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Special Tunesien Krieg in der Ukraine

Ukrainekrieg bremst Tunesiens Konjunktur

Tunesien spürt die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. Schwer wiegen gestiegene Preise für Rohstoffe und die Versorgung mit Weizen. Ausländische Investitionen ziehen an.

Von Peter Schmitz | Tunis

Tunesiens Wirtschaft blickte hoffnungsvoll auf das Jahr 2022. Nachdem die Pandemie strukturelle Schwächen des Landes offen gelegt hatte, zeigten sich zunächst mit dem wieder anlaufenden Tourismus und einer langsam anziehenden globalen Konjunktur positive Tendenzen. Der Krieg in der Ukraine versetzt dieser Hoffnung einen Dämpfer, auch wenn Russland und die Ukraine nicht die wichtigsten Außenhandelspartner Tunesiens sind.

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Zunächst dürfte mit der abflauenden Konjunktur in Europa – wie bereits im Verlauf der Pandemie – die Nachfrage nach Exportgütern sinken. Hier spielt die europäische Automobilindustrie eine Schlüsselrolle. Zudem wird die Erholung des Tourismus schwächer ausfallen als erhofft. Nachdem die Pandemie die Aktivitäten vielerorts zum Erliegen brachte, wird die Zahl der Reisenden auch 2022, ersten Prognosen zufolge, nur bei etwa 60 Prozent des Jahres 2019 liegen. Einige Hotels sind dauerhaft geschlossen. Immer noch dämpfen die Unsicherheiten in Bezug auf die Pandemie die Nachfrage. Touristen aus Russland werden voraussichtlich wegfallen. Mit etwa 600.000 Reisenden pro Jahr war Russland zwar nicht das wichtigste Herkunftsland, aber doch bedeutend und bis zur Pandemie ein stark wachsender Markt. Schwerer trifft die Reisebranche das Wegbleiben algerischen Touristen. Die Einreise über Land ist nach wie vor nur aus nachgewiesenen geschäftlichen Gründen möglich. Im Jahr 2019 stellte Algerien mit etwa 3 Millionen etwa ein Drittel aller touristischen Besucher Tunesiens.

Tunesiens Industrie braucht alternative Lieferanten 

Zahlreiche industrielle Vorprodukte, wie petrochemische Produkte, Ammoniak, Eisen und Stahl, kamen bisher zu einem großen Teil aus Russland oder der Ukraine. Beispielsweise bei Stahl konnten nach Regierungsangaben andere Lieferanten, unter anderem Algerien, gewonnen werden, so dass abgesehen von Preiserhöhungen keine Engpässe zu erwarten sind. Dramatisch sind die Folgen für die Bevölkerung und das Staatsbudget. Denn sowohl bei Energie und Kraftstoffen als auch bei Nahrungsmitteln, vor allem Getreide, ist Tunesien auf Importe angewiesen. Bei Weichweizen liegt der Importanteil bei über 80 Prozent, bei Hartweizen bei etwa 40 Prozent, bei Gerste sind es etwa 50 Prozent. Im Fastenmonat Ramadan, in dem der Verbrauch normalerweise stark ansteigt, waren die Regale teilweise leer, Mehl und Brot waren Mangelware. Es gab sowohl im Dezember 2021 als auch im Mai 2022 Berichte über Schiffe mit Getreidelieferungen, die ihre Ladung zunächst nicht löschten, da die Zahlungen noch nicht vorlagen. Gas zur Energieerzeugung kommt fast ausschließlich aus Algerien. Russland ist ein mit etwa 15 Prozent Anteil wichtiger Lieferant von Erdöl, sowie der fast ausschließliche Lieferant von Ammoniak. Das Budgetdefizit erhöhte sich von 3,3 Prozent im Jahr 2019 auf 9,7 Prozent im Jahr 2020 (2021: 8,3 Prozent). Für 2022 war ein Defizit von 6,7 Prozent geplant. Angesichts der hohen Nahrungsmittel- und Energiepreise dürfte es aber auf über zehn Prozent steigen.

