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Branche kompakt | Brasilien | Chemische Industrie

Brasiliens Chemieindustrie vor Trendwende

Nach schwachen Jahren steht Brasiliens Chemieindustrie am Wendepunkt. Viele Faktoren sprechen dafür, dass Produktion und Investitionen ab 2024 wieder Auftrieb erhalten.

Von Gloria Rose | São Paulo

Ausblick der chemischen Industrie in Brasilien

Bewertung:

  • Brasiliens Nachfrage nach chemischen Produkten wächst schwach.
  • Bislang profitierte nur der Import von dem Marktwachstum.
  • Zollerhöhungen sollen die Einfuhr zugunsten der inländischen Produktion einschränken.
  • Förderprogramme und verstärkte Investitionen des Ölkonzerns Petrobras werden die Produktion von Dünger und Kraftstoffen mittelfristig steigern.

Anmerkung: Einschätzung der Autorin für die kommenden zwölf Monate auf Grundlage von prognostiziertem Umsatz- und Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigungsstand, Auftragseingängen, Konjunkturindizes etc.; Einschätzungen sind subjektiv und ohne Gewähr; Stand: März 2024

  • Markttrends

    Nach dem Krisenjahr 2023 bleibt die Nachfrage nach Industriechemikalien schwach. Für Bioethanol, Agrarchemie sowie Farben und Lacke stehen die Zeichen dagegen auf Wachstum.

    Weltweit schwächelt die Chemieindustrie. Brasilien ist keine Ausnahme. Deutlich niedrigere Preise drückten den Umsatz auf dem brasilianischen Markt 2023 um 13,7 Prozent auf ein Volumen von 167,4 Milliarden US-Dollar (US$). Gerechnet in brasilianischen Reais (R$) schrumpften die Umsätze sogar um 16 Prozent. Diese Zahlen gab der Verband der Chemieindustrie Abiquim im Dezember 2023 bekannt.

    Am stärksten trugen die Sparten Industrie- und Agrarchemikalien zu dem Rückgang bei. Auch bei synthetischen und künstlichen Fasern ging der Umsatz 2023 zurück. Dagegen verzeichneten Kosmetika, Pharmazeutika sowie Farben und Lacke ein zweistelliges Umsatzwachstum. Der Markt für Reinigungsmittel entwickelte sich ebenfalls positiv. 

    47 %

    seines Bedarfs an Industriechemikalien importierte Brasilien 2023.

    Industriechemikalien in der Krise

    Im vergangenen Jahr gingen die Produktion und der Inlandsverkauf der brasilianischen Hersteller von Industriechemikalien um etwa 10 Prozent zurück. Die schwache Nachfrage bringt den Sektor ans äußerste Limit.

    Für Plastikharze begann das Jahr 2024 schwach. Schlechter als 2023 könne es jedoch kaum werden, meint Laércio Gonçalves vom Handelsverband Adirplast. Die besten Chancen sieht er für Polyethylenterephthalat (PET). Auch der Branchenverband Abipet ist für den Bereich optimistisch gestimmt. Er prognostiziert einen Anstieg der Nachfrage nach PET um 5 Prozent.

    Der Verband der Kunststoffverarbeiter Abiplast erwartet, dass die Produktion seiner Branchenunternehmen im 1. Halbjahr 2024 stagniert und ab dem 2. Halbjahr erneut anzieht. Das stimuliert insbesondere den Markt für Polyvinylchlorid (PVC), der von dem Wachstum im sozialen Wohnungsbau und den Investitionen der Wasserwirtschaft profitiert. Der Markt für Polyethylen (PE) dürfte sich erholen, der für recyceltes PE wächst zweistellig. Möglicherweise wird die Produktion von Kfz und Haushaltsgeräten auch in diesem Jahr stagnieren, was den Markt für Polypropylen (PP) und Polystyrol (PS) weiter bremst.

    Das Jahr 2023 war es ein schwieriges Jahr für die verarbeitende Industrie in Brasilien. Infolge der weiterhin hohen Zinsen schwächelt die Nachfrage noch Kapital- und langlebigen Verbrauchsgütern. Die Produktion des verarbeitenden Gewerbes ging um 1 Prozent zurück. Dies führte zu einem Rückgang der Nachfrage nach Industriechemikalien um 1,5 Prozent. Weil die Einfuhr von Industriechemikalien gleichzeitig um nominal 7,8 Prozent zulegte, kletterte der Importanteil in der Sparte 2023 auf ein Rekordniveau von 47 Prozent.

