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Die wichtigsten Warengruppen für die Beschaffung

Von Michael Monnerjahn | Bonn

Einige Unternehmen betrachten Nordafrika seit Jahrzehnten als Beschaffungsmarkt. In Tunesien investierten die ersten deutschen Hersteller von Elektroerzeugnissen bereits in den 1970er Jahren in den Aufbau von Produktionsstätten. Auch Textilien werden in Nordafrika schon seit langer Zeit für den deutschen und europäischen Markt hergestellt. Darüber hinaus spielt die Region bei der Gewinnung sowie Lieferung von Rohstoffen, wie etwa Erdgas und Erdöl, eine Rolle.

Politische Reformen und Ausbau der Infrastruktur erhöhen die Attraktivität

Die unterbrochenen Lieferketten in Folge der Coronapandemie und der russische Angriffskrieg in der Ukraine haben jedoch ein verstärktes Interesse an der Region geweckt. Aber auch mittel und langfristige Entwicklungen haben einzelne Länder attraktiver gemacht. Politische Reformen und der Ausbau der Infrastruktur haben die Bedingungen für Unternehmen vor Ort verbessert.

Äußere und innere Faktoren lassen die Region neu bewerten. Dies hat bei einigen Unternehmen bereits vor einigen Jahren angefangen. In Marokko hat sich das bereits beim Bestand der deutschen Direktinvestitionen ausgewirkt. Die deutschen Investitionen in Marokko versechsfachten sich etwa zwischen 2015 und 2018. Das Königreich im äußersten Nordwesten des Kontinents hat in der jüngsten Vergangenheit vor allem Unternehmen aus der Automobilbranche in den Blick genommen. Aber auch die Luft- und Raumfahrtindustrie hat den Standort inzwischen für sich entdeckt.

Die einzelnen nordafrikanischen Länder werden sich in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter ausdifferenzieren. Momentan ist das Lohnniveau zwar noch relativ ähnlich, aber bei der Infrastruktur und der demographischen Entwicklung gibt es schon jetzt recht starke Unterschiede. Das Wachstum der Bevölkerung hat sich in Tunesien schon auf weniger als 1 Prozent abgeschwächt. In Ägypten wächst die Bevölkerung jährlich um mehr als 1,5 Prozent.

Der weitere Erfolg der nordafrikanischen Länder als Ort für die Beschaffung und Produktion wird davon abhängen, inwiefern es ihnen gelingt, ihre Standortqualitäten weiter zu steigern. Mit Hilfe weiterer politischer sowie rechtsstaatlicher Reformen sowie einer besseren Infrastruktur könnte die Region in Zukunft einen deutlich größeren Anteil der globalen Lieferketten erlangen.

Automobil- und Elektroindustrie

Die Automobilindustrie produziert seit den 1970er Jahren in Nordafrika Komponenten für den Export nach Europa. Die ersten Zulieferfirmen eröffneten in Tunesien ihre Niederlassungen. Eines der ersten deutschen Unternehmen in Tunesien war mit Leoni im Jahr 1977 ein Hersteller von Draht, Kabel und Bordnetzsystem. Diese Waren sind auch knapp fünf Jahrzehnte später noch die wichtigsten Exportgüter des Landes. Tunesien öffnete sich erfolgreich für den Privatsektor und warb um ausländische Unternehmen, vor Ort für den Export zu produzieren. Weitere liberale Reformen und Handelsabkommen mit Europa sowie die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation folgten.

Drittgrößter afrikanischer Exportmarkt in der Autobranche

Inzwischen zählt der tunesische Branchenverband der Automobilindustrie, die Tunisian Automotive Association (TAA) 260 Unternehmen, die sich in Tunesien angesiedelt haben. Darunter sind vor allem ausländische Unternehmen, aber auch eine Reihe von nationalen Unternehmen. Insgesamt beschäftigt die Branche 90.000 Angestellte. Neben Marokko und Südafrika gehört Tunesien zu den größten Exportmärkten im Automobilbereich. Ein Großteil der Unternehmen ist im Norden des Landes angesiedelt.

