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Branchen | Irak | Informations- und Kommunikationstechnologie

Der lange Weg in die Digitalisierung

Wie die noch kleine irakische Digitalbranche ausgebaut werden könnte. Ein Beitrag von Mohamed Hikmat für das Projekt Business Journalists4Change.

Überall in der Welt gehört die digitale Wirtschaft zu den wichtigsten und fortschrittlichsten Branchen. Im Irak jedoch sind E-Commerce-Anwendungen noch im Aufbau. Insbesondere Start-ups versuchen sie zu etablieren, stoßen dabei aber auf vielfältige Hindernisse. Für diese trägt teilweise der Staat die Verantwortung, und teilweise die noch wenig entwickelte digitale Kultur der irakischen Gesellschaft.

Digitalwirtschaft weit kleiner als im globalen Durchschnitt

Ammar Amin, CEO und Gründer von Miswak, des größten E-Commerce-Anbieters im Irak, schätzt den Gesamtumsatz der digitalen Wirtschaft im Irak im Jahr 2022 auf 5 Milliarden US-Dollar (US$), was 2 bis 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. „Im Weltmaßstab wird der Beitrag der Digitalwirtschaft zum BIP auf 15,5 Prozent geschätzt. Das zeigt, dass der Umfang der Digitalwirtschaft und ihr Beitrag zur Wirtschaftsleistung im Irak relativ bescheiden ist.“

Amin weist darauf hin, dass es angesichts der unsicheren Zukunft des Ölsektors für den Irak notwendig ist, auf eine diversifizierte und nachhaltige Wirtschaft hinzuarbeiten. Dabei spiele die Entwicklung der digitalen Wirtschaft eine Schlüsselrolle: „Einer ihrer wichtigsten Vorteile ist die Fähigkeit, schnell und einfach über die Möglichkeiten der traditionellen Wirtschaft hinauszuwachsen. Das bedeutet, dass in der digitalen Wirtschaft in kürzerer Zeit mehr Erfolgschancen geschaffen werden und die Volkswirtschaft schneller wächst.“  

Unregulierte Zufallsökonomie

Trotz 5 Milliarden US$ Jahresumsatz ist die irakische Digitalwirtschaft noch immer kaum strukturiert und bewegt sich in weiten Teilen außerhalb des staatlichen Regulierungsrahmens. Der Grund dafür, so Ammar Amin: „Es handelt sich um eine sehr große Anzahl kleiner Transaktionen, die von Einzelpersonen und über soziale Netzwerke mit sehr kleinen Marktanteilen in einem zersplitterten Markt durchgeführt werden. Deshalb unterliegt die gesamte Branche keiner staatlichen Kontrolle oder Regulierung, sie spült keine Steuereinnahmen in die Staatskasse und bietet keinen Verbraucherschutz.“ Entsprechend schwierig sei es, nachhaltiges Wachstum zu erzielen und eine stärkere Integration mit der traditionellen Wirtschaft zu erreichen.

Welche Faktoren würden benötigt, um die Digitalwirtschaft auf eine Erfolgsspur zu bringen? Amin zählt sie auf: „konstruktive Gesetze und Vorschriften, investitionsfreudiges Kapital, eine moderne Bankeninfrastruktur und Management-Fähigkeiten, die mit dem Entwicklungstempo der digitalen Pionierunternehmen Schritt halten und zur digitalen Transformation der Gesamtwirtschaft beitragen können.“ All diese Faktoren müssten zusammenkommen, um ein nachhaltiges Wachstum des Sektors zu erreichen.

