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Wirtschaftsausblick | Libanon
Nach Jahren im freien Fall fängt sich Libanons Wirtschaft auf niedrigem Niveau. Zusammengebrochene Infrastruktur und politisches Machtvakuum bieten wenig Aussicht auf Erholung.
15.12.2022
Von Detlef Gürtler | Berlin
Seit Ende 2019 wurden Wirtschaft und Gesellschaft des Libanon von einer Katastrophe nach der anderen getroffen. Staatsbankrott, Coronapandemie, die Explosion des Hafens von Beirut, der praktisch komplette Ausfall der Stromversorgung und der Kollaps des Finanzsystems haben die Wirtschaft in einem Ausmaß gebeutelt, wie man es sonst nur aus Kriegsgebieten kennt. Im Jahr 2022 kamen auch noch die drastisch gestiegenen Preise für Öl und Getreide hinzu, die Inflationsrate stieg auf mehr als 100 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hingegen fällt weiter - seit 2019 um etwa 40 Prozent.
Die Experten der Economist Intelligence Unit (EIU) prognostizieren nun eine Bodenbildung der libanesischen Wirtschaft. Für das Jahr 2023 sagen sie ein inflationsbereinigtes BIP-Wachstum von 2,5 Prozent voraus, auch für die Folgejahre sehen sie leichte Zuwächse der Wirtschaftsleistung. Von dem Niveau der Jahre vor dem Kollaps bleibt der Libanon aber auch dann noch weit entfernt.
In dieser ökonomisch schwierigen Situation fehlt dem Libanon zudem die politische Führung. Seit Mai 2022 ist die Regierung von Ministerpräsident Najib Mikati nur noch geschäftsführend im Amt, seit November 2022 ist auch die Position des Staatspräsidenten vakant. Solche Zwischenzeiten gibt es im Libanon immer wieder: Der jetzt aus dem Amt geschiedene Staatspräsident Michel Aoun wurde 2016 erst im 45. Wahlgang gewählt, davor war die Position zwei Jahre lang unbesetzt. In einer derart tiefen Krise wie derzeit verschärft eine solche politische Blockade allerdings die Probleme noch weiter. "Das institutionelle Vakuum wird die Einigung auf Maßnahmen zur Krisenbewältigung und die Verabschiedung notwendiger Reformen weiter verzögern und damit die Not der libanesischen Bevölkerung weiter verschlimmern", warnte die Weltbank im November 2022.
Die Ursache der Blockade: Das seit 1943 praktizierte politische System der Machtteilung zwischen den Volksgruppen und Religionen entspricht nicht mehr den realen Machtverhältnissen. Die militärisch wie politisch stärkste Gruppierung ist die schiitische Hisbollah, deren Einfluss weit über die Gruppe der Schiiten hinaus reicht. Die Polarisierung pro und contra Hisbollah verhindert bis auf Weiteres einen politischen Neuanfang.
Indikator | 2021 | 2022 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 18,1 | 16,6 | 4.261 |
BIP pro Kopf (US$) | 2.670 | 2.480 | 51.214 |
Bevölkerung (Mio.) | 6,8 | 6,7 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = x Libanesisches Pfund) * | 20.625 | 26.634 | - |
Der 2020 durch eine Explosion fast völlig zerstörte Hafen von Beirut ist nur das sichtbarste Zeichen der desolaten Lage der libanesischen Infrastruktur. Er symbolisiert auch die Probleme bei der dringend nötigen Instandsetzung. Zwei Jahre nach der Explosion gibt es zwar einen Kooperationsvertrag mit Frankreich für den Wiederaufbau, aber noch nicht einmal eine Ausschreibung für das auf ein Volumen von 600 Millionen US-Dollar (US$) geschätzte Projekt. Frühestens 2024 wird mit den Baumaßnahmen begonnen – wenn bis dahin die Finanzierung geklärt ist.
Bewegung ist hingegen in den Energiesektor gekommen. Im Oktober 2022 vermittelten die USA und Frankreich eine Einigung zwischen Israel und dem Libanon über den Verlauf der Seegrenze zwischen beiden Staaten, sodass nun die libanesische Seite mit der Exploration eines im Grenzgebiet liegenden Erdgasfeldes beginnen kann. Ein Konsortium aus französischen, italienischen und katarischen Unternehmen will Anfang 2023 erste Ergebnisse der Exploration verkünden.