    Farben und Lacke im Aufwärtstrend

    Für das Jahr 2024 erwartet der Branchenverband Abrafati ein Wachstum des Absatzes von Farben und Lacken um 2 bis 2,5 Prozent, nach einem Plus von 3,4 Prozent auf 1,87 Milliarden Liter im Jahr 2023. Angetrieben wurde die Entwicklung besonders durch den Bereich Immobilienfarben, der mehr als 80 Prozent des Verkaufsvolumens ausmacht. Aufgrund der stark gestiegenen Nachfrage im Südosten Brasiliens legte das Marktsegment 2023 um 3,6 Prozent zu.

    Auch der Markt für Kfz-Reparaturlacke sowie für Industriefarben und -lacke entwickelte sich 2023 positiv. Der Absatz stieg um 2 respektive 3,5 Prozent. Dagegen verzeichnete das Segment Fahrzeuglacke an Original Equipment Manufacturer (OEM-Hersteller) einen Rückgang um 1,2 Prozent und liegt damit weiter unter dem Vorkrisenniveau von 2019. 

    Preise für Agrarchemie stabilisieren sich

    Nach der Rekordernte 2022/2023 erwartet der Agrarverband CNA einen leichten Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion. Die Bruttowertschöpfung des Sektors könnte 2024 um bis zu 1 Prozent abnehmen, nachdem sie im Vorjahr um 15,1 Prozent zugelegt hatte.

    Mit bis zu drei Ernten pro Jahr und stets wachsenden Anbauflächen bleibt Brasilien der wichtigste Markt für Pflanzenschutzmittel und der größte Importeur von Düngemitteln weltweit. Allmählich klingen die Verwerfungen auf dem globalen Markt für Agrarchemie ab. Diese hatten gravierende Auswirkungen auf Brasilien. Schließlich muss das Land 90 Prozent der Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel und etwa 85 Prozent der Nährstoffe für Dünger importieren.

    Doch mit der Stabilisierung der Lieferketten normalisiert sich der Markt und die Preise sinken. Dies erklärt den Umsatzrückgang bei Agrarchemikalien um 5 Prozent auf 19 Milliarden US$ im Jahr 2023, den der Branchenverband Sindiveg meldet. Die Aussichten für das Erntejahr 2023/24 sind positiv. Branchenexperten erwarten eine Erweiterung der behandelten Agrarflächen um 3,7 Prozent und somit eine weiter steigende Nachfrage.

    Noch deutlicher wirkten sich die gesunkenen Preise 2023 auf die Düngemittelsparte aus. Während die Importe um 14 Prozent auf ein Rekordniveau von 39,4 Millionen Tonnen stiegen und der inländische Verkauf um 11,6 Prozent auf 45,8 Millionen Tonnen wuchs, brach der Branchenumsatz um 30 Prozent ein. Die inländischen Produzenten mussten Einbußen hinnehmen. Ihre Produktion sank um 8,8 Prozent, berichtet der Verband ANDA. Für 2024 erwarten die Marktführer Mosaik und Yara ein Wachstum der lokalen Produktion von 2 bis 3 Prozent.

    Absatz von Bioethanol soll 2024 um 20 Prozent zulegen

    Die Nachfrage nach Bioethanol legte 2023 um 4,5 Prozent auf 16,2 Milliarden Liter zu. Damit blieb das Wachstum hinter dem Zuwachs des Benzinverbrauchs zurück, der um 6,3 Prozent auf 46 Milliarden Liter anstieg. Doch erstmals seit der Pandemie lohnt es sich in Brasilien 2024 wieder mehr, Bioethanol zu tanken. Denn in diesem Jahr vergrößern Steuererhöhungen auf Benzin den Preisvorteil von Biosprit. Entsprechend könnte der Ethanolverkauf 2024 um mehr als 20 Prozent steigen, während der von Benzin leicht sinkt, erwartet das Beratungsunternehmen StoneX.

