Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Oil Refinery factory in the morning , petrochemical plant , Petroleum. Oil Refinery factory in the morning | © Aunging / Adobe Stock

Special | Dekarbonisierung der Industrie

Dekarbonisierung der Industrie: Wege zum Netto-Null-Ziel

Beim Abbau der CO2-Emissionen spielt die Industrie weltweit eine wichtige Rolle. Wir geben einen Überblick über die Strategien zehn wichtiger Länder für deren Dekarbonisierung.

  • Druck auf energieintensive Industrie in China steigt

    Bis 2030 will China die CO2-Spitze erreichen. Vor allem für energieintensive Sektoren formuliert Beijing strengere Vorgaben. Firmen setzen erste Projekte zur Dekarbonisierung um. (Stand: 05.04.2023)

    China ist global der größte Emittent von Kohlenstoffdioxid (CO2). Die Emissionen gehen im Wesentlichen auf den Energiesektor und die verarbeitende Industrie zurück. Daneben spielt die Baubranche eine bedeutende Rolle. Nach dem Elektrizitätssektor mit einem Anteil von 45 Prozent entfielen 2019 rund 29 Prozent der CO2-Emissionen auf die Industrie, so das China Energy Statistical Yearbook 2020. In den letzten Jahren ist daher der Druck zur Reduzierung von CO2-Emissionen auf den Energiesektor und vor allem auf energieintensive Branchen wie etwa die (petro-)chemische Industrie sowie die Herstellung von Papier und von Baustoffen wie Zement, Stahl oder Glas gestiegen. China ist mit deutlichem Abstand der größte Baumaterialproduzent weltweit.

    Bild vergrößern

    CO2-Einsparung und Dekarbonisierung nach Plan

    Bis zum Jahr 2030 will die Regierung die Spitze der CO2-Emissionen sowie bis 2060 Klimaneutralität erreichen. Seither nimmt die Zahl einschlägiger Industriestandards zu. Laut dem 14. Fünfjahresprogramm sollen bereits 2025 die CO2-Emissionen pro Wirtschaftseinheit um 18 Prozent und eng damit verbunden die Energieintensität um 13,5 Prozent im Vergleich zu 2021 reduziert werden. Aufgrund des "Dual Control System" zur gleichzeitigen Verringerung des Energieverbrauchs und der Energieintensität werden immer weniger energieintensive Industrieprojekte im Osten und Südosten des Landes genehmigt.

    Um die genannten CO2-Reduktionsziele zu erreichen, erließen mehrere Ministerien am 11. Februar 2022 gemeinsam die neue Richtlinie "Implementation of Energy-saving and Carbon Reduction Transformation and Upgrading in Key Areas of High Energy Consumption Industries" für 17 energieintensive Industriebereiche. Die Richtlinie benennt konkrete Ziele bis zum Jahr 2025. Umgesetzt werden die Maßnahmen in industriespezifischen Vorgaben zur Energieeffizienz sowie allgemeinen Standards für einzusetzende sowie zu vermeidende Technologien.

    Leitlinien für Energieeinsparung und Kohlenstoffreduzierung in Schlüsselbereichen der energieintensiven Industrie in China 2022

    Bereich

    Standard für Energieeffizienz *

    Stand Ende 2020

    Ziel bis 2025

    Ethylen

    Benchmark: 590 Kilograms of Oil Equivalent pro Tonne (kgoe/t)
    Referenz: 640 kgoe/t

    Steamcracken zu Ethylen: 
    20% des Bereichs übertreffen Benchmark; 30% liegen unter Referenz

    30% des Bereichs übertreffen Benchmark; Upgrades für Unternehmen mit Energieeffizienz unter Referenz

    Paraxylen

    Benchmark: 380 kgoe/t
    Referenz: 550 kgoe/t

    23% des Bereichs übertreffen Benchmark; 18% liegen unter Referenz

    50% des Bereichs übertreffen Benchmark; 0% liegen unter Referenz

    Zement

    Benchmark: 100 Kilograms of Coal Equivalent pro Tonne (kgce/t)
    Referenz: 117 kgce/t

    Zementklinker:
    5% des Bereichs übertreffen Benchmark; 24% liegen unter Referenz

    Zementklinker:
    30% des Bereichs übertreffen Benchmark; 0% liegen unter Referenz

    Flachglas

    Produktionskapazität bei >800 t/Tag:

    Benchmark: 8 kgce/weight case; Referenz: 12 kgce/weight case

    Produktionskapazität bei 500 bis 800 t/Tag:

    Benchmark: 9,5 kgce/weight case; Referenz: 13,5 kgce/weight case

    5% des Bereichs übertreffen Benchmark; 8% liegen unter Referenz

    20% des Bereichs übertreffen Benchmark; 0% liegen unter Referenz

    Stahl

    Hochofenprozess:
    Benchmark: 361 kgce/t

    Referenz: 435 kgce/t

    Konverterprozess:
    Benchmark: -30 kgce/t

    Referenz: -10 kgce/t

    Schmelzen im Elektrolichtbogenofen (Nennkapazität 30 t bis 50 t):

    Benchmark: 67 kgce/t

    Referenz: 86 kgce/t

    Schmelzen im Elektrolichtbogenofen (Nennkapazität ≥ 50 t):

    Benchmark: 61 kgce/t

    Referenz: 72 kgce/t

    Hochofenprozess:
    4% des Bereichs übertreffen Benchmark; 30% liegen unter Referenz;

    Konverterprozess:
    6% des Bereichs übertreffen Benchmark; 30% liegen unter Referenz

    30% des Bereichs übertreffen Benchmark; 0% liegen unter Referenz

    * Benchmark ist besser als Referenz; niedriger Wert bedeutet höhere Energieeffizienz.Quelle: National Development and Reform Commission (NDRC) People's Republic of China 2022

    Laut Angaben der Internationalen Energieagentur ist der globale Rückgang der CO2-Emissionen in der Industrie 2022 vor allem auf China zurückzuführen, wo der Sektor gegenüber 2021 rund 161 Megatonnen CO2-Äquivalent weniger ausstieß. Ein Großteil lässt sich durch geringere Emissionen durch Industrieprozesse erklären. Bei China verzerren die Coronamaßnahmen aber das Bild, denn die Regierung verhängte 2022 mehrere regionale Lockdowns und beschränkte damit zeitweise die Industrieproduktion.

    Erweiterung des Emissionshandels stockt

    Das im Juli 2021 gestartete landesweite Emissionshandelssystem (ETS) umfasst bislang nur die Wärme- und Stromerzeugung, soll aber bis 2025 um sieben Sektoren erweitert werden: Eisen- und Stahlerzeugung, Nichteisenmetallindustrie, Baumaterialien, Petrochemie, Chemie, Papier- und Zelluloseherstellung sowie zivile Luftfahrt. Die bereits für 2022 vorgesehene Integration der Zement-, Aluminium- und Stahlherstellung soll nun 2023 erfolgen. Jedoch fehlt bislang ein konkretes Datum.

