"Horizont" berichtete, dass Bestseller, eine von Chinas größten Modegruppen mit über 7 Tausend Einzelhandelsläden (mit Marken wie Jack & Jones oder Vero Moda) mit WeChat Mini-Programmen, Provisionen für Offline-Mitarbeiter, sich online zu betätigen und digitalen Marketinginstrumenten wie Blitzverkäufen und Gewinnspielen sein Verkaufsvolumen wieder deutlich steigern konnte.
Viele Offline-Händler präsentieren ihre Ware darüber hinaus auf Douyin im „Livestream“, wo Models beispielsweise Kleidung oder Möbel zeigen. Zwar machten die Aktionen die Offline-Verluste nicht wett, aber kompensierten sie deutlich. Erfahrungen aus dem Online-Business ließen sich über die COVID-19-Krise hinaus langfristig verwerten, so die Analyse von "Horizont".
Tatsächlich werden sich viele Verhaltensweisen nach Beendigung der Epidemie fortsetzen. Insbesondere ältere Menschen, die bislang vorwiegend offline einkauften und bezahlten, könnten sich an die neuen digitalen Möglichkeiten gewöhnt haben. Verschiedenste Online-Lernprogramme besonders für Kinder und Jugendliche werden weiter zulegen. Generell dürfte der Online-Handel, selbst wenn sich die gegenwärtig hohen Werte nicht halten lassen werden, durch die Krise einen gehörigen Schub im Vergleich zur Vorkrisenzeit erhalten.