    Brasiliens gesamter Kraftstoffverbrauch stieg 2023 um 4,8 Prozent auf 129,7 Milliarden Liter. Etwa die Hälfte davon entfällt auf Diesel. Angetrieben durch das starke Agribusiness steigt der Dieselkonsum kontinuierlich, im Jahr 2023 um 3,6 Prozent.

    Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in BrasilienInvestitionssumme in Millionen US-Dollar *)
    Akteur / Projekt

    Investitionssumme

    Projektstand/Anmerkungen
    Unigel / Elektrolyseanlage für Stickstoffdünger in Camaçari (Bahia)

    1.500

    Ankündigung im August 2022; Ausbau in 3 Phasen: bis Ende 2023: 60 Megawatt, bis Ende 2025: 240 Megawatt, bis Ende 2027: 600 Megawatt
    Petrobras / Ausbau der Raffinerie RNEST in Ipojuca (Pernambuco)

    1.200 bis 1.600

    Ankündigung im Januar 2024, Ausbau der Verarbeitungskapazität: bis 2025: Erweiterung um 30.000 Tonnen auf 130.000 Tonnen Rohöl; bis 2028: Verdopplung auf 260.000 Tonnen Rohöl
    Petrobras / Fertigstellung der Stickstoffdüngeranlage UFN 3 in Três Lagoas (Mato Grosso do Sul)

    1.000

    Petrobras sucht Investitionspartner; Bau wurde 2014 zu 80 Prozent fertiggestellt; wegen Abschreibungen/Verfall fehlen heute noch 30 Prozentzur Fertigstellung; Inbetriebnahme bis Ende 2026; Produktionskapazität pro Tag: 3.600 Tonnen Harnstoff/2.200 Tonnen Ammoniak
    Atlas Agro Brasil Fertilizantes / Elektrolyseanlage und Stickstoffdüngerfabrik in Uberaba (Minas Gerais)

    850

    Produktion von 2,5 Gigawattstunden pro Jahr, Baubeginn im 1. Halbjahr 2024, Inbetriebnahme ab 2028
    Coamo Agroindustrial / Produktionsanlage von Ethanol aus Mais in Campo Mourão (Paraná)

    334

    Ankündigung im Dezember 2023
    Raízen / Modernisierung der Zuckerrohrverarbeitung zur Produktion von Bioethanol der 2. Generation in Caarapó (Mato Grosso do Sul) 

    260

    Ankündigung im August 2023
    Unipar / Modernisierung der Chlor-Alkali-Produktion in Cubatão (São Paulo)

    200

    Investition in Produktionseffizienz und Nachhaltigkeit: Vermeidung von 70.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr und Verzicht auf Quecksilber
    * in einigen Fällen Umrechnung von Angaben in R$ zum durchschnittlichen Wechselkurs 2023: 1 US$ = 5,00 R$.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2024

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie

    Brasiliens Chemieindustrie bietet viel Potenzial zur Dekarbonisierung. Dies gilt nicht zuletzt für die Düngemittelproduktion. Biokraftstoffe sparen schon heute viel CO2 ein.

    Brasilien bietet hervorragende natürliche Bedingungen für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Industrie:

    • einen vorbildlich grünen Strommix
    • einen äußerst kostengünstigen Zugang zu erneuerbarer Energie und
    • ein immenses Potenzial für Bioenergie.

    Laut einer aktuellen Studie des Chemieverbands Abiquim sind die Emissionen bei der Produktion von Chemikalien in Brasilien heute 5 bis 35 Prozent niedriger als in Europa. Im Vergleich zu US-amerikanischen oder chinesischen Produkten sind die Emissionen teilweise nur halb so hoch.

    Dank der günstigen grünen Energie hat Brasilien bei der Elektrifizierung chemischer Prozesse Vorteile im internationalen Wettbewerb. Die vier größten Petrochemiehersteller Braskem, Dow, Unipar und Unigel verstärken bereits ihre Investitionen in erneuerbare Energien.

