Wirtschaftsumfeld | Ukraine | Lohn- und Lohnnebenkosten
Lohnkosten
Trotz Coronapandemie steigen in der Ukraine die Bruttolöhne. Mit aktuell durchschnittlich rund 400 Euro pro Monat zählen sie aber weiterhin zu den niedrigsten in Europa.
03.08.2021
Von Fabian Nemitz | Kiew
Nach dem starken Einbruch in der Wirtschaftskrise 2014/15 zeigen die Löhne in der Ukraine seit 2016 deutlich nach oben. Auch im Coronajahr 2020 setzte sich dieser Trend fort. Treiber des Lohnwachstums sind die zunehmende Knappheit an Fachkräften, das Wirtschaftswachstum, eine höhere Inflation und die Anhebung des staatlichen Mindestlohns.
Hinzu kommen der Lohndruck und wegen des hohen Lohngefälles eine starke Abwanderung ins Ausland. Mit umgerechnet 376 Euro lag der durchschnittliche Bruttomonatslohn 2020 deutlich unter dem entsprechenden Wert in Ländern wie Polen (1.163 Euro) oder der Slowakei (1.133 Euro).
Entwicklung der durchschnittlichen Bruttomonatslöhne
2018 | 2019 | 2020 | Mai 2021 | |
|---|---|---|---|---|
nominal (in Landeswährung) | 8.865 | 10.497 | 11.591 | 13.499 |
nominal (in Euro) 1) | 275,8 | 362,6 | 376,5 | 402,9 |
reale Veränd. (in %) 2) | 12,5 | 9,8 | 7,4 | 16,8 |
Nationalbank erwartet weitere Lohnzuwächse
In den nächsten Jahren erwartet die ukrainische Nationalbank einen weiteren Anstieg der Löhne. In ihrem Inflationsausblick von April 2021 rechnet sie für das laufende Jahr mit einem Zuwachs um real 8,6 Prozent, ehe sich der Anstieg in der Zeit danach abschwächen dürfte (2022: 3,9 Prozent; 2023: 3,4 Prozent).
Der Mindestlohn liegt aktuell bei 6.000 Hrywnja (UAH) pro Monat. Dies entspricht rund 183 Euro. Zum 1. Dezember 2021 ist eine Anhebung des Mindestlohns auf 6.500 UAH geplant.
Schattenwirtschaft weit verbreitet
Zuverlässige Angaben über die tatsächliche Höhe des Lohnniveaus in der Ukraine sind kaum möglich. Das liegt auch an der Schattenwirtschaft, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) Angaben des Wirtschaftsministeriums zufolge 2020 bei 30 Prozent lag (2019: 27 Prozent). Andere Schätzungen gehen von Werten bis zu 50 Prozent aus.
Hinzu kommt, dass die Zahlen der amtlichen Statistik nur einen Teil des Lohnniveaus in der Wirtschaft erfassen. Nach einer Untersuchung von Vox Ukraine aus dem Jahr 2018 betrifft dies den öffentlichen Sektor einschließlich Staatsunternehmen mit einem Anteil von 30,5 Prozent an der Gesamtzahl der Beschäftigten.
Schwieriger sind Aussagen zum Privatsektor, in dem viele Beschäftigte einen Teil ihres Lohns "im Kuvert" erhalten, um Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern zu sparen sowie um Subventionsansprüche nicht zu verlieren, sobald die Löhne Schwellenwerte überschreiten.
Aufgrund der schwierigen Datenlage sind die Angaben von Derzhstat zur Lohnhöhe nur als Orientierungsgrößen zu verstehen. Um sich ein umfassendes Bild zu machen, bietet sich ein Vergleich mit dem Lohnniveau von Stellenangeboten auf Internetportalen an. Die Angaben dort beziehen sich in der Regel auf Nettolöhne.