Durch regelmäßige Fährverbindungen können die tunesischen Produktionsstätten die europäischen Märkte schnell beliefern. Neben elektronischen Komponenten, welche den größten Anteil am Export haben, werden in Tunesien auch Kunststofferzeugnisse sowie Leder und Textilstoffe für die Autoindustrie hergestellt. Darüber hinaus versucht sich Tunesien auch als Standort für das Design und die Entwicklung im Automobilsektor zu etablieren. Der Schwerpunkt bildet jedoch noch immer die arbeitsintensive Herstellung von Industrieprodukten. Tunesien verfügt über eine vergleichbar gut ausgebildete Arbeitnehmerschaft.

Marokko hatte bereits in den 1960er Jahren mit dem Aufbau einer Automobilproduktion begonnen. Doch in den folgenden zwei Jahrzehnten ging die Produktion vor Ort kontinuierlich zurück, und auch Zulieferfirmen siedelten sich nicht im nennenswerten Umfang an.

Neue Regeln und Gesetze sorgten für Boom

Erst ein neues Abkommen Mitte der 1990er Jahre sorgte in Marokko für einen neuen Impuls. Obwohl das von Fiat gebaute Modell nur einen Anteil von 25 Prozent an lokaler Produktion vorsah, siedelten sich erste Zulieferunternehmen aus Europa, Asien und Amerika an. Die Unternehmen hatten jedoch nicht nur die Zulieferung für die lokale Produktion im Blick, sondern richteten ihr Augenmerk auf die Produktion von Komponenten und Teilen für den Export. Marokko intensivierte außerdem die Gespräche mit Europa und den USA über Freihandel. Diese führten schließlich zu einem Freihandelsabkommen mit der EU im Jahr 2000 und einem mit den USA im Jahr 2006.

Der freie Warenhandel und zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur dürften die Entscheidung des französischen Automobilherstellers Renault erleichtert haben, Ende 2005 mit der Produktion von Autos der Marke Dacia in Marokko zu beginnen. Die positiven Erfahrungen Renaults führten schließlich zur Investition des Unternehmens in Tanger in einem Umfang von 600 Millionen Euro. Dadurch stieg die Produktionskapazität in Marokko auf rund 230.000 Autos, womit das Königreich nach Südafrika zum größten Automobilproduzenten Afrikas wurde. Neben Renault produziert inzwischen auch der zweite französische Autokonzern Stellantis in Marokko.

Südeuropäische Unternehmen sind Vorreiter

Parallel siedelten sich seit der Jahrtausendwende schrittweise immer mehr Zulieferbetriebe an, die von Marokko aus die europäischen Märkte mit Komponenten bedienten. In der Mehrzahl französische und spanische Unternehmen, welche Produktionsstätten auf der iberischen Halbinsel belieferten, aber zunehmend auch Unternehmen aus Deutschland, Italien sowie außereuropäische Hersteller. Inzwischen sind in Marokko mehr als 250 Unternehmen im Automobilbereich vor Ort aktiv. Die wichtigsten Produktionsstätten befinden sich in Tanger, Casablanca und Kenitra. Die Unternehmen beschäftigen über 200.000 Angestellte und exportierten 2022 Kraftfahrzeuge und Teile im Wert von 10,4 Milliarden Euro. Die Produktionskapazität der Fabriken von Renault und Stellantis liegt derzeit bei rund 700.000 Autos im Jahr. Damit übertrifft die marokkanische Produktionskapazität die der Republik Südafrika. Neben der Produktion bietet Marokko auch Teststrecken und Entwicklungskapazitäten für die Automobilindustrie an.

Es gibt inzwischen mehrere Universitäten beziehungsweise Fachhochschulen, welche Personal für die Autoindustrie ausbilden. Außerdem unterstützt die Regierung den Aufbau einer einheimischen Automarke mit dem Namen Neo. In Ägypten und Algerien werden zwar ebenfalls Autos hergestellt, aber eine umfassende Zulieferindustrie wie in Marokko und Tunesien hat sich bisher nicht entwickelt. Die Produktion ist auf den einheimischen Markt ausgerichtet.