    Doch die natürlichen Vorteile sind nicht alles, denn sowohl die USA als auch die EU locken Investoren mit gewaltigen Förderinstrumenten wie dem Inflation Reduction Act (IRA) beziehungsweise dem Green Deal. Um zusätzliche Anreize zu setzen, verabschiedete die brasilianische Regierung deshalb Anfang 2024 das Programm Nova Indústria Brasil, das ein Fördervolumen von rund 60 Milliarden US-Dollar (US$) bis 2026 umfasst. Ziel Brasiliens ist es, den jahrelangen Trend der Deindustrialisierung umzukehren und neue Industriebetriebe anzulocken, allen voran aus energieintensiven Zweigen.

    Brasilien setzt bei Wasserstoff auf grünen Strom und Bioenergie

    Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle bei den industriepolitischen Plänen der Regierung. Im Rahmen des 2023 verabschiedeten Dreijahresplans (2023 bis 2025) des Programa Nacional do Hidrogênio (PNH2) erarbeitet Brasilien nach und nach eine eigene Wasserstoffstrategie. Derzeit entscheidet der Senat über den Gesetzesvorschlag 2308/2023, der den Rechtsrahmen für die Wasserstoffwirtschaft festlegt. Das PNH2-Komitee legt den Schwerpunkt auf "CO2-armen Wasserstoff" anstelle von "grünem Wasserstoff". Dieser Begriff schließt die Verwertung der im Land im reichlich vorhandenen Bioenergie ein.

    Die Aussicht auf Absatzchancen am europäischen Markt stimuliert bereits erste Wasserstoffprojekte an Petrochemie- und Hafenkomplexen, die somit auch prädestiniert sind für grüne Chemieprojekte. Das Gros der Investoren konzentriert sich dabei auf Standorte mit Freihandelszonen. Hierzu zählen:

    • Pecém (Bundesstaat Ceará)
    • Parnaíba (Piauí)
    • Suape (Pernambuco) und
    • Porto do Açu (Rio de Janeiro)

    Der Hafenkomplex Camaçari in Bahia verfügt über keine ZPE (Zona de Processamento de Exportação) und fokussiert eher auf die lokale Verwertung ebenso wie der Petrochemiekomplex Cubatão in São Paulo.

    Petrochemie in São Paulo nutzt Biomethan 

    Die deutsche Unternehmensberatung Roland Berger beziffert das mögliche Potenzial Brasiliens zur Erzeugung von Biomethan im Jahr 2050 auf 59 Milliarden Kubikmeter. Davon entfallen allein 30 Prozent auf den Bundesstaat São Paulo. Denn das Wirtschaftszentrum des Landes ist auch Brasiliens bedeutendster Produzent von Zuckerrohr und Bioethanol. 

    Die Region will ihr immenses Potenzial unter anderem nutzen, um den Petrochemiestandort Cubatão zu dekarbonisieren und wiederzubeleben. Der norwegische Düngerkonzern Yara ersetzt hier bereits herkömmliches Erdgas durch Biomethan und plant, den Anteil nach und nach zu erhöhen. Dafür schloss Yara langfristige Lieferverträge mit dem Bioethanolkonzern Raízen ab. Nun wirbt die Regierung des Bundesstaats aktiv um Investoren und verspricht Unterstützung. Im Oktober 2023 kündigte Unipar an, seine Chlor-Alkali-Anlage in Cubatão zu modernisieren.

    Chlor-Alkali-Branche veröffentlicht Roadmap

    Maßnahmen zur Dekarbonisierung und der steigende Bedarf der brasilianischen Wasserwirtschaft treiben die Chlor-Alkali-Hersteller zu Investitionen. Der Branchenverband Abiclor veröffentlichte im August 2023 eine Roadmap bis 2035 mit konkreten Maßnahmen. Zwischen 2022 und 2025 wird die Branche voraussichtlich 1 Milliarde US$ investieren. Rund 15 Prozent der Produktion sollen in dem Zeitraum auf saubere Technologien umgestellt werden. 

    Düngerproduzenten investieren in Elektrolyse

    Die Düngemittelproduktion ist ein wichtiger Bereich für die Dekarbonisierung Brasiliens. Schließlich hat das kapitalstarke Agrobusiness ein zunehmendes Interesse daran, seinen CO2-Fußabdruck zu mindern. Die Petrochemiegruppe Unigel betreibt zwei Stickstoffdüngeranlagen, eine in Laranjeiras (Sergipe) und eine in Camaçari (Bahia). Seit Mitte 2022 errichtet Unigel am Standort Camaçari Brasiliens erste Elektrolyseanlage zur Produktion von grünem Ammoniak im Industriemaßstab. Ende 2023 kündigte der Schweizer Konzern Atlas Agro Investitionen in eine Elektrolyseanlage im Staat Minas Gerais an. 