Regionale Unterschiede beim Lohngefüge
Am höchsten ist das Lohnniveau in der Hauptstadt Kiew sowie in Metropolen und Industriezentren des Landes. Die ländlichen Gebiete in der Westukraine sind traditionell Niedriglohnregionen. Infolge von Abwanderung, saisonaler Migration und der Ansiedlung ausländischer Unternehmen steigt das Lohnniveau in diesem Landesteil jedoch. Demzufolge geriet die Lohnfertigung in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck.
In Niedriglohngebieten orientiert sich die Vergütung für einfache Tätigkeiten in Unternehmen der verarbeitenden Industrie, in der Landwirtschaft oder im Einzelhandel häufig am gesetzlichen Mindestlohn.
Durchschnittliche Bruttomonatslöhne nach Regionen
2020 (in UAH) | Veränderung 2020/19 (in %) 1) | 2020 (in Euro) 2) | |
|---|---|---|---|
Landesdurchschnitt | 11.591 | 10,4 | 376 |
Hauptstadt Kiew | 17.086 | 8,3 | 555 |
Hochlohnregionen | |||
Gebiet Donezk | 12.647 | 7,9 | 411 |
Gebiet Kiew | 11.887 | 8,0 | 386 |
Gebiet Dnipropetrowsk | 11.681 | 8,6 | 379 |
Niedriglohnregionen | |||
Gebiet Tschernihiw | 9.328 | 13,7 | 303 |
Gebiet Wolhynien | 9.256 | 6,8 | 301 |
Gebiet Czernowitz/Tscherniwzi | 9.166 | 13,6 | 298 |
IT-Sektor führt bei Löhnen
Die landesweit höchsten Löhne werden im IT-Sektor gezahlt, der stark auf den Export von Dienstleistungen ausgerichtet ist. Nach Angaben des Portals DOU verdiente ein Software-Entwickler in Kiew im Juni/Juli 2021 im Median 2.500 US-Dollar. Die meisten Beschäftigten im IT-Sektor sind als individuelle Unternehmer (FOP) tätig. Dadurch gelten für sie deutlich geringere Steuersätze. Firmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung zahlen meist höhere Löhne als rein ukrainische Unternehmen.
Durchschnittliche Bruttomonatslöhne nach Branchen
2020 (in UAH) | Veränderung 2020/19 (in %)*) | 2020 (in Euro) | |
|---|---|---|---|
Insgesamt | 11.591 | 10,4 | 376,5 |
Landwirtschaft | 9.757 | 10,2 | 316,9 |
Bauwirtschaft | 9.832 | 5,1 | 319,3 |
Bergbau | 16.763 | 7,3 | 544,5 |
Verarbeitendes Gewerbe, darunter | 11.493 | 4,4 | 373,3 |
Nahrungsmittel-/Getränkeindustrie | 10.761 | 7,8 | 349,5 |
Textilindustrie | 7.237 | -3,1 | 235,1 |
Holzindustrie, Papierindustrie, Druckereien | 9.934 | 6,8 | 322,6 |
Chemische Industrie | 12.363 | 9,0 | 401,6 |
Gummi- und Kunststoffindustrie | 10.779 | 4,2 | 350,1 |
Maschinenbau | 10.902 | 5,3 | 354,1 |
Metallurgie | 13.926 | 3,5 | 452,3 |
Elektrotechnik/Elektronik | 13.275 | 6,1 | 431,2 |
Fahrzeugbau | 11.212 | -3,9 | 364,2 |
Handel, Reparaturen | 11.286 | 4,6 | 366,6 |
Hotel und Gastronomie | 6.026 | -10,5 | 195,7 |
Transport, Logistik, Post | 11.951 | 2,1 | 388,2 |
Telekommunikation | 19.888 | 13,4 | 646,0 |
Finanzwesen, Banken, Versicherungen | 20.379 | 6,5 | 661,9 |
Immobilienbranche | 8.981 | 4,1 | 291,7 |
Die meisten der nachstehend angegebenen Bruttomonatslöhne nach ausgewählten Positionen stammen von der Consultingfirma Korn Ferry. Die Löhne für Führungspersonal dürften sich dabei auf große Unternehmen in den wichtigsten Wirtschaftszentren beziehen. Dadurch fallen die Angaben höher aus als die Werte für die Nettolöhne vergleichbarer Positionen auf Jobportalen.
