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Interview | Tschechische Republik | Logistik

"Tschechiens Industrie muss sich breiter aufstellen"

Der Logistiksektor gehört zu den dynamischsten Wirtschaftszweigen in Tschechien. Im Interview erzählt Thomas Gaßmann, Geschäftsführer bei Geis CZ, wie sich die Branche verändert.

Von Gerit Schulze | Prag

Thomas Gaßmann, Geschäftsführer, Geis CZ Thomas Gaßmann, Geschäftsführer, Geis CZ | © Geis CZ s.r.o.

Das Logistikunternehmen Geis Group ist ein klassischer deutscher Mittelständler – inhabergeführt, regional verwurzelt und global unterwegs. Tschechien war der erste Auslandsmarkt für den Familienbetrieb aus Unterfranken. Im Gespräch mit Germany Trade & Invest berichtet Thomas Gaßmann, Geschäftsführer bei Geis CZ, über die Entwicklung in der Region, über Herausforderungen und Zukunftspläne des Unternehmens.

Herr Gaßmann, das Unternehmen Geis ist vor über 30 Jahren nach Tschechien gegangen. Was waren die Herausforderungen in der Anfangszeit?

Durch den Fall des Eisernen Vorhangs tat sich ein riesiger Markt direkt vor unserer Haustür auf. Geis entschloss sich daher gleich 1991, in die damalige Tschechoslowakei zu expandieren. Wir haben mit zwei Leuten in einem Büro in Plzeň angefangen und dort Komplettladungen und Verzollungen organisiert. Es gab damals im Prinzip keine Infrastruktur und ein sehr veraltetes Telefonnetzwerk. Fahrten von Nürnberg nach Prag dauerten mit dem Auto vier bis fünf Stunden. Die Betriebe waren noch sehr sozialistisch geprägt und kaum wettbewerbsfähig. Aber es gab diese Goldgräber- und Aufbruchstimmung. Man spürte, die jungen Menschen wollten etwas verändern. Heute hat Geis über 1.600 Beschäftigte an 24 Standorten in Tschechien.

Sie selbst sind jetzt seit über 15 Jahren in Tschechien. Wie erleben Sie seitdem die Veränderungen im Land?

Die zwei Jahrzehnte seit dem EU-Beitritt sind eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Da es nichts Bewährtes gab, musste alles komplett neu gebaut werden. Das war ein riesiges Glück für Tschechien, das heute eine wesentlich modernere und dadurch bessere IT-Infrastruktur als Deutschland hat. Die Menschen hier haben weniger Berührungsängste vor Veränderungen. Was zum Beispiel in den Schulen schon digital läuft, ist überhaupt nicht zu vergleichen mit Deutschland. Auch die Verkehrsinfrastruktur hat sich dank der EU-Förderung erheblich verbessert. Die anfänglichen Nachteile haben sich in einen Vorteil verwandelt.

"Tschechiens neue Managergeneration ist sehr verhandlungsstark."

Wie haben sich die Geschäftsgepflogenheiten geändert?

In Tschechien ist heute alles viel strukturierter als in den Anfangsjahren der Marktwirtschaft. Die öffentlichen Ausschreibungen finden nach offiziellen Verfahren statt, für die man sich qualifizieren muss. Über Bekanntschaften und lange Geschäftsbeziehungen bekommt man nicht mehr automatisch einen Auftrag. Die neue Managergeneration agiert sehr tough und verhandlungsstark. Das gilt auch für die Beziehungen zu den örtlichen Entscheidern, wo die Handschlagmentalität endgültig vorbei ist. Es ist heute schwerer, an Grundstücke zu kommen, gerade als Logistikbetrieb. Wir brauchen wesentlich mehr Zeit, wenn wir unsere Flächen erweitern wollen. In Ostrava haben wir über fünf Jahre lang Grundstücke für unsere neue Niederlassung gesucht. Früher bekamen wir schneller eine Baugenehmigung, wenn wir in einer Region Arbeitsplätze geschaffen haben.

Was macht Geis in Tschechien?

Das Kerngeschäft in Tschechien besteht aus Sammelguttransporten im eigenen Hub-and-Spoke-System (zentraler Umschlagspunkt, auf den alle Güter kleinerer Verladepunkte zulaufen). Die Laufzeiten von Kunde bis Empfänger (Door-to-Door) betragen 24 Stunden. Darüber hinaus bietet Geis täglich getaktete internationale Linienverkehre in alle europäischen Länder sowie nationale und internationale Teil- und Komplettladungsverkehre an.