    Unternehmenseigene Kraftwerke etwa in der Chemiebranche, der Zellstoff- und Papierherstellung sowie im Bereich sonstiger Bergbau und Metalle (häufig zur Herstellung von Aluminium, Eisen und Stahl) werden jedoch bereits einbezogen. Am weitesten ist das ETS in Shanghai fortgeschritten, entwickelt sich insgesamt aber dennoch nicht besonders dynamisch.

    Hoher Investitionsbedarf in Stahlbranche

    Mit rund 1 Milliarde Tonnen produzierte China 2021 gemäß der World Steel Association mehr als die Hälfte des weltweit erzeugten Stahls. Einer Richtlinie aus dem Jahr 2021 zufolge soll die Branche bis 2030 den CO2-Höhepunkt erreichen, ursprünglich war schon 2025 anvisiert.

    Dabei verfolgt die Branchenspitze eigene ambitionierte Klimaziele. So wollen China Baowu Steel Group sowie Inner Mongolia Baotou Steel Union ihre CO2-Emissionen bereits ab 2024 senken, Ansteel Group ab 2025. Die gewaltigen Investitionen sind nur von den Branchengrößen zu stemmen. Dennoch sieht die Richtlinie keine Konzentrationsziele für die Branche vor. Für kleinere Stahlerzeuger wird es mittelfristig eng. 

    Erste Stahlprojekte im Bau

    Als erster Stahlerzeuger Chinas hat Zhanjiang Iron and Steel, eine Tochter der Baosteel-Gruppe, im Februar 2022 mit dem Bau der größten wasserstoffbasierten Direktreduktionsanlage (Direct Reduced Iron; DRI) mit einer Produktionskapazität von 1 Million Tonnen Stahl jährlich begonnen. Dadurch können jedes Jahr 500.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Die Anlage kann neben Wasserstoff auch Kokereigas einsetzen und verwendet die gemeinsam von den italienischen Maschinenbauern Danieli und Tenova entwickelte DRI-Technologie ENERGIRON. Die Umsetzung findet in Kooperation mit Sinosteel Engineering & Technology statt. Derartige Kooperationen sind häufig notwendig, sollten aber sorgfältig begleitet werden, um ungewollten Know-how-Transfer zu vermeiden.

    Chemiebranche muss umrüsten

    Die energieintensive petrochemische und chemische Industrie muss bereits seit Jahren strenge Anforderungen zur Energieeffizienz einhalten. Die Richtlinie vom 11. Februar 2022 gilt in der Chemiebranche für Raffinerien, Kohlechemie und Nichteisenmetallurgie.

    Mit 26 von 49 Unternehmen war die Chemiebranche auf einer im Januar 2022 vom Ministerium für Industrie und Informationstechnologie veröffentlichten Liste führender Unternehmen im Bereich Energieeffizienz prominent vertreten. Aufgeführt wurden etwa die Bereiche Rohölverarbeitung, Kokerei sowie die Herstellung von Ethylen, synthetischem Ammoniak, Methanol, Ätznatron und Soda. Derart herausgestellte Werte für die Energieeffizienz könnten Brancheninsidern zufolge zumindest bei Neuvorhaben zu Richtlinien werden.

    Des Weiteren wurden im Mai 2022 erste Benchmark-Kriterien für eine saubere und effiziente Kohlenutzung als Ausgangsmaterial für die Synthese von Ammoniak sowie zur Herstellung von Koks, Methanol, Olefinen und Ethylenglykol erlassen. Manche Branchenvertreter sehen im hohen Energieverbrauch ein Haupthindernis für die weitere Entwicklung von Kohle-Chemieprojekten zur Herstellung von Ethylenglykol.

    Ausgewählte Projekte zur Dekarbonisierung der chinesischen Industrie

    Projekt

    Projektstand

    Weitere Informationen

    Vorhaben für wasserstoffbasierte Direktreduktionsanlage (DRI) zur Eisen- und Stahlherstellung von Baosteel Zhanjiang Iron Steel in Zhanjiang (Provinz Guangdong); mit ENERGIRON-Technologie

    Baubeginn: Februar 2022

    Nach Fertigstellung laut firmeneigenen Angaben größte DRI-Kapazität in China und weltweit; Jahreskapazität: 1 Million Tonnen direktreduziertes Eisen; Einsparung von 500.000 metrischen Tonnen CO2 pro Jahr

    Open-Source-Projekt für "Carbon Capture, Utilisation and Storage (CCUS)" von Shell, Sinopec, Baowu und BASF (Yangtse-Delta)

    Nicht bindendes Memorandum of Understanding zur Durchführung einer gemeinsamen Studie zu Technologielösungen und Geschäftsmodell im November 2022 unterzeichnet

    Ziel ist, Unternehmen im Yangtse-Delta CCUS anbieten zu können

    Projekt zur Versorgung umliegender Petrochemiebetriebe mit Dampf, erzeugt durch Kernkraftwerk Tianwan (Provinz Jiangsu)

    Im Bau; Fertigstellung Ende 2023 geplant

    Jahreskapazität: 4,8 Millionen metrische Tonnen Dampf

    Demonstrationsanlage für "Carbon Capture and Storage (CCS)" von Anhui Conch Cement in Baimashan, Wuhu (Provinz Anhui)

    Im Bau mit Fläche von 40.000 qm

    In Zeiten geringen Energieverbrauchs wird CO2 verdichtet und unter Druck verflüssigt; dadurch erzeugte Wärmeenergie wird gespeichert und zur Vergasung des flüssigen CO2 genutzt

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023, basierend auf lokalen und internationalen Pressemeldungen

    Von Corinne Abele | Shanghai

  • Frankreichs Schwerindustrie entwirft Klimastrategien

    Die Dekarbonisierung der Industrie gewinnt an Schwung. Eine engagierte staatliche Förderung unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung von Klimaprogrammen. (Stand 05.04.2023)

    Die französische Regierung hat mit der Dekarbonisierungsstrategie "Stratégie nationale bas carbone" der Industrie des Landes strikte Ziele gesteckt. Bis 2030 soll das verarbeitende Gewerbe branchenübergreifend seinen CO2-Ausstoß um 35 Prozent gegenüber 2015 zurückfahren. Bis 2050 sollen die Emissionen um 81 Prozent sinken. Dies erfordert eine Neuaufstellung der französischen Industrie, die nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit steigern soll.