    Im Februar 2024 gab der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras bekannt, eine Pilotanlage zur Wasserstoffelektrolyse zu errichten. Außerdem unterzeichnete Petrobras Absichtserklärungen mit Unigel und Yara, um gemeinsame Projekte zur Dekarbonisierung zu entwickeln.

    Wachstumskurs für Biokraftstoffe ist vorgezeichnet

    Brasilien will seine Vorreiterrolle bei Biokraftstoffen für die Energiewende nutzen. Der Gesetzesvorschlag 4516/2023 sieht vor, den Beimischungsanteil von Ethanol in Benzin auf eine Spanne von 22 bis 35 Prozent anzuheben. Derzeit liegt der Anteil zwischen 18 und 27,5 Prozent.

    Der Beimischungsanteil von Biodiesel stieg im März 2024 auf 14 Prozent. Ab 2025 soll der Anteil um einen Prozentpunkt pro Jahr zulegen und im März 2030 die 20-Prozent-Marke erreichen. Bei Flugkraftstoffen sieht das Programm ProBioQAV eine Beimischung von 1 Prozent nachhaltigem Kraftstoff ab 2027 vor.

    Über den Handel mit den CO2-Zertifikaten CBios erwirtschaften die Produzenten von Biokraftstoffen seit 2020 zusätzliche Erlöse. Das gilt nicht nur für die traditionelle Zucker-Ethanol-Industrie, sondern auch für Anlagen, die Mais nutzen. Letztere produzieren mittlerweile fast 20 Prozent des Bioethanols in Brasilien. Bis 2030 soll die jährliche Produktion von Ethanol-Kraftstoff aus Mais auf 10 Milliarden Liter zulegen. 

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Branchenstruktur

    Preisgünstige Chemieimporte verdrängen die lokale Produktion. Investitionen konzentrieren sich auf die Chlor-Alkali-Industrie, Düngemittel und Kraftstoffe.

    Brasilien ist einer der wichtigsten Märkte für die Chemieindustrie weltweit. Laut dem deutschen Verband der Chemischen Industrie (VCI) bezifferte sich der Umsatz mit Chemieprodukten in dem Land 2022 auf 119,9 Milliarden Euro. Nur in China, den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Südkorea lag der Umsatz noch höher. In Bezug auf den Verbrauch erreichte Brasilien weltweit Platz 5.

    Die Chemieindustrie ist eine der wichtigsten Branchen Brasiliens. Die landesweit rund 1.650 Hersteller von Industriechemikalien und chemischen Endprodukten tragen etwa 11 Prozent zur Bruttowertschöpfung der Industrie bei.

    Chemieindustrie am Tiefpunkt

    Allerdings steht die Branche unter Druck, allen voran durch preisgünstige Importprodukte. Während etwa die Einfuhr von Industriechemikalien 2023 um 7,8 Prozent zulegte, schrumpfte der Absatz der lokalen Hersteller auf dem Binnenmarkt um 9,4 Prozent. Auch die Exporte gingen zurück. Sie verzeichneten ein Minus von 10,9 Prozent, nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise im Nachbarland Argentinien. In der Folge sank die inländische Produktion 2023 um 10,1 Prozent.

    Einen so drastischen Produktionsrückgang hat die Chemieindustrie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Im Durchschnitt lastete die Branche ihre Produktionskapazitäten 2023 nur noch zu 64 Prozent aus. Das sind 6 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr.

    Die Produktion liegt schon seit 2007 unterhalb der wirtschaftlich notwendigen Grundauslastung, gibt Abiquim an. Seit fast einem Jahrzehnt investieren die Konzerne fast ausschließlich in Wartung und Modernisierung. Dabei steigt die Nachfrage nach Agrarchemikalien von Jahr zu Jahr stark an und treibt das Außenhandelsdefizit in diesem Bereich auf immer neue Rekordhöhen.

