Wirtschaftsausblick I Aserbaidschan
Aserbaidschans Wachstum verlangsamt sich 2024
Hinter der schwachen konjunkturellen Dynamik stehen hausgemachte Probleme und ungünstige globale Trends. Die Bauwirtschaft und das Dienstleistungsgewerbe senden positive Signale.
11.10.2023
Von Uwe Strohbach | Baku
Wirtschaftsentwicklung: Dynamik lässt nach
Die aserbaidschanische Regierung und internationale Beobachter rechnen für 2024 nur mit einem kleinen Wachstum von circa 2,5 Prozent. Ausbleibende Wirtschafts- und Strukturreformen und Unsicherheiten auf dem globalen Markt für Aserbaidschans Hauptexportgüter Öl und Gas stehen einer höheren Wachstumsrate entgegen.
Wachstum fußt ausschließlich auf der Nicht-Öl-Wirtschaft
Das erwartete Plus geht auf das Konto des Nicht-Öl-Sektors der Wirtschaft. Dieser soll 2024 um 4,6 Prozent zulegen, so die Prognose der Regierung. Die Öl- und Gasbranche schrumpft voraussichtlich um 1,7 Prozent. Der Nicht-Öl-Sektor verdankt seine positiven Aussichten vor allem Zuwächsen bei den Dienstleistungen, darunter vor allem in den Sparten Information/Telekommunikation, Transport und Handel.
Auch die Aktivitäten in der Landwirtschaft und im Baugewerbe dürften zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die Bauwirtschaft profitiert von Transport- und Infrastrukturprojekten in den von Armenien zurückeroberten Territorien im Westen des Landes. Marktkenner vermuten jedoch eine Überzeichnung der Prognose infolge einer unterbewerteten Inflation.
Wirtschaftliche Rahmenbedingungen bremsen weitere Entwicklung aus
Viele Experten betrachten die konjunkturelle Lage in Aserbaidschan aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit einer gewissen Skepsis. Staatliche, oligarchische und monopolistische Unternehmensstrukturen dominieren in vielen Branchen und schränken einen freien Wettbewerb ein. Das erschwert die weitere Diversifizierung der Wirtschaft.
Weitere Problemfelder sind eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, die weitverbreitete Schattenwirtschaft und unzureichende Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung. Dennoch, einige Reformerfolge sind nicht zu übersehen. Genannt seien die gestartete Reform in der korporativen Verwaltung von Staatsunternehmen, eine verbesserte Unternehmensförderung oder die Implementierung öffentlich-privater Partnerschaften bei prioritären Projekten.
Bild vergrößernWirtschaftliche Eckdaten Aserbaidschans
Indikator | 2021 | 2022 | 2023 1 | Vergleichsdaten Deutschland 2022 |
---|---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 54,8 | 78,7 | 47,1 | 4.075 |
BIP pro Kopf (US$) | 5.458 | 7.798 | 4.644 | 48.630 |
Bevölkerung (31.12.; Mio.) | 10,1 | 10,1 | 10,2 2 | 83,4 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = ... Aserbaidschan-Manat/AZN) | 1,7 | 1,7 | 1,7 | - |
Investitionen: Investitionsneigung bleibt trotz Wiederbelebung schwach
Die Investitionen zeigen nach einem langjährigen Tief seit 2022 erstmals wieder nach oben. Im Jahr 2024 dürften die Bruttoanlageinvestitionen preisbereinigt weiter anziehen. Hierfür sprechen mehr Aktivitäten in der Bauwirtschaft, Projekte im Dienstleistungssektor und erste große Vorhaben für Fotovoltaik- und Windkraftwerke. In den Wiederaufbau der Region Karabach fließen wie schon 2023 mehr als 2 Milliarden US-Dollar (US$) öffentliche und private Gelder.
An alte Zeiten können die Investitionen aber nicht anknüpfen. Im Zeitraum 2016 bis 2021 schrumpften die Anlagen im Schnitt pro Jahr real um 4,9 Prozent. Für Projekte in der verarbeitenden Industrie und im Agrarsektor vergeben Geschäftsbanken auch weiterhin nur in geringem Umfang Kredite.
Die Investitionen in Industriesektoren außerhalb der Öl- und Gaswirtschaft betrugen in den Jahren 2020 bis 2022 im Schnitt jährlich nur bescheidene 400 Millionen US$. In den ersten acht Monaten 2023 sind die Investitionen in Industrien fernab des Öl- und Gassektors um fast 30 Prozent geschrumpft.