    Einsparziele Industrie bis 2030

    Branche

    Einsparziel bis 2030 (in %) *

    Chemie

    26

    Zement

    24

    Metall

    31

    Aluminium

    9

    * im Vergleich zu 2015.Quelle: Stratégie Nationale Bas Carbone 2020

    Um die bis 2030 angepeilten Einsparziele zu erreichen, sind Nettoinvestitionen von 70 Milliarden Euro erforderlich, so der staatliche Think Tank France Stratégie. Der Staat fördert den Umbau der Wirtschaft und unterstützt durch Subventionen. Im Rahmen seines Innovations- und Investitionsplans France 2030 stellt Frankreich 5,6 Milliarden Euro für die Eingrenzung des industriellen CO2-Ausstoßes bereit. Im November 2022 hat Präsident Emmanuel Macron angekündigt, dieses Budget noch einmal um 5 Milliarden Euro aufzustocken. Parallel dazu werden über die nationale Wasserstoffstrategie etwa 9 Milliarden Euro bereitgestellt.

    Zudem plant die Regierung ein Gesetz zur Förderung grüner Ansiedlungen. Dieses auch als Gegenentwurf zum amerikanischen Inflation Reduction Act konzipierte Programm soll die Ansiedlung dekarbonisierter Industrien in Frankreich anschieben. Der ab Oktober 2023 schrittweise greifende CO2-Ausgleichsmechanismus an den EU-Außengrenzen soll die lokale Industrie vor einer weniger dekarbonisierten und damit kostengünstigeren außereuropäischen Konkurrenz schützen.

    Bild vergrößern

    Industrie steht unter Anpassungsdruck

    Das verarbeitende Gewerbe Frankreichs steht unter Druck, Klimastrategien für seine Unternehmen zu entwerfen und vor allem auch umzusetzen und zu finanzieren. Nicht nur die französischen Zielvorgaben und strengere europäische Berichtsanforderungen führen dazu, dass Dekarbonisierungsziele in den Führungsetagen zum zentralen Diskussionspunkt werden.

    Auch handfeste wirtschaftliche Erwägungen treiben zum Handeln. Steigende Preise im Emissionshandel sowie der zunehmende Fokus von Geldgebern auf die Klimaaktivitäten von Unternehmen als Kriterium zur Kreditvergabe zwingen Firmenleitungen, unternehmensangepasste Dekarbonisierungstrategien zu erstellen. Zudem spüren gerade die großen börsennotierten Unternehmen wachsenden Druck durch ihre Anteilseigner, nachhaltige und ernsthafte Dekarbonisierungspläne vorzulegen.

    Chemie, Stahl und Zement im Fokus der Dekarbonisierung

    Die Stahlindustrie, der Chemiesektor und der Baustoffsektor (Plastik, Zement, Glas) sind nicht für das Wirtschaftsgefüge Frankreichs, sondern auch für die Dekarbonisierung des Landes von wesentlicher Bedeutung. Die drei Branchen erbringen zusammen knapp 28 Prozent der Wertschöpfung der französischen Industrie, erzeugten 2021 dafür aber 71 Prozent der gesamten industriellen Treibhausgasemissionen.

    Bild vergrößern

    Bild vergrößern

    Recycling, Energieeffizienz und erneuerbare Energien sowie der Ersatz fossiler Brennstoffe durch Alternativen wie Wasserstoff oder Biomasse bilden die Grundlage unternehmerischer Dekarbonisierungsstrategien der Schwerindustrie. Branchen, die aufgrund ihrer Produktionsprozesse Treibhausgasemissionen nicht vollständig eliminieren können (insbesondere die Zementindustrie) engagieren sich bei der Entwicklung von Lösungen zur CO2-Abspaltung. Bislang wird auch die Kompensation als eines der Mittel genutzt, die Produktion rechnerisch klimaneutral aufzustellen. Allerdings gerät dieser Ansatz, auch angesichts nicht immer nachhaltiger Umsetzung der Kompensationsvorhaben, in Frankreich zunehmend in die Kritik.

    Schwerindustrie stellt Produktionsprozesse auf den Prüfstand

    Die Stahlindustrie ist intensiv dabei, ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern. ArcelorMittal hat sich zum Ziel gesetzt, seine Treibhausgasemissionen in Frankreich bis 2030 zwischen 35 und 40 Prozent zu senken. Bis 2050 will das Unternehmen weltweit Klimaneutralität erreichen. Hierfür investiert Arcelor allein in Frankreich 1,7 Milliarden Euro, unter anderem in den Aufbau einer Produktion direkt reduzierten Eisens. In Dünkirchen und Fos-sur-Mer rüstet das Unternehmen Hochöfen auf die Wasserstoffnutzung um und errichtet elektrische Hochöfen. Zudem stellt das Unternehmen sämtliche Produktionsstufen und Prozesse auf den Prüfstand. Um die Umstrukturierung voranzutreiben, hat ArcelorMittal den mit 100 Milllionen Euro ausgestatteten Investitionsfonds Xcarb aufgelegt. Der Fonds soll die Entwicklung von Dekarbonisierungstechnologien für die verschiedensten Stufen der Stahlproduktion finanzieren. Insbesondere die Kooperation mit Start-ups steht im Vordergrund. 

    Andere Branchenunternehmen bleiben nicht untätig. Im Juli 2022 kündigte ein Konsortium rund um EIT InnoEnergy, Engie und Forvia eine Investition in Höhe von 2,2 Milliarden Euro in den Aufbau einer Produktion direkt reduzierten Eisens auf Basis von Wasserstoff an. Auch der Stahlhersteller LME plant eine Investition in Höhe von 125 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren. Seine Dekarbonisierung startet das Unternehmen mit dem Austausch eines seiner zwei Hochöfen. Ein System der Abwärmerückgewinnung soll CO2-Einsparungen in Höhe von 16 Prozent bringen. 

    Die französische Chemie- und Zementindustrie machen sich ebenfalls auf den Weg in die Klimaneutralität. Solvay plant in Kooperation mit Veolia, seine Natriumkarbonatproduktion in Dombasle auf Ersatzbrennstoffe umzustellen. Die Investition in Höhe von 225 Millionen Euro soll die Treibhausgasemissionen des Werkes um 50 Prozent absenken. Auch die Zementhersteller des Landes engagieren sich. Eqiom wird mit einem von Air Liquide entwickeltem Prozess die bei der Herstellung erzeugten Treibhausgase abspalten und will damit zu einem der ersten klimaneutralen Zementwerke Europas werden. Der Europäische Innovationsfonds steuert 150 Millionen Euro bei.

    Ausgewählte Dekarbonisierungsprojekte in der Industrie

    Projektträger (Standort)

    Branche

    Projektbeschreibung 

    Investitionshöhe (in Millionen Euro)

    Projektstand 

    Ciments Calcia (Airvault)

    Zement, Baustoffe

    Neue Produktionslinie; Betrieb basierend auf Ersatzbrennstoffen

    285

    Betriebsbeginn 2024

    Novacarb (Laneuveville-devant-Nancy)

    Chemie

    Ersatzbrennstoffkraftwerk

    100

    Betriebsbeginn 2024

    Lhoist/Air Liquide (Réty)

    Kalkindustrie

    Errichtung CO2-Abscheidungseinheit

    k.A.