Doch nach Ansicht des Digitalunternehmers sind in der irakischen Realität davon teils nicht einmal Ansätze vorhanden. „Es fehlt fast völlig an einschlägigen Gesetzen, und die derzeitigen Versuche, Rechtsvorschriften zu erlassen, erscheinen beunruhigend und wenig zielführend. Zudem gibt es nur wenige Investoren, die an den technischen Sektoren interessiert sind – und wenn, konzentrieren sie sich eher auf traditionelle Unternehmen, die weniger riskant erscheinen, als auf digitale Pionierfirmen.“

Probleme mit Kreditvergabe und Finanzinfrastruktur

Und die Banken? Nach Angaben einer der Zentralbank nahestehenden Quelle, die nicht namentlich genannt werden wollte, gewähren irakische Banken generell weder Kredite noch Zuschüsse für die Entwicklung von Software oder Apps. Auch Ali Al-Washah, Experte für elektronische Netze, stellt fest, dass „Banken in entwickelten Ländern Kredite für App-Entwicklungsprojekte gewähren, während wir dies im Irak nicht gesehen haben.“

So weit geht Ammar Amin nicht: „Ich kann diese Frage nicht allgemein beantworten, sondern nur meine persönlichen Erfahrungen berichten. Ich habe mehrfach versucht, Bankkredite zu erhalten, einige Versuche sind gescheitert, andere waren erfolgreich.“ Dennoch fällt sein Urteil über den irakischen Finanzsektor in Bezug auf die Digitalwirtschaft negativ aus: „Die Bankeninfrastruktur ist ineffizient und reagiert nur langsam auf neue Herausforderungen.“

Das betrifft nicht nur die Kreditvergabe an die Digitalwirtschaft, sondern auch die mangelnde Digitalisierung der Banken selbst, wie Netzwerkexperte Al-Washah bestätigt: „Die Transformation verläuft in Stufen, von Papier zu elektronisch und dann erst zu digital. Aber im Irak hat noch nicht einmal die elektronische Transformation stattgefunden.“

Fintech-Armut

Sarmad Zuhair Atara, Projektleiter der Taza-App für den Lebensmittelhandel, erläutert: „Der Irak steht beim E-Commerce noch ganz am Anfang, da es beim digitalen Marketing noch massive Hindernisse gibt." Obwohl im Nahen Osten Internet, Mobiltelefone und soziale Netzwerke generell stark genutzt würden, gebe es auch erstaunliche Schwächen in der digitalen Kultur. „Einige Iraker haben nicht einmal eine E-Mail in ihren Telefonen eingerichtet", betont Atara und weist darauf hin, „dass viele zwar eine Zahlungskarte haben, diese aber nur dafür nutzen, um ihr Gehalt zu erhalten, und nicht um online einzukaufen."

Dennoch setzt Atara auf den Privatsektor als Treiber der digitalen Entwicklung im Irak: „Er verfügt über die Mittel, um neue Ideen und Angebote aufzunehmen. Der staatliche Sektor ist hingegen weit von diesem Thema entfernt." Auch für den Digitalunternehmer Amin lässt sich die schwache Position der Digitalwirtschaft im Irak nicht durch fehlende digitale Reife der irakischen Gesellschaft erklären. Er verortet das Problem auf der Angebotsseite: „Eine ernsthafte und durchgreifende Transformation des digitalen Angebots wäre in der Lage, die Nachfrage der Verbraucher zu generieren sowie das gesellschaftliche Bewusstsein zu stärken – und nicht umgekehrt."

Business Journalists 4Change

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts „Business Journalists 4Change“ (BJ4C) verfasst und zuerst auf Arabisch in der Zeitung Al-Aalem (Die Welt) veröffentlicht. Die Übersetzung und Redaktion wurde von Detlef Gürtler vorgenommen.


Der Autor Mohamed Hikmat arbeitet seit 2013 als freier Journalist in Bagdad und seit Oktober 2020 zusätzlich als Event Media Specialist für Earthlink Telecommunication.


BJ4C wurde von der DW Akademie umgesetzt, unterstützt durch das PSD Projekt (Private Sector Development & Employment Promotion). Es wird aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Europäischen Union kofinanziert und von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH umgesetzt.

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