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IndienAußenwirtschafts-, Industriepolitik / Konjunktur / Investitionsklima / Kaufkraft, Konsumverhalten
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsausblick Indien Außenwirtschafts-, Industriepolitik
23.11.2018
Mumbai (GTAI) - Indiens Bruttoinlandsprodukt wächst weiter auf hohem Niveau. Die inländische Nachfrage und ein kurzfristig niedrigerer Ölpreis beleben die Wirtschaft. Unruhe herrscht indessen im Finanzsektor.
Indiens Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs in der 1. Jahreshälfte 2018 kräftig um 7,9 Prozent. Für 2019 korrigierte Moody´s nun die Wachstumsprognosen auf 7,3 Prozent, der Internationale Wirtschaftsfonds (IWF) auf 7,4 Prozent. Die Änderungen wurden vor allem aufgrund der angespannten Situation im Finanzsektor vorgenommen.
Fiskalpolitisch steht die Zentralregierung mit dem Rücken zur Wand: Niedrigeren Einnahmen - das indirekte Steueraufkommen liegt weit unter der Prognose - stehen im Vorwahljahr erhöhte Ausgaben gegenüber. So sollen zum Beispiel mit Benzinpreissubventionen und Sonderzahlungen an die Landwirtschaft Stimmen für die Parlamentswahlen im April/Mai 2019 gewonnen werden.
Zudem sorgte im Oktober 2018 die Insolvenz und die darauf folgende staatliche Rettung des privaten Finanzdienstleisters IL&FS für Krisenstimmung. IL&FS und andere sogenannte Schattenbanken sind systemrelevant für die Finanzierung staatlicher Infrastruktur- und privater Wohnungsbauprojekte. Sie führen Bankaktivitäten wie die Kreditvermittlung außerhalb des regulären Bankensystems aus. Die Wichtigkeit dieser Kreditinstitute nahm besonders in den letzten beiden Jahren zu, da die indischen Staatsbanken aufgrund fauler Krediten ihre Kreditvergabe drosseln mussten. Um das benötigte Kreditvolumen für die Projekte vergeben zu können, sprangen die Schattenbanken ein. 2017 erteilten diese bereits 40 Prozent aller Kredite in Indien. Der Fall IL&FS ist symptomatisch für die Branche, und weitere Insolvenzen könnten folgen. Die Staatsbank State Bank of India wurde beauftragt, Vermögenswerte der Branche aufzukaufen, um weitere Verluste einzudämmen.
Die Regierung wird im Vorwahlkampf alles versuchen, die Krise abzumildern. So forderte Finanzminister Jaitley die unabhängige indische Zentralbank Reserve Bank of India (RBI) auf, ihren rigiden Sanierungskurs der Staatsbanken aufzulockern, um die Kreditvergabe zu erhöhen und der Regierung ein Drittel der Devisenreserven abzutreten.
Neben der angespannten Situation im Inland sorgen internationale Faktoren kurzfristig für Erleichterung. Der bis September starke Ölpreisanstieg, der die indische Wirtschaft unter Druck setzte, wurde von der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) durch Exporterhöhung abgefedert. Dies wirkte sich entlastend auf Indiens Leistungsbilanzsaldo und Inflationsrate aus.
Indikator | 2016/17 1) 2) | 2017/18 1) 3) | Vergleichsdaten Deutschland 2017 |
BIP (nominal, Mrd. US$) | 2.602 | 2.690 | 3.702,4 |
BIP pro Kopf (US$) | 1.976 | 2.016 | 44.791 |
Bevölkerung (Mio.) | 1.316,9 | 1.334,2 | 82,7 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = Indische Rupie, iR) | 65,54 | 64,45 | - |
1) Finanzjahr 1. April bis 31. März; 2) Schätzung; 3) Prognose
Quellen: IWF; ING Bank Report; Department of Industrial Policy and Promotion; Statistisches Bundesamt, November 2018
Die erneute Verbesserung im Ease of Doing Business-Ranking um 23 Plätze auf 77 von 190 (vor allem aufgrund von Erleichterungen für Baugenehmigungen) ist eine positive Nachricht. Hinzu kommt die gestiegene Kapazitätsauslastung der Unternehmen im 1. Halbjahr in Höhe von 75,2 Prozent, die die Investitionen im Privatsektor ankurbeln sollte.
Demgegenüber steht die angespannte Lage der Schattenbanken, welche in den nächsten Monaten neues Kapital benötigen. Ein Großteil der Finanzdienstleister muss langfristig investiertes Kapital durch kurzfristige Kredite und Anleihen zur Finanzierung decken. Dies wird die Investitionsbereitschaft nicht nur für den Wohnungsbau kurzfristig bremsen.