    Betriebsbeginn 2028

    Alsachimie/B+T Environnement (Chalampé)

    Chemie/Energie

    Ersatzbrennstoffkraftwerk

    110

    Betriebsbeginn 2023

    Air Liquide, Borealis, Esso S.A.F., TotalEnergies, Yara International ASA (Bassin industriel Normand)

    Chemie, Petrochemie

    Dekarbonisierung der Industrieregion Normandie, Aufbau einer regionalen Infrastruktur für CO2-Abscheidung und -Lagerung

    k.A.

    Absichtserklärung 2021

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023

    Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Paris

  • Indiens Industrieunternehmen setzen sich eigene Klimaziele

    Indiens Industriesektor bietet viel Potenzial für die Dekarbonisierung. Einige Branchen investieren bereits in Technologien zur Verringerung ihres Kohlendioxid-Ausstoßes. (Stand 05.04.2023)

    Um bis 2070 klimaneutral zu werden, muss Indien die Emissionen von Kohlendioxid (CO₂) in der Industrie drastisch reduzieren. Je nach Quelle hatte der Sektor 2019 einen Anteil von 22 bis 28 Prozent am gesamten CO₂-Ausstoß des Landes. In ihren nationalen Klimazielen hat sich Indiens Regierung unter anderem dazu verpflichtet, die CO₂-Intensität – also die Emissionen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – bis 2070 um 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2005 zu senken. Um das Net-Zero-Ziel zu erreichen, müssten allein im Industriesektor bis 2050 rund 1,3 Billionen US-Dollar (US$) in Maßnahmen zur Dekarbonisierung investiert werden, so eine Berechnung von McKinsey.

    Industriestruktur: Energieintensive Branchen sind stark vertreten

    Energieintensive Branchen dominieren Indiens verarbeitende Industrie. Sie bieten enormes Einsparpotenzial. Allein die Stahl- und Zementproduktion ist für ein gutes Drittel der Emissionen in diesem Sektor verantwortlich, so die Daten der Unternehmensberatung. Andere Schlüsselbranchen wie die chemische Industrie (vor allem die Petrochemie und die Kunststoff- und Düngemittelproduktion), die Metallverarbeitung, der Kfz-Sektor oder der Bergbau haben einen großen Energiebedarf. Sie sind durch das hohe Wachstumstempo in den vergangenen Jahren für den steigenden CO₂-Ausstoß Indiens mitverantwortlich. Ihr Anteil an den Industrieemissionen wird auf 20 Prozent geschätzt.

    Ziel ist Entkopplung von Wachstum und Emissionen

    Indien will den Anteil der verarbeitenden Industrie am BIP von 17 auf 25 Prozent erhöhen. Dabei soll die steigende Produktion vom CO₂-Verbrauch abgekoppelt werden. Die Maßnahmen dürfen sich aber nicht negativ auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt auswirken, so die Vorgaben der Regierung. Moderne Produktionstechnologien sollen die Energieeffizienz in industriellen Prozessen erhöhen. Zudem wird ein Wechsel hin zu schadstoffärmeren Brennstoffen wie Erdgas und grünem Wasserstoff forciert. Mit strengeren Recyclingvorschriften ließen sich Rohstoffe und Materialien nachhaltiger einsetzen und so noch mehr CO₂ einsparen, so die Long-Term Low-Carbon Development Strategy der Regierung.

    Indien hat seit 2012 ein Förderprogramm zur Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie. Im Rahmen von Perform, Achieve, Trade (PAT) wurde ein sogenannter "cap and trade"-Mechanismus eingeführt. Dabei erhalten Firmen Energiesparzertifikate, wenn sie ihren Verbrauch senken. Diese können sie dann an Unternehmen veräußern, die ihre Reduktionsziele nicht erreicht haben. Bis 2019 wurden so 22 Millionen Tonnen Öläquivalent eingespart, so das Bureau of Energy Efficiency (BEE). Bis zum Ende des Finanzjahres 2022/2023 (1. April bis 31. März) sollen weitere 3,5 Millionen Tonnen Öläquivalent eingespart werden.

    Indien macht Weg frei für Handel mit Zertifikaten

    Das Interesse der Industrie am PAT-Programm ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, was vor allem auf den Preisverfall für die Zertifikate zurückzuführen ist. Dadurch hat es sich für viele Unternehmen nicht rentiert, in Technologien zur Erhöhung der Energieeffizienz zu investieren. Im November 2022 hat die Regierung mit dem Energy Conservation (Amendment) Act die gesetzliche Basis für die Einrichtung eines nationalen Marktes für den Handel mit CO₂-Zertifikaten geschaffen. Dieser soll mittelfristig das PAT-Programm ablösen.

    Indien zählt zu den weltweit größten Anbietern von CO₂-Zertifikaten. Der Hauptteil davon wird vom Ausland abgenommen. Mit dem geplanten Emissionshandel sollen die Zertifikate nun im Land verbleiben und dort für Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen sorgen, so die Pläne der Regierung. Wie der Markt im Detail ausgestaltet wird, soll im Laufe des Finanzjahres 2023/2024 bekannt gegeben werden, kündigt das BEE an.

    Fokusbranche Stahl: Hersteller wollen Ausstoß verringern 

    Indien war 2022 mit einer Produktion von 125 Millionen Tonnen hinter China der zweitgrößte Hersteller von Rohstahl. Bis 2031 sollen die Kapazitäten auf 300 Millionen Tonnen steigen. Die indischen Stahlkocher verbrauchen mehr Energie und stoßen mehr CO₂ aus als der internationale Durchschnitt. Bis 2030 sollen die Emissionen pro Tonne Rohstahl um etwa ein Viertel auf 2,2 bis 2,4 Tonnen Öläquivalent sinken.

    Einige Hersteller verfolgen ambitioniertere Reduktionsziele: Tata Steel will den Ausstoß bis dahin auf weniger als 1,8 Tonnen und JSW Steel auf unter 1,95 Tonnen Kohlendioxid drücken. Um dieses Ziel zu erreichen, will JSW in den nächsten Jahren 1,2 Milliarden US$ in seine Stahlproduktion investieren. Der Konzern möchte mit dem deutschen Anlagenbauer SMS Group Lösungen zur Senkung des CO₂-Ausstoßes implementieren.

    Indiens Stahlsektor ist bei seinen Dekarbonisierungsplänen technologieoffen. Die Unternehmen wollen verstärkt emissionsärmere Energieträger wie Wind- und Solarkraft, sowie mittelfristig auch grünen Wasserstoff im Produktionsprozess einsetzen. Indien möchte bis 2030 Kapazitäten für grünen Wasserstoff in Höhe von 10 Millionen Tonnen jährlich aufbauen. Die Branche bietet auch für Lösungen zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung (carbon capture and storage, CCS) Geschäftschancen. Tata Steel und JSW betreiben bereits CCS-Testanlagen in jeweils einem ihrer Stahlwerke.