Textilien und Bekleidung

Die Herstellung von Textilien und Bekleidung ist für Nordafrika seit mehreren Jahrzehnten ein wichtiger Industriezweig. Neben der Produktion für den heimischen Bedarf richtet sich die Industrie außerdem auf den Export nach Europa und teilweise auch in die USA aus. Während Marokko und Tunesien vor allem in die EU exportieren, liefert Ägypten einen Großteil seiner Produktion in die USA. Die EU importiert aus Nordafrika Textilien und Bekleidung im Wert von 5,5 Milliarden US-Dollar (US$).

Marokko hat seit den 1960er Jahren die Textilindustrie gefördert. Derzeit werden im Königreich jährlich rund 1 Milliarde Textilien hergestellt. Die etwa 1.600 Unternehmen der Textilwirtschaft beschäftigen rund 200.000 Mitarbeitende. Allerdings spielt in Marokko auch noch der informelle Sektor eine Rolle, weshalb die Anzahl der Beschäftigten nur geschätzt werden kann. Der Textilverband Association Marocaine des Industries du Textile et de l’Habillement plant bis 2035 die Exporte zu verdoppeln.

Spanische Unternehmen nutzen regionale Nähe

Aus dem Ausland sind besonders spanische Unternehmen stark vertreten. Die großen spanischen Bekleidungsunternehmen wie Inditex oder Mango stellen bis zu einem Zehntel ihrer Produkte in Marokko her. Mango hat etwa 2020 bekanntgegeben, dass es in Marokko in 68 Fabriken produzieren lässt. Die Unternehmen können aus Marokko heraus sehr schnell die europäischen Märkte bedienen.

Tunesiens Textilwirtschaft umfasst rund 1.800 Unternehmen und beschäftigt etwa 180.000 Personen. Die wichtigsten Abnehmerländer sind Frankreich, Italien und Deutschland. Bei einzelnen Warengruppen, wie etwa Herrenanzügen, ist Deutschland sogar der wichtigste Absatzmarkt für tunesische Textilien. Auch deutsche Hersteller von Hemden produzieren bereits seit einige Jahrzehnten in Tunesien. Ägypten ist das einzige Produktionsland in Nordafrika, das auch über eigene Baumwolle verfügt. Ein Großteil der Naturfaser wird vor Ort weiterverarbeitet. Insgesamt beschäftigt die Branche über eine Million Angestellte. Während Spinnereien und Webereien zu etwa 90 Prozent in staatlichem Besitz sind, ist die Bekleidungsindustrie größtenteils in privater Hand. Insgesamt sind in der Textilwirtschaft knapp 5.000 Unternehmen tätig.

Landwirtschaft und Nahrungsmittel

Nordafrika gehört zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen der Welt. Wasserknappheit und Dürren waren schon in der Vergangenheit ein Thema. Doch obwohl die meisten Länder einen großen Teil ihrer Lebensmittel importieren müssen, sind sie auch als Exporteure aktiv. Insbesondere in der Wintersaison können die nordafrikanischen Länder landwirtschaftliche Produkte liefern, die in Europa stark nachgefragt sind. Dazu gehören Gemüse, Kartoffeln und Früchte. Die beiden größten Produzentenländer für landwirtschaftliche Exportgüter sind Ägypten und Marokko. Die Landwirtschaft beschäftigt in den meisten Ländern Nordafrikas die größte Anzahl von Menschen und auch die wirtschaftliche Bedeutung ist mit einem Anteil von 10 bis 15 Prozent groß.

Kurze Lieferwege für Gemüse und Früchte

Ägypten ist bei Zitrusfrüchten mengenmäßig sogar der größte Exporteur der Welt. Insgesamt exportiert Ägypten landwirtschaftliche Produkte im Wert von 3,5 Milliarden US$. Neben Zitrusfrüchten im Wert von rund 1 Milliarde US$ waren Kartoffeln mit einem Exportwert von 250 Millionen Euro ebenfalls von Bedeutung. Sowohl europäische Länder als auch asiatische und insbesondere arabische Länder sind wichtige Absatzmärkte für Ägypten. Außerdem führt das Land Nahrungsmittel im Wert von 1,8 Milliarden US$ aus. Ein Großteil der Nahrungsmittel geht in arabische Länder oder auch nach Afrika.