Ebenfalls in relativ gutem Zustand sind Projekte zur Erzeugung regenerativer Energien. In einem Land fast ohne öffentliche Stromversorgung können Wind- und Solaranlagen zu einer Rückkehr zur Normalität beitragen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Windkraft-Anlage in Akkar, Nord-Libanon | 920 | Studienphase; Auftragsvergabe geplant: 2. Quartal 2023 | Geplante Kapazität 520 MW; Lebanese Center for Energy Conservation |
Wiederaufbau des Hafens von Beirut | 600 | Studienphase; Auftragsvergabe geplant: 1. Quartal 2024 | Kooperationsvertrag mit Frankreich im Juni 2022 unterzeichnet; Port of Beirut |
Windkraft-Anlage in Akkar, Nord-Libanon | 480 | Durchführung; Fertigstellung geplant: 2. Quartal 2024 | Kapazität 226 MW; Lebanese Center for Energy Conservation |
Solarturm-Anlage in Hermel, Nordost-Libanon | 300 | Angebotsprüfung, Auftragsvergabe geplant: 1. Quartal 2023 | 50 MW Kapazität, 7,5 Stunden Speicherkapazität; Lebanese Center for Energy Conservation |
11 Solarstrom-Anlagen in allen Regionen Libanons | k.A. | Lizenzvergabe Mai 2022; Fertigstellung geplant 2. Quartal 2025 | 11 Anlagen mit je 15 MW Kapazität; Lebanese Center for Energy Conservation |
Exploration Qana Offshore-Gasfeld | k.A. | Durchführung; Explorations-Ergebnisse werden für das 1. Halbjahr 2023 erwartet | Konsortium aus Total Energies (Frankreich, 35%), ENI (Italien, 35%) und Energy Consortium (Qatar, 30%) |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite Libanon, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Der Kollaps des Wirtschafts- und Finanzsystems sowie die galoppierende Inflation haben auch den privaten Konsum schwer getroffen. Für viele Haushalte geht es darum, überhaupt Brot auf den Tisch zu bringen. Eine maßgebliche Rolle für die Aufrechterhaltung der Versorgung spielen Überweisungen und auch Warensendungen von Auslandslibanesen. Im Krisenjahr 2021 betrugen die Netto-Überweisungen nach Angaben des Internationalen Währungsfonds 4,1 Milliarden US$ oder mehr als 20 Prozent des BIP. Für das Jahr 2023 wird von der EIU erstmals seit vier Jahren wieder ein leichter Anstieg des privaten Verbrauchs um real 2,9 Prozent prognostiziert.
Auch im Außenhandel hat die Wirtschaftskrise der letzten Jahre deutliche Spuren hinterlassen: Zwischen 2019 und 2021 gingen nach Angaben von Comtrade die Importe um etwa 30 Prozent zurück. Der markante Anstieg um 15,8 Prozent im Jahr 2022 ist in erster Linie auf die gestiegenen Preise für die wichtigen Importgüter Erdöl und Getreide zurückzuführen. Bei den Exporten hingegen zeigt sich ein umgekehrtes Bild: Zwischen 2019 und 2022 sind sie um mehr als 30 Prozent gestiegen. Gerade bei wichtigen Exportprodukten wie Obst und Gemüse, Möbel und Gold dürfte dieser Anstieg auch mit dem Rückgang der inländischen Kaufkraft zu tun haben – ein größerer Teil der Produktion steht dadurch für Auslandsmärkte zur Verfügung. Trotz dieser gegenläufigen Entwicklung bei Im- und Exporten ist die libanesische Handelsbilanz immer noch stark defizitär: Es werden gut dreimal mehr Waren ein- als ausgeführt.
2021 | 2022 2 | Veränderung 2022/2021 | |
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Importe (fob) 1 | 13,9 | 16,1 | 15,8 |
Exporte (fob) 1 | 4,2 | 5,0 | 19,0 |