    Fokusbranche Petrochemie: Raffinerien sollen mit erneuerbaren Energien betrieben werden

    Auch die Raffinerien der indischen Ölkonzerne sollen grüner werden. Die Unternehmen setzen dabei auf die Substitution von Kohle und Gas durch erneuerbare Energien. Darüber hinaus wollen sie in Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz der Raffinerien sowie zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung investieren.

    Die Indian Oil Corporation will in den nächsten Jahren 25 Milliarden US$ investieren, um bis 2046 klimaneutral zu sein. Der staatliche Ölkonzern plant bis 2030 den Bau einer Produktionsanlage für grünen Wasserstoff mit einer Kapazität von 130.000 Tonnen pro Jahr. Auch Petrochemiekonzerne wie Reliance Industries und Hindustan Petroleum haben sich bis 2040 Net-Zero-Ziele gesetzt.

    Von Boris Alex | New Delhi

  • Ausbau der Schwerindustrie hemmt die Dekarbonisierung Indonesiens

    Indonesien hat zahlreiche Gesetze für mehr Energieeffizienz in der Industrie verabschiedet. Doch auch ihre Umsetzung dürfte die stark steigende Nachfrage nach Energie kaum bremsen. (Stand 05.04.2023)

    Die Voraussetzungen für einen sinkenden Energiebedarf in der indonesischen Industrie sind ungünstig. Denn die Wirtschaftsleistung steigt jährlich real um mehr als 5 Prozent. Es herrscht eine stark anziehende Nachfrage nach Strom, Öl und Gas. Der Wohlstand steigt und die Bevölkerung wächst jährlich um fast 3 Millionen Menschen. Fast alle Industriebranchen befinden sich daher auf Wachstumskurs.

    Gesetze für mehr Energieeffizienz

    Wenn der Energiebedarf weiter steigt, bleibt nur die Möglichkeit, Energie effizienter einzusetzen. Dafür wurden schon vor vielen Jahren mehrere breit angelegte Gesetze erlassen (zum Beispiel Law No. 30/2007 on Energy, Government Regulation No. 70/2009 on Energy Conservation). Mit der sogenannten Green Industry Policy schuf die Regierung eine gesetzliche Grundlage für Verbesserungen der Energieeffizienz in der Industrie. Später folgten weitere darauf aufbauende Vorgaben.

    Seitdem gelten für Unternehmen mit hohem Energieverbrauch gesetzliche Auflagen. Sie umfassen öffentliche Berichterstattung zum Energieverbrauch, verpflichtende Effizienzaudits und die Einführung von Energie-Management-Programmen. Auch der internationale ISO 50001-Standard wurde in das Standardisierungsprogramm implementiert.

    Das Ministerium für Energie und Rohstoffe zeigt in einer Grafik, dass von 2015 bis 2020 Energieeinsparungen von 63,8 Millionen BOE (Barrel of Oil Equivalent) erzielt wurden, das entspräche 6,4 Prozent des Energiebedarfs des Jahres 2020. Wie akkurat dieses Ergebnis gemessen wurde, lässt sich nicht nachprüfen.

    Indonesien ist abhängig von ausländischer Technologie

    Um in den in vielen Branchen veralteten Industrieanlagen (energetisch) effizienter wirtschaften zu können, ist ausländische Technologie notwendig. Denn Indonesien stellt diese selbst kaum her. Vielfach müssten neue Anlagen gebaut werden, anderswo könnten durch Umrüstung Effizienzgewinne erzielt werden.

    Doch hier hat ein Schwellenland wie Indonesien, in dem Entwicklungsziele auf Armutsbekämpfung und den Aufbau einer Mittelschicht ausgerichtet sind, kleinere Spielräume als wohlhabende Industrieländer. Die Regierung versucht durch Subventionen möglichst vielen Menschen die Teilnahme am Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Eine substanzielle Kürzung der Mittel in diesen Bereichen ist in der indonesischen Demokratie nicht mehrheitsfähig.

    Wenn sich Investitionen in die Umrüstung oder der Neubau von Industrieanlagen auf absehbare Zeit rentieren, dürften entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden. Sofern diese die Preise von grundlegenden Gütern (wie Nahrungsmitteln, Dünger oder Baustoffen) für Verbraucher in die Höhe treiben, stehen die Chancen auf Veränderung schlecht. Klar ist, dass Effizienzgewinne nicht annähernd den stark steigenden Mehrbedarf an Energie ausgleichen können.

    Auch die staatliche Subventionierung klimafreundlicherer Güter ist keine dauerhafte Lösung, weil dafür Mittel aus anderen Sozialleistungen abgezweigt werden müssten. Die bevorstehende Einführung eines Emissionshandels für die Industrie ist eine von zahlreichen neuen Klimaschutzinitiativen. Allerdings dürfte der Preis pro Tonne Kohlendioxid niedrig angesetzt werden, um die Wirtschaft nicht zu belasten und hätte dann nur geringen Einfluss auf den CO2-Ausstoß.

    Wachsende Montanindustrie benötigt mehr Energie

    Viele energieintensive Sektoren der Schwerindustrie expandieren, allen voran der Nickelsektor. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Nickelschmelzen gebaut, viele weitere sind in Planung. Ein Abnehmer ist die Stahlindustrie, die durch die Weiterverarbeitung von Nickel zu Edelstahl enorm gewachsen ist. Indonesien ist - vor allem dank riesiger chinesischer Stahlwerke auf Sulawesi - binnen weniger Jahre zu einem der größten Stahlexporteure der Welt avanciert. Nickel ist auch wichtiger Bestandteil der Batterien von E-Autos, deren Produktion den Abbau des Rohstoffs zusätzlich anregt. Indonesien ist als weltweit größter Förderer bestrebt, möglichst viele der energieintensiven Weiterverarbeitungsschritte im Land zu halten.

    Die Zementindustrie wächst ebenfalls und es entstehen neue Werke – trotz bestehender Überkapazitäten. Für die wachsende Bevölkerung müssen jährlich etwa 1 Million neue Häuser und Apartments gebaut werden und auch der Infrastrukturausbau boomt. Der Bedarf an Düngemitteln steigt ebenfalls stark. Die Hersteller sind abhängig von staatlich subventioniertem Gas. Neue Werke werden auch in der Papierindustrie errichtet. Zudem befinden sich mehrere Raffinerieprojekte (Neubauten und Erweiterungen) in der Pipeline. Etliche Kohlevergasungsanlagen sind im Bau. Und in einem riesigen neuen Industriepark in Nordkalimantan soll unter anderem eine Aluminiumhütte in Betrieb gehen.

