Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Wirtschaftsumfeld | Norwegen | Parlamentswahl

Norwegen komplettiert den skandinavischen Linksruck

Die Parlamentswahlen bringen Norwegen eine Wachablösung. Premierministerin Erna Solberg räumt nach acht Jahren den Platz an der Regierungsspitze.

Von Michał Woźniak | Stockholm

Nach acht Jahren liberal-konservativer Politik richtet sich Norwegen wieder nach links und komplettiert damit das skandinavische sozialdemokratische Trio. Laut vorläufigen Ergebnissen konnte die Arbeiterpartei (Arbeiderpartiet; AP) während der Wahlen am 12. und 13. September 2021 die meisten Stimmen einsammeln.

Anders als in den beiden vorangegangenen Urnengängen erfuhren nun auch die anderen Linksparteien genügend Zuspruch, um eine rot-grüne Parlamentsmehrheit aufstellen zu können. Zusammen beanspruchen AP, die Zentrumspartei (Senterpartiet; SP), die Sozialistische Linkspartei (Sosialistsk Venstre Parti; SV), Die Roten (Rødt R) sowie die Umweltpartei die Grünen (Miljøpartiet De Grønne; MDG) 100 der 169 Sitze.

Bereits einen Tag nach den Wahlen und noch vor Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses gestand die bisherige Regierungschefin Erna Solberg ihre Niederlage ein und will nach dem Beschließen des Haushaltsplans 2022 am 12. Oktober zurücktreten. Danach wird sie bis zur Bildung eines neuen Kabinetts das sogenannte Geschäftsführende Ministerium (Forretningsministerium) leiten, das ausschließlich laufende Projekte durchführen und auf akute Probleme reagieren soll.

Dieser Zustand könnte etwas andauern, da die Regierungsneubildung kein Selbstläufer ist. Obwohl politisch in einem Lager angesiedelt, bestehen zwischen den potenziellen Koalitionspartnern sichtbare Programmunterschiede. Vor allem die Frage nach der Zukunft der Öl- und Gasförderung spaltet den Wahlgewinner und die kleineren Partner. Letztere sprechen sich gegen eine Erschließung der Vorkommen in der Arktis aus, teilweise sogar für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus dem lukrativen Geschäft. Diesen Kurs will AP nicht mitgehen, wohl wissend um die Bedeutung des aus dem Öl- und Gasgeschäft gespeisten Ölfonds. Das von ihm verwaltete Vermögen im Wert von aktuell etwa 1,1 Billionen Euro ist Stabilitätsgarant der Wirtschaft, Fördermittelquelle für Zukunftsthemen sowie Finanzpuffer für Notfälle, wie die letzten anderthalb Pandemiejahre zeigten.

Viele gemeinsame Nenner

Andererseits verbindet der Nachhaltigkeitsgedanke das linke Politikspektrum. Die zwei größten Parteien, AP und SP, schrieben sich Themen wie den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur sowie Offshore-Windkraft oder die Förderung der Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid (CO2) auf die Fahnen ihrer Wahlprogramme. Beide sind auch bestrebt, den Bausektor nachhaltiger zu machen, vor allem mit neuen Normen bezüglich Baumaterialien.

Weitere Bestandteile scheinen ebenfalls vereinbar zu sein. AP will die weitere Elektrifizierung der Wirtschaft durch gezielte Förderung privater Haushalte und Unternehmen beschleunigen. Neben Windkraft beabsichtigt AP vor allem in Wasserkraft, SP dagegen in Solar zu investieren. AP spricht sich auch für bessere Bedingungen für die Batterieproduktion aus, will für jede Branche Ziele zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes aufstellen und die CO2-Abgaben schrittweise erhöhen. Außerdem soll das Steuersystem so reformiert werden, dass grüne Investitionen für die Privatwirtschaft lukrativer werden. Die öffentliche Hand soll ihre Anschaffungen und Aufträge noch stärker an diesem Kriterium ausrichten.

SP legte derweil größeren Fokus auf mehr Kreislaufwirtschaft und eine insgesamt nachhaltigere Abfallwirtschaft. Der bereits heute bei über 50 Prozent liegende Elektroautoanteil bei Neuwagen soll weiter gesteigert werden. Demnach sollen ab 2025 nur noch emissionsfreie Pkw und Leichttransporter (beinhaltet auch Biogasantrieb) zugelassen werden dürfen. Auch die Umstellung im Gütertransport und Passagierfern- und Luftverkehr soll beschleunigt werden. Landwirtschaft und Fischerei will SP im Sinne des Umweltschutzes fördern.

Beide Parteien sprechen sich für eine Stärkung der Gewerkschaften aus, wollen die Bindung an nationale Tarifverträge für Unternehmen schmackhafter machen und für mehr Anstellungssicherheit sorgen. Auch die Innovationsförderung steht außer Frage. Genau wie der Wunsch nach mehr Außenhandel, bei dessen Ausgestaltung sich allerdings wieder Unterschiede offenbaren: Soll sich Norwegen an überregionalen Handelsabkommen beteiligen oder auf eine Verbesserung der allgemeinen, von der Welthandelsorganisation aufgestellten Regeln hinarbeiten? Und wie viel Eigenständigkeit ist es bereit, in diesem Zusammenhang zu opfern, welche Freiheiten bei der Wirtschaftspolitik aufzugeben?

Gemischte Bilanz

Der Außenhandel stand bereits im Fokus der bisherigen Regierung. Innerhalb ihrer acht Amtsjahre konnte der Export zumindest diversifiziert werden, der Anteil der Energierohstoffe fiel auf unter 50 Prozent. Das Warenausfuhrvolumen lag derweil in norwegischen Kronen (nkr) gerechnet 2019 nur knapp über dem Niveau von 2014 und sank im Pandemiejahr 2020 um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auf Eurobasis fällt die Bilanz noch ernüchternder aus - heute ist die Krone im Vergleich zum Zeitpunkt von Solbergs Amtsübernahme im Oktober 2013 um ein Viertel weniger wert.

Bild vergrößern

Mit einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von voraussichtlich 1,5 Prozent in den Jahren 2014 bis 2021 schlug sich die norwegische Wirtschaft zwar besser als beispielsweise die Europäische Union (EU) oder Deutschland. Allerdings konnten die beiden skandinavischen Nachbarn Schweden und Dänemark gleichzeitig um ein Drittel höhere Steigerungsraten verzeichnen. Der Aufholjagd der jüngeren EU-Mitglieder geschuldet, ist ferner der "Wohlstandsvorsprung" gegenüber der Gemeinschaft gesunken: Erreichte das norwegische BIP unter Einbeziehung der Kaufkraft pro Kopf 2014 noch 178 Prozent des EU-Durchschnitts, waren es 2020 "nur" noch 142 Prozent.

Bild vergrößern

Außer Griechenland hat im Zeitraum 2014 bis 2019 keines der EU-Länder einen so langsamen Zuwachs des Privatkonsums verzeichnet wie Norwegen. Nach 2020 lagen die entsprechenden Ausgaben sogar ein Zehntel unter der damaligen Ausgangsbasis. Nur etwas besser gestaltete sich die Investitionsneigung der Unternehmen.

Bild vergrößern

nach oben
Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.