    Umsatz ausgewählter chemischer Erzeugnisse in Brasilien In Milliarden US-Dollar; Veränderung und Marktanteil in Prozent

    Sparte

    2023

    Veränderung 2023/2022 *)

    Marktanteil

    Industriechemikalien

    60,3

    -27,5

    36

    Pharmazeutika

    34,3

    18,2

    20,5

    Düngemittel

    25,5

    -28,6

    15,2

    Pflanzenschutzmittel

    19

    -5,0

    11,4

    Kosmetika

    11,9

    21,4

    7,1

    Reinigungsmittel

    7,1

    2,9

    4,3

    Farben und Lacke

    5,6

    10

    3,3

    Künstliche und synthetische Fasern

    0,9

    -16,5

    0,5

    Andere

    2,8

    -13,8

    1,7

    Insgesamt

    167,4

    -13,7

    100

    * Veränderungsrate bezieht sich auf den Umsatz in US$.Quelle: Abiquim 2024

    Petrochemie hofft auf Schutz vor Billigimporten

    Der Chemieverband Abiquim fordert Antidumping-Maßnahmen gegen 77 Basischemikalien. Globale Überkapazitäten hauptsächlich in China aber auch den USA und anderen Ländern überschwemmen den brasilianischen Markt. Lokal erzeugte Chemikalien können preislich nicht mithalten. Denn die Preise für Naphtha und Erdgas, hohe Steuern und Logistikkosten verteuerten den Standort, meint Abiquim. Umso wichtiger war die Entscheidung der Regierung im August 2023, das Förderprogramm Regime Especial da Indústria Química (REIQ), über das etwa 25 Petrochemieunternehmen Steuererleichterungen erhalten, weiterzuführen.

    Aussicht auf Investitionen verbessert sich

    Ende 2023 bezifferte Abiquim das voraussichtliche Investitionsvolumen im Bereich Industriechemikalien zwischen 2023 und 2027 auf nur 1,4 Milliarden US$. Doch durch den Trend zur Dekarbonisierung und Brasiliens günstiger grüner Energie verbessert sich die Attraktivität des Standorts. Investoren aus China und aus dem Nahen Osten haben Brasilien im Blick.

    Brasiliens Wasserwirtschaft expandiert und der inländische Bedarf an Chlor wird stark steigen. Dementsprechend verzeichnet die Chlor-Alkali-Industrie bereits eine Reihe an Investitionsprojekten. Zwischen 2022 und 2025 wird die Branche voraussichtlich 1 Milliarde US$ investieren. 

    Förderung für Düngemittel

    Um die Lieferketten langfristig zu sichern, veröffentlichte die Regierung im März 2022 ein Strategiepapier. Der Plano Nacional de Fertilizantes (PNF) strebt an, die Importabhängigkeit in den kommenden 30 Jahren von derzeit 85 auf 50 Prozent zu reduzieren. Derzeit debattiert der Senat über ein neues Förderprogramm für den Sektor. PROFERT soll steuerliche Anreize zur inländischen Produktion setzen.

    Laut Sinprifert, dem Branchenverband der Düngemittelindustrie, planen die Hersteller derzeit Investitionen von über 4 Milliarden US$ bis 2026. Auf Brasiliens Düngemittelmarkt herrscht eine hohe Marktkonzentration: Die vier größten Unternehmen Mosaic, Yara, Fertipar und Eurochem bedienen etwa drei Viertel der Nachfrage. 

    Hoher Wettbewerb am Pflanzenschutzmarkt

    Biochemische und biologische Pflanzenschutzmittel erwirtschaften einen immer höheren Umsatzanteil. Die Branche investiert entsprechend. Laut dem Marktforschungsinstitut Kynetec handelte es sich bei einem Viertel der 55 Produkte, die im 1. Halbjahr 2023 für den Markt zugelassen wurden, um biologische Mittel. Aufgrund schnellerer Zulassungsverfahren und der Harmonisierung im Außenhandel kommen mehr Produkte auf den Markt, darunter hauptsächlich Generika.

