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Wirtschaftsumfeld | Libanon | Finanzsystem

Hoffnungswert Währungsfonds

Erstmals seit dem 2019 begonnenen Total-Zusammenbruch zeichnet sich im Libanon die Chance auf einen ökonomischen Neuanfang ab.

Von Detlef Gürtler | Berlin

In die Hängepartie um die Machtverteilung im Libanon kommt Bewegung. Eine heterogene Gruppe von Abgeordneten hat sich als eine Art Anti-Hisbollah-Fraktion formiert und versucht, einen intern wie international vermittelbaren Präsidentschaftskandidaten durchzubringen. 

Reform-Parlamentarier bringen Hisbollah in die Defensive

Seit November 2022 ist der Posten des Staatspräsidenten nicht besetzt, bislang blieben 12 Wahlgänge ergebnislos. An dieser Personalie wird stellvertretend der Kampf um die Vormacht im Land ausgetragen. Staatspräsident kann zwar aufgrund des libanesischen Religionsproporzes nur ein maronitischer Christ werden, aber zuletzt handelte es sich jedes Mal um einen der schiitischen Hisbollah nahestehenden Christen. Damit war klar, dass die militärisch stärkste Kraft des Libanon auch politisch den Ton angab - und einer der Hauptverantwortlichen für den ökonomischen Ruin des Landes wurde.

Im 12. und bislang letzten Wahlgang am 14. Juni trat erstmals der frühere Finanzminister Jihad Azour als Kandidat der Opposition an - und konnte aus dem Stand 59 der 128 Parlamentarier auf sich vereinigen. Für eine Mehrheit reicht das noch nicht, aber er erhielt mehr Stimmen als der von der Hisbollah unterstützte Kandidat Suleiman Frangieh, der es nur auf 51 Stimmen brachte. Die Hängepartie geht also weiter, aber jetzt mit der Hisbollah in der Defensive.

Nur ein Systemwechsel eröffnet die Chance auf einen IWF-Kredit

So klar wie das Contra der Reform-Parlamentarier gegenüber der Hisbollah ist auch ihr Pro zum Internationalen Währungsfonds (IWF). Im April 2022 hatte der IWF ein sogenanntes Staff Level Agreement mit der libanesischen Regierung geschlossen, das als Gebrauchsanweisung für einen Umbruch dienen kann. Denn die darin genannten Bedingungen, die vor der Gewährung eines IWF-Kredits erfüllt werden müssen, lassen sich ohne einen Systemwechsel kaum verwirklichen: Zu ihnen gehören eine Restrukturierung des zusammengebrochenen Bankensystems, ein einheitlicher und realistischer Wechselkurs und eine transparente, nachvollziehbare Bilanz der Zentralbank Banque de Liban.

Für die Reformer-Gruppe eine sinnvolle Vorbedingung: "Diese Forderungen sind nicht nur die Forderungen des IWF, sondern auch die des libanesischen Volkes", hieß es in einer Stellungnahme im Frühjahr 2023. Der in Aussicht gestellte Lohn: ein IWF-Kredit über 3 Milliarden US-Dollar (US$) und eine Rückkehr auf den internationalen Kapitalmarkt. 

Auch wenn die Gruppe der Azour-Unterstützer noch keine parlamentarische Mehrheit zusammengebracht hat, gilt sie für viele internationale Institutionen und Regierungen als Hoffnungswert und Gesprächspartner. Denn ohne einen reformbereiten und handlungsfähigen politischen Akteur wird es keinen Ausweg aus der Sackgasse geben, in die sich Libanons Elite verfahren hat.

Trotz einer der heftigsten Wirtschaftskrisen, die es jemals in Friedenszeiten gab, kommt es im Libanon weder zu Umsturz noch zu Neuanfang, sondern in erster Linie zu Workarounds und Abwanderung: Wenn der Staat keinen Strom mehr liefert, macht man ihn eben selbst - private Solaranlagen sind eines der wenigen boomenden Geschäftsfelder, die es im Libanon noch gibt. Wer irgend kann, verlässt das Land (700.000 seit dem Beginn des Zusammenbruchs vor knapp vier Jahren), und die Geldsendungen aus dem Ausland lassen das Leben irgendwie weitergehen - mit 7 bis 9 Milliarden US$ machen Finanztransfers bereits knapp die Hälfte des gesamten BIP aus.

Vier "frische" Banken sollen den Neuanfang des Finanzsystems ermöglichen

Doch selbst wenn man es sich auch ohne staatlichen Strom und Verkehrsampeln einrichten kann, die völlige Implosion des Finanzsektors kann eine Händler-Gesellschaft wie die libanesische nicht lange durchhalten. Alle Geschäfte werden nur noch in bar abgewickelt; keine Kartenzahlung, keine Überweisung, kein Scheck, kein Kredit. Und da der größte Schein der libanesischen Währung (100.000 Pfund) etwa einen Dollar wert ist, zahlt man statt mit unförmigen Pfund-Bündeln meist gleich in US-Dollar. So kommt man über die Runden, aber nicht ins Geschäft.

Ein derzeit kursierender Plan zur Restrukturierung des Bankensystems sieht einen Aufbau von nur noch vier Banken mit frischem Kapital und ohne Altlasten vor. Sie sollen den Neustart von bargeldlosem Zahlungsverkehr und Kreditvergabe ermöglichen. Der gesamte restliche Finanzsektor erhielte demnach eine Art Bad-Bank-Status und würde abgewickelt. 

Für einen solchen Neuanfang des Finanzsystems trifft es sich gut, dass auch die Amtszeit des seit mehr als 30 Jahren amtierenden Zentralbankpräsidenten Riad Salamé im Juli 2023 zu Ende geht: ein Zentralbankchef, auf den wegen des Verdachts auf Veruntreuung und Geldwäsche internationale Haftbefehle ausgestellt wurden, spricht nicht für ein vertrauenswürdiges Finanzsystem. Allerdings wurde bislang noch kein Nachfolger benannt - vermutlich wird auch diese Personalie in einen Paket-Deal zusammen mit der Wahl des Präsidenten und der Regierung integriert.

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