Eine starke Einflussnahme der Regierung auf die RBI, wie aktuell zu beobachten, könnte zwar kurzfristig für Entlastung sorgen, würde sich aber mittelfristig negativ auf die Kreditwürdigkeit und somit auf internationale Investitionen auswirken. Der Fokus der Regierung ist momentan auf Wiederwahl ausgerichtet. Somit ist unklar, ob das nachkorrigierte Ziel beim Haushaltsdefizit in Höhe von 3,3 Prozent gehalten werden kann. Hierfür wären politisch schwer durchsetzbare Ausgabenkürzungen notwendig.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mrd. US$) *) | Projektstand | Anmerkung/Ansprechpartner |
Küstenentwicklung Sagramala Coast Line Development | 118,2 | Geplante Fertigstellung 2035 | Ministry of Shipping http://shipping.nic.in |
Industriekorridor Delhi-Mumbai (DMIC) | 100 | Projekt wird in vier Phasen durchgeführt, wobei die erste Phase bis 2019, die zweite bis 2027, die dritte und vierte bis 2040 abgeschlossen werden soll | National Industrial Corridor Development and Implementation Trust (NICDIT) und Department of Industrial Policy and Promotion (DIPP): http://www.dipp.nic.in; Delhi Mumbai Industrial Corridor Development Corporation (DMICDC): http://www.dmicdc.com |
Ausbau Solarkraftkapazitäten | 82,6 | Geplante Fertigstellung bis 2022 | Erhöhung der Kapazitäten von 22 Gigawatt (GW) auf 100 GW anvisiert; Ministry of New and Renewable Energy: http://www.mnre.gov.in |
Bengaluru Mumbai Industrial Corridor (BMIC) | 41,4 | Endgültiger Masterplan wurde eingereicht | Korridor über etwa 1.000 km Länge geplant; NICDIT und DIPP: http://www.dipp.nic.in; DMICDC: http://www.dmicdc.com |
100 Smart Cities | 28,3 | 100 Städte wurden mit Stand Juni 2018 identifiziert. Deutschland führt Machbarkeitsstudie für drei Städte durch | Ministry of Urban Development: http://moud.gov.in |
Swachh Bharat Abhiyaan (Clean India Initiative) | 27,1 | Geplante Fertigstellung bis 2019 | Swachh Bharat Abhiyaan; https://swachhbharat.mygov.in/; ein Teil wird von Weltbank finanziert |
Digital India | 15,6 | Geplante Fertigstellung bis 2019 | Alle Dörfer sollen an Breitbandinternet angeschlossen werden und staatliche Dienstleistungen online abrufbar sein; Ministry of Electronics & Information Technology: http://deity.gov.in |
Green Energy Corridors | 5,2 | Geplante Fertigstellung bis 2020 | Übertragungskorridore für Strom aus erneuerbare Energien; u.a. von Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie Asian Development Bank finanziert; verantwortlich u.a. Power Grid Corporation of India: http://www.powergridindia.com; Ausschreibungen auf http://www.gtai.de/indien |
*) Umrechnung anhand des Wechselkurses vom 4. November 2018: 1 US$ = 72,51 iR,
Quellen: Recherchen von Germany Trade & Invest; Pressemeldungen, November 2018
Neben der angespannten Investitionslage liegt der Fokus weiterhin auf Konsum als Wachstumstreiber. Das besonders für den Einzelhandel wichtige Lichterfest Diwali findet Anfang November 2018 verhältnismäßig spät statt. Obwohl die offiziellen Zahlen somit erst im Dezember veröffentlicht werden, gehen die Einzelhändler vor allem aufgrund der Online-Konkurrenz von einem schwachen Effekt aus.
Auch die schwächelnde Rupie trägt ihren Teil dazu bei, dass die Konsumumfrage der RBI für September negativ ausfällt. Vor allem die Goldhändler kämpfen seit der Demonetisierung um Einnahmen, aber auch zu Diwali sollen sich die Umsätze nicht erholt haben.
Mit der boomenden Wirtschaft, die trotz der schwächelnden Rupie nach teuren Einfuhren verlangte, dem hohen Ölpreis und dem Abfluss ausländischer Portfolioinvestitionen, sah sich die Regierung genötigt, Zölle auf nicht-essentielle Güter zu erhöhen. Die Regierung will die Importnachfrage dämpfen und durch lokale Produktion substituieren, wobei dies bei einer Ausweitung die Nachfrage bremsen könnte.
Die indische Rupie war im langfristigen Trend zu hoch bewertet. Deshalb ließ die RBI die Zügel zu Anfang noch locker. Zunächst noch als Exportbeschleuniger geschätzt, entwickelt sich die Rupie zur Bewährungsprobe für den Staatshaushalt und die Konsumenten. Entsprechend stieg das Leistungsbilanzdefizit von 1,9 Prozent im 1. Quartal und auf 2,4 Prozent im 2. Quartal des Finanzjahres. Ein weiterer Anstieg bis zur kritischen Drei-Prozent-Marke könnte einen Ölpreisanstieg zum Jahresende 2018 auslösen.
2016/17 *) | 2017/18 *) | 2018/19 *) (Apr. bis Sept.) | Veränd. 2016 bis 2018 *) | |
Importe | 384,4 | 465,6 | 258,4 | 21,1 |
Exporte | 275,9 | 303,5 | 164,0 | 10,0 |
Handelsbilanzsaldo | -108,5 | -162,1 | -94,3 | - |
*) Finanzjahr 1. April bis 31. März
Quelle: Ministry of Commerce and Industry, Export Import Data Bank, November 2018
Weitere Informationen (zum Beispiel SWOT-Analyse, Branchenberichte) finden Sie unter http://www.gtai.de/Indien