    Petrobras investiert in Diesel und Biokraftstoffe

    Große Investitionspläne verfolgt der Ölkonzern Petrobras. Rund 17 Milliarden US$ wendet der halbstaatliche Konzern von 2024 bis 2028 für die Verarbeitung, den Transport und den Vertrieb von Kraftstoffen auf. Die Dieselproduktion wird an fünf Raffinerien ausgebaut:  

    • GasLub in Itaboraí

    • Revap in São José dos Campos

    • Regap in Betim

    • Replan in Paulínia und

    • Rnest in Ipojuca

    Hinzu kommen 1,5 Milliarden US$ für Biokraftstoffe. Zudem nimmt Petrobras den Betrieb der Stickstoffdüngeranlage Ansa wieder auf. Für die Fertigstellung der Düngerfabrik UFN 3 versucht der Konzern, arabische Investitionspartner zu gewinnen.

    Petrobras verkaufte bis Ende 2022 vier der vormals 14 Raffinerien. Doch mit dem Regierungswechsel 2023 kamen die Privatisierung des Ölkonzerns, die Veräußerung weiterer Raffinerien sowie der Verkauf des Petrochemiekonzerns Braskem zu einem Stopp. Heute wird Brasiliens Kraftstoffmarkt zu etwa 60 Prozent von Petrobras bedient. Rund 20 Prozent des Treibstoffs werden importiert und weitere 20 Prozent von den landesweit acht privaten Raffinerien erzeugt.

    Erdgas aus Tiefseefeldern und Argentinien

    Brasilien profitiert von den großen Öl- und Gasvorkommen vor der Küste und steigert die Produktion von Jahr zu Jahr. Dadurch kann das Land die bisherigen Lieferungen aus Bolivien ersetzen, die zur Neige gehen. Bereits Ende 2024 soll eine Pipeline den Petrochemiestandort GasLub Itaboraí in Rio de Janeiro versorgen. Eine zweite Pipeline zum GasLub und die Pipeline in Sergipe gehen bis 2029 respektive 2028 in Betrieb. Zudem soll zukünftig Erdgas aus den Vaca-Muerta-Vorkommen in Argentinien über das Pipelinesystem Boliviens nach Brasilien fließen.

    Wichtige Branchenunternehmen in Brasilien Umsatz in Milliarden US-Dollar; Veränderung in Prozent

    Unternehmen

    Sparte

    Umsatz 2022 1)

    Veränderung 2022/2021 2) 

    Braskem

    Petrochemie

    18,7

    -8,6

    Mosaic

    Düngemittel

    8,3

    55,9

    Yara Brasil

    Düngemittel

    5,8

    24,8

    Syngenta

    Pflanzenschutz

    5,5

    45,2

    Fertipar

    Düngemittel

    5,1

    29

    BASF

    Chemie

    4,7

    16,9

    UnigelChemie

    1,9

    27,3

    UPL do BrasilPflanzenschutz

    1,6

    5,5

    FMCPflanzenschutz

    1,6

    26,7

    Cibra

    Düngemittel

    1,5

    63,5

    1 umgerechnet zum Durchschnittswechselkurs 2022: 1 US$ = 5,16 R$; 2 Veränderungsrate bezieht sich auf den Umsatz in R$.Quelle: Ranking "Valor 1000" 2024

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Rahmenbedingungen

    Anpassungen an OECD-Standards und die Steuerreform verbessern das Geschäftsumfeld. Kurzfristig wird es jedoch noch komplexer.

    "Brasilien ist nichts für Anfänger", heißt es beim Briefing fast aller Delegationsreisen. Die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas schottete ihren Markt lange ab. Das komplexe Steuersystem deutschen Unternehmensvertretern verständlich zu machen, ist immer wieder eine große Herausforderung. 

    Seit 2016 harmonisiert Brasilien Verfahren mit dem Ziel, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beizutreten. Beispielsweise sind ab 2024 neue Verrechnungspreisvorschriften anzuwenden, die die OECD-Leitlinien umsetzen. Mittelfristig vereinfacht die Übernahme globaler Standards den internationalen Handel. Mit dem Regierungswechsel 2023 kam der OECD-Beitrittsprozess allerdings ins Stocken.

    Im Jahr 2023 beschloss Brasilien eine Steuerreform, die den Industriesektor begünstigt und die Bürokratie reduziert. In der zehnjährigen Übergangszeit erhöht sich jedoch die Komplexität. 

