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EU-Standardisierungsstrategie will europäische Standards stärken

Im Februar 2022 präsentierte die Europäische Kommission ihre neue Normungsstrategie. Bei Digitalstandards soll der Normungsprozess reformiert werden.

Von Sebastian Holz | Bonn

Auch wenn die Position europäischer Unternehmen in den internationalen Normungsgremien für die meisten Bereiche noch komfortabel ist, spürt gerade die politische Ebene den Druck der wachsenden chinesischen Konkurrenz. Das Thema Normung rückt damit – vielleicht zum ersten Mal – auch in den Fokus der Außenpolitik. Wenn die Fähigkeit, Standards zu setzen und zu beeinflussen, die eigene Wettbewerbsfähigkeit mitbestimmt, sollte die Position Europas in diesem Bereich langfristig gesichert werden. Darauf zielt eine neue Strategie der Europäischen Union (EU), die im Februar 2022 präsentiert wurde.

Europa will Normung künftig strategischer denken

Gerade in den digitalen Zukunftstechnologien, wie etwa 5G, Künstliche Intelligenz oder dem Internet der Dinge (IoT), setzen chinesische Firmen bereits Standards. Grund zur Sorge für die Europäische Kommission. In ihrem Strategiedokument heißt es: "Insbesondere bei neuen und gerade aufkommenden Technologien gelingt es dem europäischen Normungssystem oft nicht, zeitnah Ergebnisse vorzulegen, sodass der wichtige, mit der Normung verbundene Vorreitervorteil nicht mehr genutzt werden kann." In Bereichen, die für die EU-Leitthemen Klimaschutz und Digitalisierung wichtig sind, möchte die Kommission unbedingt eine Vorreiterstellung bewahren oder erreichen.

Dafür begann sie, bestehende Strukturen zu hinterfragen. So hat die Kommission in einigen Bereichen Normungsdefizite ermittelt, die mit dem diesjährigen Arbeitsprogramm der Union für europäische Normung ergänzt werden sollen. Dazu gehören unter anderem Covid-19-Impfstoffe, Batterietechnik, Recycling kritischer Rohstoffe und der Bereich Wasserstoffwirtschaft. Auch künftig möchte die Kommission bei der Themensetzung mehr mitwirken.

Mehr Staat bei der Normung?

Bislang war das europäische Normungssystem vor allem von privaten Normierungsorganisationen dominiert. Während das Prinzip beibehalten werden soll, möchte sich die Europäische Kommission ein größeres Mitspracherecht in künftigen Normungsfragen sichern. Dafür soll ein hochrangiges Forum auf EU-Ebene eingerichtet werden, das Impulse für künftige Prioritäten geben wird.

Außerdem kündigt die Strategie an, die Position eines europäischen Normungsbeauftragten zu schaffen. Diese Person soll die Normungsaktivitäten auf EU-Ebene besser koordinieren. Dabei unterstützt sie das ebenfalls neu zu gründende EU-Exzellenzzentrum für Normen. Hier sind Vertreter der verschiedenen Dienststellen der Kommission sowie technische Experten aktiv. Mit den "gemeinsamen Spezifikationen (common specifications)" darf das Exzellenzzentrum im Auftrag der EU-Kommission Normen erarbeiten, wenn sonst keine harmonisierten Normen vorliegen.

Ein  "Standardisation Booster" ermutigt Forscher in Projekten, die von der EU-Wissenschaftsförderung Horizont Europa unterstützt werden, ihre Ergebnisse auf eine mögliche Relevanz für die Normung zu überprüfen. Außerdem möchte die EU den Nachwuchs im Bereich der Normung gezielt fördern, etwa mit Präsentationen an Universitäten. Eine staatliche Unterstützung in Form von Fördergeldern für Unternehmen, die sich an Normierungsaktivitäten beteiligen, ist dagegen nicht vorgesehen.

Reformen sollen nicht-europäische Konzerne bei ETSI bremsen

Eine weitere Ankündigung zielt auf die Reform des Entscheidungsfindungsprozesses in der europäischen Normungsorganisation für Telekommunikationstechnologie, dem European Telecommunications Standards Institute (ETSI). Während beim Europäischen Komitee für Normung (CEN) beziehungsweise für elektrotechnische Normung (CENELEC) die Organisationen der Mitgliedsstaaten jeweils eine Stimme haben, richtet sich das Stimmrecht bei ETSI nach der Höhe der Mitgliedsgebühren.

In der Strategie heißt es wörtlich: "Die Kommission ist darüber besorgt, dass durch die aktuellen Entscheidungsprozesse innerhalb der europäischen Normungsorganisationen, insbesondere des ETSI, nicht proportionale Stimmrechte bestimmten Unternehmensinteressen zugutekommen." Die weltweit größten Digitalkonzerne kommen aus den USA und Asien. Entsprechend stark sind diese Firmen bei ETSI vertreten.

Ein Problem ist, dass die föderale Struktur der Europäischen Union es internationalen Konzernen erlaubt, mit gleich mehreren europäischen Niederlassungen Mitglied bei ETSI zu werden. Dies gilt für europäische und außereuropäische Unternehmen. So ist der US-amerikanische Softwarekonzern Apple mit 14 Unternehmen vertreten, die Apples Geschäfte in Portugal, Schweden, Frankreich und Deutschland abdecken. Im Falle der chinesischen Firma Huawei sind es immerhin sechs Mitgliedschaften. Der finnische Nokia-Konzern ist mit neun nationalen Gesellschaften beteiligt, genau wie das südkoreanische Konglomerat Samsung.

Die EU-Strategie für Normung sieht nun vor, dass der Abstimmungsprozess bei ETSI verändert werden soll. Dabei soll die Rolle der nationalen Normierungsorganisationen der EU-Mitgliedsstaaten gestärkt werden. Wie genau das geschehen soll, dazu will die Europäische Kommission in Kürze einen Vorschlag einreichen. Eine solche Änderung wäre nur für Normungsaufträge der EU-Kommission an ETSI unproblematisch, die harmonisierten europäischen Normen (hENs). Für die selbst-organisierte Arbeit des Instituts wäre für eine Regeländerung ein Beschluss der Generalversammlung nötig. Das wiederum dürften die nicht-europäischen ETSI-Mitglieder verhindern.

Unternehmen fürchten Doppelstrukturen

Während Verbände wie der Bundverband der Deutschen Industrie (BDI) den strategischen Ansatz der Initiative allgemein begrüßten, gibt es auch kritische Stimmen: Sie kritisieren die mögliche Abkehr vom weitgehend privaten europäischen Normungssystem. Beobachter fürchten, dass das vorgeschlagene EU-Exzellenzzentrum für Normung zu Doppelstrukturen führen könne, die das eigenverantwortliche Engagement privater Firmen in den Normierungsorganisationen untergraben könnten.

Weiterführende Links

EU-Strategie für Normung: Globale Normen zur Unterstützung eines resilienten, grünen und digitalen EU-Binnenmarkts festlegen

https://ec.europa.eu/docsroom/documents/48598

Europäisches Komitee für (elektrotechnische) Normung (CEN-CENELEC)

https://www.cencenelec.eu/

European Telecommunications Standards Institute (ETSI)

https://www.etsi.org/

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