    Auch jenseits dieser Branchen will die Regierung die industrielle Basis stärken. Produkte, die heute importiert werden müssen, sollen schon bald in heimischen Fabriken hergestellt werden. Die angestrebte Weiterverarbeitung von mineralischen Rohstoffen im Land durch die sogenannte Downstreaming-Roadmap dürfte den Energiebedarf mittel- und langfristig ebenfalls weiter antreiben. Darüber hinaus soll die bisher schwache, exportorientierte Leichtindustrie expandieren. Indonesien will dabei auch produzierenden Unternehmen, die neben China neue Produktionsstandorte ansteuern, eine neue Heimat bieten.

    Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen erscheint der von internationalen Klimaschutzinitiativen angestrebte industrielle Emissionszenit im Jahr 2030 unrealistisch. Alleine in den vergangenen zehn Jahren ist – trotz Coronakrise – der Strombedarf der indonesischen Industrie um 50 Prozent gestiegen. Auch bei anderen Energieformen, die etwa im Bergbau und der Weiterverarbeitung von Rohstoffen benötigt werden, steigt die Nachfrage kontinuierlich an.

    Von Frank Malerius | Jakarta

  • In Italiens Industrie wird Dekarbonisierung zum Thema

    Die Schwerindustrie ist in Italien ein wichtiger Wirtschaftszweig. Sie muss sich dringend auf die europäischen Emissionsgrenzen vorbereiten.

    Gleich nach der Energie- und Rohstoffknappheit ist der zu erwartende Kostenanstieg für Kohlendioxid-(CO2) Emissionen die neue Herausforderung für Italiens Industrie. 

    Viele energieintensive Branchen

    Die Stahl-, Zement-, Chemie-, Papier-, Glas- und Keramikindustrien gehören zu den großen Branchen in Italien, doch diese Sektoren sind schwierig zu dekarbonisieren. Dabei sind sie sind für knapp zwei Drittel des CO2-Ausstoßes der italienischen Industrie und für rund 13 Prozent der gesamten Emissionen des Landes verantwortlich. 

    Für die Dekarbonisierung des verarbeitenden Gewerbes gibt es in Italien noch keine Gesamtstrategie. Teilstrategien aber finden sich im Nationalen Energie und Umweltplan (2019), im Recovery-Plan (2020) und in der langfristigen Nationalstrategie für die Reduzierung von Treibhausgasen (2021).

    Die stärksten Investitionsimpulse könnten von den sinkenden zulässigen Emissionsmengen Europas kommen. Der Industrial Decarbonization Pact, zu dem sich die wichtigsten Branchenverbände zusammengeschlossen haben, erwartet, dass die erhöhten CO2-Kosten bis 2030 alle "hard-to-abate"-Branchen, das sind Branchen, in denen Co2-Emissionen schwer zu vermeiden sind, in ihrer Existenz gefährden werden. Dies gilt für den Fall, dass nicht in entsprechende neue Technologien investiert wird.

    Als wichtigste Maßnahmen im Hinblick auf die angestrebte EU-Klimaneutralität bis 2050 gelten der Einsatz von Carbon Capture Storage and Utlilzation (CCSU) - die Speicherung von CO2 im Untergrund - und Green Fuels. Hinzu kommen die Elektrifizierung, Effizienzgewinne und der Einsatz erneuerbarer Energien und alternativer Brennstoffe aus der Kreislaufwirtschaft sowie anderer Brennstoffe mit niedrigem CO2-Gehalt wie Holzkohle. 

    Bild vergrößern

    Chemische Industrie: Recycling und Green Fuels

    In der chemischen Industrie sieht der Industrial Decarbonization Pact das größte CO2-Einsparpotenzial beim Einsatz von Biomethan und Wasserstoff, in Kombination mit kogenerativer Stromerzeugung im Rahmen der Produktion. Der direkte Einsatz von grünem Wasserstoff könnte in der Ammoniakproduktion die gasgespeiste Dampfreformierung, das sogenannte Steam Reforming, ersetzen.

    Auch in der Gasifizierung und Pyrolyse von bisher nicht-recyclebaren heterogenen Kunststoffen (Plasmix) liegt Potenzial. Ein Vorreiter ist Nextchem (Maire Tecnimont-Konzern), das bei Venedig mit ENI eine Waste-to-Fuels-Anlage erstellt. Elektrifizierung ist in Prozessen wie Steam Reforming, Kalkbrennen und Cracking bislang kosten- und technologiemäßig den Green Fuels noch unterlegen, könnte aber mittelfristig eine Alternative werden.

    CCSU könnte als Ausgleich für Produktionsprozesse eine Rolle spielen, die nicht CO2-frei möglich sind, wie zum Beispiel bei der Produktion von Ruß- und Maleinsäurehydrid. Die Chemiefirmen Cabot, Polynt, Versalis und Yara beteiligten sich am CCSU-Projekt von ENI in Ravenna. 

    Zementindustrie braucht Carbon-Capture-Storage-Infrastruktur 

    In der Zementindustrie werden sich höhere Kosten für Zertifikate oder Emissionssenkungen laut Fachverband Federbeton schnell auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken, denn in der Branche sind die operativen Margen niedrig und die Konkurrenz aus anderen Mittelmeeranrainerstaaten groß. Etwa die Hälfte des CO2-Einsparpotenzials sieht der Verband beim CCSU. Hinzu komme der Ersatz schwerer fossiler Brennstoffe durch Gas und Wasserstoff sowie durch alternative Brennstoffe wie Biomasse.

    Im CCSU-Projekt von Ravenna sieht der Verband eine Chance für die Branche. Gleichzeitig weist er aber auf die hohen zusätzlichen Kosten für Infrastruktur und Transport von CO2 sowie auf die komplexen Genehmigungsprozesse hin. Auch sollte das C02-Grenzausgleichssystem (CBAM) schnell in Kraft treten. Ein Pilotprojet einer Power-to-Gas-Anlage für die Zementindustrie mit CCSU mittels Calcium Looping führt Italgas mit dem Zementhersteller Buzzi Unichem bei Piacenza durch. Beim Calcium Looping wird ein Teil des im Rohzement enthaltenen Branntkalks als CO2-Absorber eingesetzt.

    Stahlindustrie: Problemfall Taranto als Chance

    Italiens einziges Primärstahlwerk in Taranto ist für 2 Prozent der italienischen CO2-Emissionen verantwortlich. Nach mehreren Eigentümerwechseln soll nun unter staatlicher Regie die Umwandlung in eine gas- und später wasserstoffbetriebene Direct Reduced Iron (DRI)-Anlage erfolgen. Dafür stehen bis zu 2,7 Milliarden Euro öffentliche Gelder bereit. Mit Danieli gibt es in Italien einen Technologieführer für die DRI-Technik.

    Auch die meist in der Lombardei angesiedelten Spezialstahlhersteller wollen COsparen, zum Beispiel durch den Einsatz von Wasserstoff oder Biogas bei der Beheizung von Industrieöfen, unter anderem beim Warmwalzen. Der Gasnetzbetreiber Snam mischte 2021 in Kooperation mit der Giva-Gruppe Erdgas erfolgreich 30 Prozent Wasserstoff zur Beheizung eines Industrieofens bei. Das Nationale Forschungsinstitut ENEA arbeitet im Rahmen des Projekts Zecomix daran, gespeicherte CO2-Rückstände der Stahl- und Zementindustrie zur Produktion von Bau- und Straßenbaustoffen wiederzuverwenden. 