Marokko exportiert ebenfalls landwirtschaftliche Produkte im Wert von 3,5 Milliarden US$. Mit der Ausnahme von Zitrusfrüchten und einigen gefrorenen Gemüse gelangt der gesamte Export nach Europa. Die europäischen Zielmärkte können sowohl per Schiff als auch per Lkw innerhalb von wenigen Tagen erreicht werden. Das wichtigste Exportgut sind Tomaten im Wert von 850 Millionen US$. Es folgen Früchte und Zitrusfrüchte. Auch Gemüse und Bohnen werden in größeren Mengen nach Europa exportiert. Beim Export von Nahrungsmittel ist Marokko mit einem Wert von 2,2 Milliarden US$ führend. Das wichtigste exportierte Nahrungsmittel ist Fisch im Wert von 776 Millionen Euro.

Tunesien ist ein deutlich kleinerer Produzent von Agrarprodukten und Lebensmitteln. Es exportiert lediglich landwirtschaftliche Produkte im Wert von 450 Millionen US$ und Nahrungsmittel im Wert von 150 Millionen US$. Bei Olivenöl ist Tunesien jedoch mit einem Exportwert von 861 Millionen US$ weltweit der drittgrößte Lieferant nach Spanien und Italien.

Energie, Energierohstoffe und Wasserstoff

Nordafrika ist für Europa ein wichtiger Lieferant von Erdgas und Erdöl. In Zukunft könnte Nordafrika auch erhebliche Mengen an Strom und Wasserstoff liefern. Der Anteil Nordafrikas an der weltweiten Produktion ist mit 4,5 Prozent beim Erdgas und 3,7 Prozent beim Erdöl insgesamt relativ klein. Für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas ist Nordafrika jedoch trotzdem wichtig. Etwa 8 Prozent seines Bedarfs an Erdgas und Erdöl importiert Europa bisher aus Nordafrika. Dieser Anteil könnte in den kommenden Jahren erheblich ansteigen.

Algerien ist bisher beim Erdgas das wichtigste Lieferland für Europa. Weltweit verfügt das Land über die zehntgrößten bekannten Erdgasvorkommen. Es exportierte 2021 34,9 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa. Das entsprach knapp einem Fünftel der von Russland gelieferten Erdgasmenge in dem Jahr. Die Exportkapazität der Erdgaspipelines nach Europa liegt jedoch bei 60 Milliarden Kubikmeter.

Ägypten hat nach Algerien die größten bekannten Erdgasvorkommen. Davon wird aber bisher nur ein relativ kleiner Anteil nach Europa exportiert. Wichtiger könnte dagegen in Zukunft Libyen werden, das zwar nur über kleinere Vorkommen verfügt, aber in den nächsten Jahren die Produktion deutlich ausbauen will.

Erneuerbare Energien bieten neue Exportmöglichkeiten

Während momentan der Export von Erdöl und Erdgas im Energiebereich dominiert, wird in den kommenden Jahren die Ausfuhr von Strom und Wasserstoff deutlich wichtiger werden. Nordafrika bietet für die Fotovoltaik und an den Küstenregionen auch für die Windenergie sehr gute Voraussetzungen. Besonders Ägypten und Marokko haben ihre Kapazitäten für erneuerbare Energien zuletzt ausgebaut. Außerdem haben eine Reihe von internationalen Unternehmen angekündigt, in Nordafrika größere Kapazitäten für grüne Energien und die Herstellung von Wasserstoff aufzubauen.

Sobald einzelne nordafrikanische Länder ihren eigenen Bedarf mit erneuerbaren Energien abdecken können, wird der Stromexport nach Europa für beide Seiten sehr attraktiv. Die Entstehungskosten für Solarstrom sind in Nordafrika deutlich günstiger als in Mitteleuropa, weshalb der Export neue Einnahmemöglichkeiten bieten wird.

Die Produktion von Wasserstoff und anderen chemischen Grundstoffen wie Ammoniak wird zusätzliche Möglichkeiten der industriellen Produktion und Wertschöpfung in Nordafrika schaffen. Sowohl Deutschland als auch die EU initiieren derzeit entsprechende Projekte, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) setzt beispielsweise ein Projekt zur Förderung der Wasserstoffwirtschaft in Tunesien um. Die Bedeutung Nordafrikas für die Energieversorgung Europas könnte in Zukunft also sogar noch zunehmen.

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