Durchschnittliche Bruttomonatslöhne nach ausgewählten Positionen
2020 (in US-Dollar) | |
|---|---|
Geschäftsführerin einer größeren Niederlassung 1) | 7.236 |
| Geschäftsführerin eines kleinen bis mittleren Unternehmens 2) | 1.100 |
Finanzdirektorin | 3.289 |
Leiterin der Personalabteilung | 3.618 |
Vertriebsleiterin | 2.721 |
Hauptbuchhalterin | 2.392 |
Ökonomin | 1.259 |
Juristin | 1.017 |
Vertriebsmanagerin | 867 |
Systemadministratorin | 777 |
Ingenieurin 2) | 500-750 |
Programmiererin 3) | 2.400 |
Sekretärin | 538 |
Buchhalterin 2) | 500 |
Kraftfahrerin 2) | 580 |
Zusatzzahlungen steigen
Wegen finanzieller Einbußen im Coronajahr 2020 haben viele Firmen Zusatzzahlungen an ihre Mitarbeiter gekürzt. Generell geht der Trend jedoch dahin, dass sich die Arbeitgeber wegen zunehmender Engpässe auf dem Arbeitsmarkt mehr um ihre Mitarbeiter bemühen, auch um die traditionell hohe Fluktuation einzudämmen. Dies spiegelt sich in zunehmenden Zusatzzahlungen, Vergünstigungen, Fortbildungsmöglichkeiten sowie der Einführung von Bonussystemen wider. Beliebte Zusatzleistungen sind Jahresendprämien und private Krankenversicherungen. Am höchsten sind die Zusatzleistungen im IT-Sektor.
Sozialversicherungsbeiträge
Seit dem 1. Januar 2011 gilt in der Ukraine ein sogenannter einheitlicher Sozialbeitrag. Dieser beträgt 22 Prozent vom Bruttogehalt und obliegt vollständig dem Arbeitgeber. Er ersetzt die vier zuvor einzeln erhobenen Beitragsarten der Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Versicherung gegen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit sowie Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Zuständig für die Erhebung des einheitlichen Sozialbeitrags ist der staatliche Rentenversicherungsfonds.
Die Einkommensteuer für Arbeitnehmer beträgt 18 Prozent. Hinzu kommt seit 2014 eine "Kriegsabgabe" (Wijs'kowyj sbir) in Höhe von 1,5 Prozent. Die Einführung einer verpflichtenden Krankenversicherung wird diskutiert. Laut dem Parlamentsausschuss für Gesundheit könnte sie 2023 eingeführt werden.
Im internationalen Vergleich sind die Lohnnebenkosten in der Ukraine vergleichsweise hoch. Nach Einschätzung von Micheil Saakaschwili, dem Leiter des Nationalen Rats für Reformen, ist eine Reduzierung der Abgaben nötig, um die Schattenwirtschaft einzudämmen.
Sozialbeiträge 2021 (in Prozent der Bemessungsgrundlage)
Einheitsbeitrag für die allgemeinverbindliche staatliche Sozialversicherung | 22 Prozent (Mindestbetrag: 1.320 UAH pro Monat (rund 40 Euro), Höchstbetrag: 19.800 UAH pro Monat (rund 615 Euro)) |
Einzelunternehmer (FOP) | 1.320 UAH pro Monat *) |
Krankenversicherung | Es gibt keine staatliche Krankenversicherung; die medizinische Grundversorgung wird durch Steuergelder finanziert |