Ausgewählte Großprojekte in Aserbaidschan
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. US$) | Projektstand | Projektträger |
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Windpark-Pilotprojekt und Anbindung an das Stromnetz (Landkreise Chizi/Xızı und Abscheron/Abşeron; 240 Megawatt; Betreibermodell: BOO) | 300 | Projekt gestartet, Inbetriebnahme: 2025, Kofinanzierung durch die EBRD | ACWA Power Azerbaijan Renewable Energy LLC, (Saudi-Arabien), Energieministerium Aserbaidschans, die Unternehmen SOCAR und AIC planen einen Einstieg in das Projekt |
Fotovoltaikpark Shafag in der Region Karabach/Qarabağ (Landkreise Cəbrayıl/Dschabrayil und Zəngilan/Sangilan; 240 Megawatt) | 200 | Vorbereitungsarbeiten fast abgeschlossen, Inbetriebnahme 2025/2026 | BP (Vereinigtes Königreich), Energieministerium Aserbaidschans |
Windkraftpark Garadagh (38 bis 72 Megawatt), Anschlussprojekte geplant (darunter Produktion von grünem Wasserstoff) | k.A. | Projekte im Frühstadium, Memorandum vom November 2022 über den Bau des Windkraftparks | Caspian HDG (Partner: AIC/ Aserbaidschan, Elecnor Company/Spanien) |
Photovoltaik-, Onshore- und Offshore-Windparks ( 2 Gigawatt) | k.A. | Memorandum vom Juni 2023 | Energieministerium, China Gezhouba Group Overseas Investment Corporation (China) |
Fabrik für Getränkedosen aus Aluminium (700 Mio. Dosen/Jahr, 400 Mio. Dosen Getränke/Energiedrinks), Freizone Alat | 211 | Vereinbarung vom Juli 2023, Projekt in Vorbereitung, Inbetriebnahme: 2025 | Hell Energy (Ungarn), AIC (Aserbaidschan) |
Modernisierung und Ausbau der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung in der Stadt Gandscha/Gəncə | mindestens 200 (erste Projektphasen) | Realisierung: bis voraussichtlich 2035, EBRD prüft finanzielle Unterstützung | Azərsu ASC |
Weiterer Ausbau des Urlaubs-, Erholungs- und Kurortes Sea Breeze Nardaran am Kaspisee (Fünf-Sterne-Hotel, Apartment-Hotel, Handelszentrum, medizinisches Zentrum und andere Objekte) | mindestens 150 | Realisierung: 2021 bis 2024 | Crocus Group/Sea Breeze Resort |
Ausbau der jährlichen Umschlagkapazität des Seehafens Baku von 15 Mio. auf 25 Mio. Tonnen, einschließlich Containern von 100.000 TEU auf 500.000 TEU | k.A. | Erarbeitung der Machbarkeitsstudie in der Abschlussphase, Projektrealisierung bis 2027 geplant | Seehafen Baku |
Staatliches Ausschreibungsportal: www.tender.gov.az
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Konsum: Lage auf dem Verbrauchermarkt bleibt angespannt
Der Einzelhandel wuchs 2022 preisbereinigt um 3,1 Prozent und dürfte 2023 und 2024 ebenfalls um circa 3 Prozent zulegen. Die offiziellen Zahlen spiegeln die aktuelle Lage auf dem Verbrauchermarkt aber nicht wider. Unabhängigen Ökonomen zufolge liegen die Preissteigerungen für viele Produkte über den amtlich ermittelten Raten. Somit ergeben sich eher reale Rückgänge im Einzelhandel.
Die monatlichen Pro-Kopf-Ausgaben im Einzelhandel betrugen in den ersten acht Monaten 2023 bescheidene 259 US$. Während die Ausgaben in der Hauptstadt Baku bei gut 500 US$ lagen, waren es in den Regionen nur etwa 100 bis 200 US$.
Das Gewicht von Nahrungs- und Genussmitteln an den Gesamtausgaben im Handel nimmt seit einigen Jahren wieder zu. Im Zeitraum Januar bis August 2023 betrug der Anteil 57 Prozent. Textilien, Bekleidung und Schuhe machen ein Drittel der Ausgaben für Nonfood-Güter aus. Im öl- und gasreichen Aserbaidschan, vor allem in Baku, können sich einige Verbraucher weiterhin teure Importprodukte leisten. Das Gros der Bevölkerung hingegen muss mit Einnahmen auskommen, die nahe am oder unter dem Existenzminimum liegen.
Außenhandel: Steigende Preise stützen Exporte
Das hohe Preisniveau für Kohlenwasserstoffe sorgt seit 2022 wieder für üppige Deviseneinnahmen im Exportgeschäft. Mengenmäßig sind die Ausfuhren 2022 nur wenig gestiegen. Im Jahr 2023 verharren sie voraussichtlich auf Vorjahresniveau. Öl, Gas und Ölprodukte stehen traditionell für 90 Prozent der Ausfuhren. Die übrigen Exporte betrugen in den ersten acht Monaten 2023 rund 2,2 Milliarden und entfallen hauptsächlich auf Nahrungsgüter, Strom, Kunststoffe in Primärform, Metalle/Metallerzeugnisse (Gold, Aluminium) und Baumwollfasern. Deutschland importiert aus Aserbaidschan fast ausschließlich Erdöl.
Die Importe stiegen 2022 und in den ersten acht Monaten 2023 gegenüber dem jeweiligen Vorjahreszeitraum um rund 25 Prozent. Die preisbereinigten Zuwächse betrugen etwa 2 und 10 Prozent. Für 2024 erwarten die zentralen Planer ein reales Plus von mindestens 5 Prozent. Haupteinfuhrgüter sind Maschinen und Ausrüstungen aller Art (Januar bis Oktober 2022: 2,3 Milliarden US$), Nahrungsgüter (1,8 Milliarden US$) und Transportmittel (1,4 Milliarden US$).
Die Lieferungen aus Deutschland zeigen nach einem langen Tief seit 2022 wieder nach oben. In den ersten acht Monaten 2023 stiegen sie nominal um 42 Prozent auf 379 Millionen Euro. Von Ausfuhrvolumina in Höhe von 700 Millionen US$ und mehr wie in den Jahren 2014/2015 ist Deutschland aber noch weit entfernt.
Außenhandel Aserbaidschans (in Milliarden US-Dollar; nominale Veränderung in Prozent)
2021 | 2022 | 2023 1 | Veränderung 2023/2022 2 | |
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Warenimporte (cif) | 11.703 | 14.540 | 11.151 | 25,7 |
Warenexporte (fob) | 22.208 | 38.147 | 24.355 | -7,2 |