    Geplante grüne Investitionen in der Industrie

    Projekt

    Investitionssumme

    (Mio. Euro)

    Anmerkung

    Schrittweise Umwandlung des Stahlwerks Taranto (Ilva) in eine grüne Produktion

    8.000

    "Sorgenkind" der italienischen Industrie, zum Teil in den Staatsbesitz übergegangen, soll aber Rolle beim grünen Wandel spielen, Engineeringkonzern Danieli laut Pressemeldungen interessiert an einer Beteiligung beim Umbau zur Direkteisenerzreduzierung (DRI)

    Ravenna CCS

    k.A.

    Energiekonzern ENI, Kooperation mit Saipem und mehreren Industrieunternehmen der Region; Carbon Capture Storage and Reuse in ausgebeuteten Offshore-Gasvorkommen vor der Adriaküste, soll auch ohne europäische Gelder verwirklicht werden

    1. Prototyp Dekarbonisierung Hard-to-abate

    1.400

    Recovery Plan; noch auszuwählen aus energieintensiven Branchen (Zement, Glas, Papier, Stahl, Metall, Keramik), wahrscheinlich Stahlwerk Taranto

    2. Prototyp Dekarbonisierung Hard-to-abate

    600

    Recovery Plan; noch auszuwählen aus energieintensiven Branchen (Zement, Glas, Papier, Stahl, Metall, Keramik)

    Puglia Hydrogen Valley

    60

    Grüne Wassserstoffproduktionen in Brindisi, Taranto und Cerignola/Foggia

    Nextchem CCS Manfredonia (Apulien)

    k.A.

    Machbarkeitsstudie einer Waste-to-Energie mit CCS und nachhaltiger Methanolproduktion

    Dalmine Zero Emissioni (grüner Stahl)

    k.A.

    Stahlhersteller Tenaris in Kooperation mit Snam und Edison; Beimischung von Wasserstoff für die Speisung eines Industrieofens zur Direktreduzierung von Eisenerz (DRI), bei Bergamo (Lombardei)  

    Carbon Capture, Storage and Utilization Sonatrach Augusta (Raffinerie)

    k.A.

    Algerischer Energiekonzern Sonatrach; Machbarkeitsstudie durch Politecnico Turin für Carbon Capture Storage and Utilization in Sizilien

    Keramikwerk Iris Ceramica, Sassuolo

    k.A.

    Fotovoltaikanlagen, Elektrolyseur, Einsatz von grünem Wasserstoff im Produktionsprozess, Region Emilia-Romagna

    Quelle: National Recovery and Resilience Plan (PNNR) 2021; Pressemeldungen 2021, 2022

    Gute Geschäftschancen für deutschen Firmen

    Zu den Technologieführern bei energieeffizienter Ausrüstung für die Industrie gehören in Italien Maire Tecnimont und Danieli. In CCSU sind italienische Dienstleister wie Saipem, Giammarco Vetrocoke oder Rosetti Marino kompetent. Bei wasserstofffähigen Pipelines ist das multinationale Unternehmen Tenaris mit Werk in Bergamo führend.

    Allerdings ist der Bedarf so groß, dass auch für deutsche Anbieter Chancen bestehen. Geschäftsfelder sind: Ausbau erneuerbarer Energiequellen, Monitoring, Messung, Analyse und Optimierung der Produktion mithilfe von Photonik, Automatisierungstechnik und Künstlicher Intelligenz. Hinzu kommen: Industrielle Wärmepumpen mit niedriger Temperatur, Kombinationen aus Wärmepumpen und Heat Boostern, Wärmekraftkessel, befeuerte Erhitzer, elektrische Boiler, Dampfreformer und -kompressoren, Infrarot-Trockner, Industrie-Mikrowellen, Fusionsinduktionsöfen und Plasmatechnologie. 





    Von Oliver Döhne | Mailand

  • Japans Industrieunternehmen unterstützen Dekarbonisierung

    Japans Regierung unterstützt die Dekarbonisierungsaktivitäten der Industrie. Viel Kapital und viele innovative Lösungen sind gefragt, um strukturelle Veränderungen zu erreichen.

    Japans Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 bedeutet für viele Industrien, dass sie ihre Produktions- und Beschaffungsstrategien anpassen müssen. Besonders hoch ist der Druck auf Branchen mit hohen Kohlendioxidemissionen (CO2), wie die Eisen- und Stahl- oder die Chemieindustrie. Viele japanische Unternehmen haben sich bereits darauf eingestellt und sehen die grüne Transformation als Chance für neues Wachstum an.

    Staatliche Finanzierung zugesichert

    Auch die öffentliche Hand gibt Anreize für die Umstellung auf klimaneutrales Wirtschaften. Diverse Initiativen für eine nachhaltige Transformation sind bereits angelaufen. Mit der im Dezember 2022 formulierten Green Transformation (GX) Basic Policy plant die Regierung eine Investitionsoffensive. Sie soll im Zeitraum von zehn Jahren Dekarbonisierungsaktivitäten in 22 Industriebranchen voranbringen.

    Über eine öffentlich-private Finanzierung soll den Unternehmen Unterstützung in Höhe von 150 Billionen Yen (circa 1,1 Billion US-Dollar, US$) zufließen. Der Staat will durch "GX Transition Bonds" 20 Billionen Yen (circa 152 Milliarden US$) aufnehmen. Die staatlichen Gelder sollen Investitionsanreize setzen.

    Hohe Investitionen in neue Technologien

    Unternehmen sollen mit staatlicher Unterstützung Technologien zur Dekarbonisierung entwickeln. Dafür können sie über den Green Innovation Fund bis zu zehn Jahre Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen erhalten. Den Fonds in Höhe von 2 Billionen Yen (circa 15,2 Milliarden US$) verwaltet die New Energy and Industrial Technology Development Organization (NEDO).

    Zu den Pilotprojekten zählt das von NEDO unterstützte Projekt zur Wasserstoffnutzung im Stahlherstellungsprozess. In der Chemieindustrie geht es um innovative Verfahren, Kohlendioxid in der Produktion von Kunststoffen oder von synthetischen Brennstoffen (E-Fuels) einzusetzen. Mehrere Unternehmen entwickeln zudem gemeinsam eine künstliche Photosynthese, mit der sie aus Sonnenenergie grünen Wasserstoff herstellen wollen.

    Emissionsintensive Industrien suchen schnelle Lösungen

    Innovative Lösungen sind gefragt und so entwickeln Japans Firmen und Forschungsinstitute etwa Abscheideanlagen und Elektrolyseure. Zudem schauen sie sich im Ausland nach geeigneten Technologien und Kooperationspartnern um.