In der Kontraktlogistik übernimmt das Unternehmen für seine Kunden ein breites Aufgabenspektrum: Von einfachen Lagerungen mit dazugehörender Distributionslogistik bis hin zu komplexen logistischen Dienstleistungen, die auch einfache Vor- oder Endmontagetätigkeiten beinhalten können. Über moderne IT ist Geis dabei direkt oder über Schnittstellen mit den Kunden verbunden, die in Echtzeit über Lagerbestände, Zugänge und Abgänge informiert werden. Auch Überseegeschäfte ("Air & Sea") wickelt Geis für Kunden in Tschechien ab.

Ein wichtiger Kunde für Logistikunternehmen in Tschechien ist die Automobilbranche. Diese droht, den Technologiewandel zur Elektromobilität zu verpassen. Sehen Sie eine Gefahr für Ihre Geschäfte?

Tschechien hat lange gedacht, die Automobilindustrie läuft von allein und Elektromobilität habe keine große Zukunft. Die Industrie muss sich wieder breiter aufstellen und neue Produktionszweige in den Fokus rücken, denn der Verbrenner steht mittelfristig vor dem Aus. Für uns ist das ein Problem, weil wir viele Kfz-Zulieferer als Kunden haben. Ein Elektroauto braucht deutlich weniger Komponenten und Zulieferer. Deshalb spüren wir Schwierigkeiten in einzelnen Segmenten, können diese aber ausgleichen mit Distributionslogistik, Konsumgütern oder anderen Industrieprodukten. Der Schlüssel zum Erfolg bei Geis ist, dass wir sehr breit aufgestellt sind.

Die letzten 20 Jahre in Tschechien verliefen sehr dynamisch. Was erwarten Sie für die künftigen Geschäfte?

Spätestens seit Mitte 2023 befinden wir uns in einer Rezession, in Deutschland und in Tschechien. Auch wenn sich die Konjunktur wieder erholt, werden wir uns in den nächsten Jahren auf ein moderateres Wachstum einstellen müssen. Es geht nicht mehr darum, jedes Jahr zweistellig zu wachsen, sondern kleinere Schritte zu gehen. Der ganz große Nachholbedarf besteht in Tschechien nicht mehr. Der Markt ist modernisiert, die Menschen haben einen westlichen Lebensstandard. Trotzdem gibt es Luft nach oben, und ich erwarte weiter gutes Wachstum.

"Kombination aus Berufsschule und Praxis gibt es nicht."

Investoren machen zurzeit einen Bogen um Tschechien, weil der Personalmangel hier besonders ausgeprägt ist. Wie geht Geis damit um?

Das ist ein Riesenproblem für uns und hängt zum Großteil mit dem nicht vorhandenen Ausbildungssystem zusammen. Eine Kombination aus Berufsschule und Praxis im Betrieb gibt es nicht. Es fehlt die Ausbildungslogistik für gelernte Speditionskaufleute. Deshalb haben wir in diesem Segment Fachkräftemangel.

Wie rekrutieren Sie dann Personal?

In der Logistik rekrutieren wir oft branchenfremde Leute. Im kaufmännischen Bereich lernen wir das Personal selbst an. Das funktioniert im gewerblichen Bereich ähnlich, hier rekrutieren wir aber auch Mitarbeiter aus anderen Ländern. Körperlich schwere Arbeit und Schichtbetrieb möchten viele Tschechen nicht mehr machen. Dazu ergänzen wir Lagerfachkräfte über Personalvermittlungsagenturen.

Wäre der Euro ein Standortvorteil für Sie in Tschechien?

Als Geschäftsleute hätten wir gern die Gemeinschaftswährung. Denn auch wenn wir mit deutschen oder österreichischen Unternehmen in Euro fakturieren können, bleibt das Kursrisiko. Unsere Kosten für Fahrer, Umschlag, Energie und Treibstoff entstehen in Tschechischen Kronen. Der zum Teil stark schwankende Wechselkurs beeinflusst also unser Ergebnis. Insofern wäre es wünschenswert, wenn sich die Eurozone erweitern würde. Aber das ist ein sehr emotionales Thema in Tschechien. Jeder Politiker, der sich für die Euroeinführung einsetzt, würde bei Wahlen scheitern.

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