    Brasilien verwendet die Nomenklatur (Nomenclatura Comum do Mercosul, NCM) und den gemeinsamen Zolltarif (Tarifa Externa Comum, TEC) des Mercosur. Bei einigen Chemikalien weicht das Land aber von den Zollsätzen der Staatengemeinschaft ab. Nach dem Regierungswechsel 2023 machte die neue Regierung unter Präsident Lula da Silva deutliche Zollsenkungen auf thermoplastische Kunststoffe rückgängig.

    Tipps für den Markteinstieg

    • Lassen Sie sich vor Vertragsabschlüssen professionell beraten. Einige Kanzleien bieten einen German Desk an.
    • Suchen Sie Vertriebspartner aus der Branche bevorzugt im Industriebundesstaat São Paulo.
    • Oft lohnt es sich, Zoll und Logistik einem Trader zu überlassen, da dieser Steuervorteile nutzen kann.
    • Die Auslandshandelskammern können beim Aufbau von Geschäftskontakten unterstützen.

    Bei vielen Chemieerzeugnissen reicht eine einfache Einfuhrerklärung (Declaração de Importação) nicht aus und es muss eine Importgenehmigung (Licença de Importação) eingeholt werden. So sind Medikamente oder Wirkstoffe vorab bei der Gesundheitsaufsicht Anvisa zu registrieren. Die Registrierung und Einfuhrerlaubnis für Agrarchemikalien ist beim Landwirtschaftsministerium Ministério da Agricultura e Pecuária (MAPA) zu beantragen.

    Manche Warengruppen bedürfen auch einer Importgenehmigung der Außenhandelsbehörde SUEXT (vormals: Decex), der Umweltschutzbehörde Ibama, der Bundespolizei PF, der Militärbehörde DFPC, des Wissenschaftsministeriums MCTI oder der Erdölagentur ANP.

    Das Außenhandelsportal SISCOMEX bietet eine Übersicht über die Einfuhrregelungen im Allgemeinen sowie Zugang zu dem Simulador de Tratamento Administrativo, über den man das Zollverfahren für die Einfuhr oder Ausfuhr je nach Warengruppe und Partnerland konkret abrufen kann.

    Germany Trade & Invest stellt ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nicht tarifären Handelshemmnissen zur Verfügung.

    Nationale Stellen für Zölle/Einfuhrverfahren und Zertifizierungen
    BezeichnungAnmerkungen
    Ministério da Agricultura e Pecuária (MAPA)Landwirtschaftsministerium
    Subsecretaria de Operações de Comércio Exterior (SUEXT)Außenhandelsbehörde
    Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis (Ibama)Umweltschutzbehörde
    Polícia Federal (PF)Bundespolizei
    Diretoria de Fiscalização de Produtos Controlados (DFPC)Inspektionsstelle für kontrollierte Produkte
    Ministério da Ciência, Tecnologia e Inovações (MCTI)Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovationen

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Kontaktadressen

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Germany Trade & Invest

    Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

    AHK Brasilien

    Anlaufstelle für deutsche Unternehmen in São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre

    Siscomex

    Außenhandelsportal des brasilianischen Wirtschaftsministeriums

    Agência Nacional do Petróleo, Gás Natural e Biocombustíveis (ANP)

    Regulierungsbehörde für Erdöl, Erdgas und Biokraftstoffe

    Agência Nacional de Vigilância Sanitária (Anvisa)Gesundheitsaufsichtsbehörde 

    Associação Brasileira da Indústria Química (Abiquim)

    Verband der chemischen Industrie

    Associação Brasileira dos Fabricantes de Tintas (Abrafati)

    Verband der Hersteller von Farben und Lacken

    Associação Nacional para Difusão de Adubos (Anda)

    Verband der Düngemittelhersteller

    Sindicato Nacional da Indústria de Produtos para Defesa Vegetal (Sindiveg)

    Verband der Industrie für Pflanzenschutzmittel

    Analítica Latin America

    Lateinamerikas wichtigste Messe für analytische Chemie, 23. bis 25.09.2025 in São Paulo

    FCE Pharma und FCE CosmetiqueFachmessen für Pharmazeutika und Kosmetika, 04. bis 06.06.2024 in São Paulo

    Portal der Chemieindustrie

    Portal und Fachzeitschrift über die Chemieindustrie
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