Tunesische Einfuhren ausgewählter Waren (2019) *)

Ware

Herkunft

Wert (Mio. US$)

Menge (in 1.000 t) 

Anteil (Menge, in %)

Weizen und Mengkorn (HS 1001)

Insgesamt

459,4

1.848,9

Russ. Föderation

18,6

78,9

4,2

Ukraine

223,2

983,2

53,1

Mais (HS 1005)

Insgesamt

192,7

1.025,8

Russ. Föderation

-

-

-

Ukraine

116,2

615,2

60,3

Erdöl und Öl aus bituminösen Mineralien (ausg. rohe Öle, HS 2710)

Insgesamt

1.957,5

3.326,8

Russ. Föderation

287,4

511,3

14,6

Ukraine

-

-

-

Ammoniak, wasserfrei oder in wässriger Lösung (HS 2814)Insgesamt

45,2

169,0

Russ. Föderation

45,2

169,0

99,9

Ukraine

-

-

-

Halbzeug aus Eisen oder nichtlegiertem Stahl (HS 7207)

Insgesamt

189,4

413,7

Russ. Föderation

130,8

130,8

31,3

Ukraine

108,3

108,3

27,1

*) Die letzten vollständigen Zahlen aus UN Comtrade sind aus dem Jahr 2019. Die nationale tunesische Statistik ist weniger detailliert. Quelle: UN Comtrade


Der tunesische Haushalt 2022 basierte auf einem angenommenen Ölpreis von 75 US-Dollar (US$). Der Staat subventioniert Energie und Kraftstoffe. Auch Getreide wird zu subventionierten Preisen verkauft. Der Preis für subventioniertes Brot liegt seit Anfang der 1980er Jahre bei etwa 6 Eurocent. Alleine für Subventionen auf Getreide rechnete die tunesische Zentralbank im März 2022 mit Mehrausgaben von etwa 120 Millionen Euro. Bei Kraftstoffen könnte die Summe – je nach Entwicklung der Preise – bei etwa 1 Milliarde Euro liegen. Der tunesische Dinar verlor seit Anfang März gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert, was die Auswirkungen der Preissteigerungen noch verstärkt. Im Frühjahr 2022 lag die Staatsverschuldung bei knapp 93 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), 2016 waren es noch etwa 65 Prozent. Seit dem Sommer 2022 wurde Tunesien bereits zwei Mal von Ratingagenturen herabgestuft (Moody’s von B3 zu Caa1, Fitch von B zu CCC). Die Risiken sind nun nochmals stark gestiegen. Die prekäre finanzielle Situation der Regierung und der Staatsunternehmen wirkt sich auch auf den Finanzplatz aus. Kredite für tunesische Unternehmen sind bereits kaum finanzierbar. Die tunesische Zentralbank hob den Leitzins im Mai 2022 von 6,25 auf 7,0 Prozent an. Sie erwartet im Jahresverlauf eine Inflation von mehr als 10 Prozent. 

Ausländische Direktinvestitionen steigen

Im März 2022 lag die Inflation in Tunesien bei 7,5 Prozent, im Januar noch bei 6,6 Prozent. Seit Mitte Mai sind die festgelegten Preise für Milch, Brot und Kraftstoffe erhöht worden; die Preise für Strom und Gas bereits im März, im Mai 2022 nochmals. Für die ohnehin bereits angespannte soziale Lage sind das alles keine guten Nachrichten. Die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über eine neue Kreditlinie über 4 Milliarden US$ ziehen sich seit Monaten. Die Verlautbarungen deuten darauf hin, dass die Reformzusagen der Regierung nicht ausgereicht haben. Angesichts der dramatischen Situation ist aber ein Entgegenkommen des IWF und anderer Geber zu erwarten. Die ausländischen Direktinvestitionen gingen 2020 um fast 30 Prozent zurück und blieben 2021 relativ konstant. Im ersten Quartal 2022 gab es einen Zuwachs um 20 Prozent. Unter anderem eröffnete Sartorius Stedim Biotech im Mai 2022 die Erweiterung des bestehenden Standorts. Mit der Investition von 20 Millionen Euro soll das Personal von 300 auf 800 Mitarbeitende wachsen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die ausländischen Investitionen im weiteren Jahresverlauf 2022 entwickeln. Tunesien könnte als alternativer Standort in Frage kommen, wenn Unternehmen, beispielsweise Automobilzulieferer, ihre Produktion aus Osteuropa verlagern sollten.

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