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Interview | Polen & Baltische Staaten | Beratende Ingenieure

"Rail Baltica-Elektrifizierung ist das größte Projekt in Europa"

Zwei Gleise, vier Länder, 870 Kilometer Trasse – das sind Eckdaten der Rail Baltica, dem großen Bahnprojekt im Baltikum und in Polen. Deutsche Bahnexperten helfen bei der Planung. (Stand: 20.12.2023)

Von Christopher Fuß, Niklas Becker | Warschau, Helsinki

Die Rail Baltica ist eines der umfangreichsten Schienenbauprojekte Europas. Litauen, Lettland und Estland erhalten einen Normalspuranschluss an das europäische Gleisnetz. Die Hochgeschwindigkeitsstrecke wird vom estnischen Tallinn bis zur lettisch-polnischen Staatsgrenze führen. DB Engineering & Consulting (DB E&C), eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, übernimmt unter anderem die Elektrifizierung der Rail Baltica. Geschäftsführer Niko Warbanoff erläutert die Besonderheiten des internationalen Großvorhabens.

Niko Warbanoff; Vorsitzender der Geschäftsführung der DB Engineering & Consulting GmbH | © HCPlambeck

Herr Warbanoff, welche Rolle spielt DB Engineering & Consulting bei der Elektrifizierung der Rail Baltica?

Erlauben Sie mir zunächst die Bemerkung, dass dieses Vorhaben, Rail Baltica, für unser Unternehmen sehr wichtig ist. Hier wachsen Ost- und Mitteleuropa auf der Schiene zusammen, und wir können dazu beitragen.

Die DB E&C und ihre Partner IDOM Consulting, Engineering, Architecture aus Spanien und Italferr aus Italien sind der sogenannte "ENE Engineer" für das Implementierungsprojekt zur Elektrifizierung der Rail Baltica. Die Abkürzung ENE beschreibt das Teilsystem "Elektrifizierung". Es umfasst Anlagen wie die Oberleitung, Bahnumspannwerke und  Fernwirktechnik, also Technik für die Fernüberwachung und -steuerung.

DB E&C ist als Leiter des Joint Ventures gegenüber der Auftraggeberin RB Rail AS für die Projektmanagementprozesse innerhalb des Joint Ventures sowie gegenüber den Stakeholdern in der Umsetzungsphase zuständig.

In welchen Schritten setzen Sie das Projekt um?

In einem ersten Schritt legen wir unter anderem die technischen Parameter fest und bereiten Ausschreibungsunterlagen vor. Mithilfe dieser Dokumentation kann unser Kunde RB Rail dann Angebote für Planungs- und Bauarbeiten einholen. Wenn die Auftragnehmer feststehen, überwachen wir alle weiteren Umsetzungsschritte rund um die Elektrifizierung der Rail Baltica, von der Planung bis zur Inbetriebnahme, einschließlich Gewährleistungszeit.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Der Ausschreibungsprozess läuft voraussichtlich bis Mitte 2024. Anschließend beginnt der Bau, mit dessen Fertigstellung bis 2030 zu rechnen ist.

Welche Bedeutung hat die Arbeit im Konsortium?

Grundsätzlich sind die Aufgaben so verteilt, dass jeder Partner seine besonderen Stärken ins Spiel bringt. Dabei geht es auch um Kapazitäten, denn alleine können Sie solch ein Vorhaben nicht stemmen. Die Elektrifizierung der Rail Baltica ist das größte Projekt dieser Art in ganz Europa. Wir bauen eine komplett neue Infrastruktur auf. Da sind Partner absolut erfolgskritisch.

Vor welchen Herausforderungen steht man bei einem Projekt dieser Größenordnung?

Die Rail Baltica wird durch alle baltischen Staaten verlaufen. Wir haben es mit sehr unterschiedlichen Ländern zu tun. Die Genehmigungsverfahren und Prozeduren in Estland sind anders als die in Lettland oder Litauen. Außerdem gibt es in jedem Land eine andere Ausgangssituation beim Stromnetz. Diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen müssen wir in Einklang bringen.

Hinzu kommt, dass sich die Infrastruktur im Baltikum lange Zeit anders entwickelt hat als in anderen Regionen Europas. Das ist ein Grund dafür, warum den Ländern heute viele Kompetenzen fehlen, die für ein Projekt wie der Rail Baltica nötig sind. Wir helfen unseren Kunden darum auch dabei, neue Fähigkeiten aufzubauen. Sonst gibt es irgendwann eine Eisenbahnstrecke, aber niemanden vor Ort, der sie langfristig betreuen kann.

Sie haben in Riga eine Niederlassung. Welche Rolle spielt das Büro bei Ihren Aktivitäten in den baltischen Staaten?

Die Vertretung in Riga ist für unsere Projekte im Baltikum absolut entscheidend. Die Mitarbeitenden können die Bedürfnisse der Kunden und ihre aktuelle Situation viel besser einschätzen. Punktuell steuern die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland natürlich ihre Expertise bei. Bei unseren internationalen Projekten gibt es üblicherweise eine Mischung aus Kundennähe und gezielten Leistungen aus Deutschland. Wenn es um die Elektrifizierung der Rail Baltica geht, kümmern sich Mitarbeitende in unseren deutschen Büros beispielsweise um das Ausschreibungsmanagement.

Ist eine Vertretung vor Ort auch wichtig, um auf Projekte aufmerksam zu werden?

Projekte rund um die Rail Baltica werden öffentlich ausgeschrieben. Außerdem informiert die federführende Projektgesellschaft RB Rail in regelmäßigen Abständen über die weiteren Schritte. Wenn man die öffentlich zugänglichen Berichte verfolgt, kann man daraus ganz gut ableiten, wann voraussichtlich neue Ausschreibung anstehen. Die baltischen Länder sind ja auf internationale Unterstützung angewiesen. Darum hat die Auftraggeberin ein großes Interesse daran, transparent zu kommunizieren.

Auch Ihre Mitbewerber verfolgen die öffentlichen Bekanntmachungen rund um die Rail Baltica. Wer sind üblicherweise Ihre größten Konkurrenten?

In der Regel handelt es sich um die Tochtergesellschaften von ehemaligen Staatsbahnen. Zudem gibt es einige Planungsbüros aus dem angelsächsischen Raum. Die lokalen Wettbewerber sind zu klein, um einen Auftrag alleine zu gewinnen. Deshalb arbeiten sie in der Regel mit internationalen Partnern wie uns zusammen. Grundsätzlich kann man sagen, dass ein guter Teil der Konkurrenz aus Europa kommt. Wir als Planungsingenieure spüren zumindest bei der Rail Baltica noch keinen Druck aus China oder generell aus Asien.

Welche weiteren Aufgaben nehmen Sie rund um den Bau der neuen Eisenbahnstrecke wahr?

Da gibt es eine ganze Reihe an Vorhaben. Nehmen wir einige Beispiele: In Lettland planen wir gemeinsam mit Partnern einen 71 Kilometer langen Streckenabschnitt von Vangazi nach Misa. Außerdem haben wir die Bauüberwachung bei der Modernisierung des Hauptbahnhofs in Riga übernommen. Rund 20 Kilometer östlich von Riga wird die Rail Baltica den Fluss Daugava überqueren. Wir sind an unterschiedlichen Planungsprozessen rund um die neue Doppelstockbrücke beteiligt. Alles in allem haben unsere Rail-Baltica-Projekte zusammengerechnet einen Wert im zweistelligen Millionenbereich.

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