    Der Anteil der Eisen- und Stahlindustrie sowie der Chemiebranche an der Gesamtproduktion Japans ist zwar nicht so hoch wie etwa jener der Maschinenbau- oder Automobilbranche. Jedoch verursachen beide rohstoffverarbeitenden Branchen viele Emissionen. Laut Umweltministerium war die Stahlindustrie im Fiskaljahr 2020 (1. April bis 31. März) für etwa 40 Prozent der industriellen CO2-Emissionen des Landes verantwortlich und die Chemieindustrie für rund 17 Prozent.

    Bild vergrößern

    Grüner Stahl ist gefragt

    Die Japan Iron and Steel Federation (JISF), die mehr als 100 Branchenfirmen vertritt, hat im Februar 2021 das Ziel der Net-Zero-Emissionen bis 2050 proklamiert. Der größte Stahlkonzern Japans, Nippon Steel, plant, seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 gegenüber 2013 um 30 Prozent zu verringern. Auf ein Ziel von 30 Prozent arbeitet auch JFE Steel hin. Der drittgrößte Branchenerzeuger, Kobe Steel, will seine Emissionen bis 2030 um 30 bis 40 Prozent senken.

    Die Eisen- und Stahlfirmen loten alle Wege aus, ihre Produktion klimaneutral aufzustellen. Dazu testen Japans Stahlkocher bereits verschiedene Prototypen von Hochöfen, in denen sie Kokskohle durch unterschiedlich hohe Anteile von Wasserstoff ersetzen. Der größte japanische Stahlhersteller, Nippon Steel, hat im Mai 2022 den Prototyp eines Hochofens mit teilweiser Wasserstoffnutzung im East Nippon Works in der Präfektur Chiba vorgestellt.

    Zudem arbeiten Nippon Steel und Kobe Steel gemeinsam an Elektroöfen, die vollständig auf Wasserstoffbasis funktionieren und damit kein Kohlendioxid erzeugen. JFE hat im Sommer 2022 angekündigt, im Jahr 2028 einen seiner Gebläsehochöfen im West Japan Works in der Präfektur Okayama durch einen Elektrohochofen zu ersetzen, der mit Wasserstoff läuft.

    Hohe Erwartung an CO2-Speicherung

    Zu den Technologien für eine klimaneutrale Produktion bis 2050 gehört auch, im Hochofenprozess entstehendes Kohlendioxid abzufangen und es in der Produktion wieder einzusetzen. Ein Testprojekt für einen CO2-Recycling-Hochofen soll 2025 starten. Wo die vorhandenen Technologien (noch) nicht ausreichen, soll die Dekarbonisierung durch die Abscheidung von Kohlendioxid und dessen Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) in erschöpften Öl- und Gasfeldern erfolgen.

    Japans Handelshäuser sind auf der Suche nach entsprechenden Standorten, um das CCS-Verfahren etwa für die Stahl- und Chemieindustrie umzusetzen. In Japan selbst sind geeignete Lagerstätten rar, vor allem für die Menge an CO2, die pro Jahr aus der Atmosphäre entfernt werden soll. Das Wirtschaftsministerium strebt an, im Fiskaljahr 2030 zwischen 6 Millionen und 12 Millionen Tonnen an CO2 mittels CCS abzuscheiden.

    Chemie strebt grünen Wandel an

    Der chemische Sektor ist in Japans Industrie der zweitgrößte Verursacher von Kohlendioxidemissionen. Die Branche hat sich mit ihren Verbänden, darunter die Japan Chemical Industry Association (JCIA) und die Petroleum Association of Japan (PAJ), ebenfalls zur Dekarbonisierung bis 2050 verpflichtet. Der JCIA will die jährlich einzusparende CO2-Menge von 2,7 Millionen Tonnen im Fiskaljahr 2015 auf etwa 6,5 Millionen Tonnen im Fiskaljahr 2030 steigern.

    Der Petrochemie- und Energiekonzern Eneos wiederum will die klimaneutrale Produktion bereits im Jahr 2040 erreichen. Die Mitsubishi Chemical Group wie auch Sumitomo Chemical haben hierfür 2050 im Auge. Alle chemischen Unternehmen wollen zur Dekarbonisierung den Einsatz von erneuerbaren Energien in der Verarbeitung signifikant erhöhen und die Versorgung mit klimaneutralem Wasserstoff ausweiten. In der Produktion von Kunststoffen soll mehr Biomasse eingesetzt werden. Zudem spielt Recycling eine wichtige Rolle. Hinzu kommt die Investition in energieeffiziente Ausrüstung.

    (Stand: 05.04.2023)

    Von Jürgen Maurer | Tokyo

  • Industriebranchen in Polen setzen eigene Akzente

    CO2-Einlagerung, erneuerbare Energien und Atomkraft - mit diesen Technologien will Polens Industrie Emissionen senken. Nicht nur die Finanzierung sorgt für Diskussionen.

    Polens Wirtschaft hat ein Problem. Schlüsselbranchen gehören zu den größten Produzenten von industriellen Treibhausgasen. Wie das staatliche Register KoBiZe (Krajowy Ośrodek Bilansowania i Zarządzania Emisjami) mitteilt, sind die Zementindustrie, die Raffinerien und die chemische Industrie für fast 16 Prozent aller landesweit im europäischen Emissionshandel (EU-ETS) erfassten Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2) verantwortlich. Hinzu kommt klimaschädliches Methangas. Es gelangt unter anderem beim Abbau von Steinkohle in die Atmosphäre. Laut europäischer Energieagentur (EEA) stößt innerhalb der EU kein Industriezweig so viel Methan aus wie der polnische Bergbau.

    Kujawy will erstes klimaneutrales Zementwerk Polens werden

    Polnische Unternehmen kündigen an, ihre Emissionen zu reduzieren. Jede Branche verfolgt eigene Lösungsansätze. Die Zementindustrie setzt auf die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff (Carbon Capture Use and Storage, CCUS). Der Grund: Die meisten Emissionen fallen als Abfallprodukt beim Brennen von Kalkstein an. Laut Experten gibt es für den Prozess keine technische Alternative. Daher wollen Unternehmen das Treibhausgas abfangen und einlagern.

    Das zum Schweizer Holcim-Konzern gehörende Zementwerk Kujawy will bis 2027 eine Pilotanlage bauen. Technologiepartner ist das französische Unternehmen Air Liquide. Holcim plant, das Treibhausgas mit Zügen zur Hafenstadt Gdańsk zu bringen und anschließend im Boden der Nordsee einzulagern. Der EU-Innovationsfonds unterstützt das 380 Millionen Euro schwere Projekt mit 228 Millionen Euro.

    Noch ist der Hafen Gdańsk nicht auf den Umschlag von CO2 vorbereitet. Dies zu ändern, ist die Idee hinter dem Projekt Poland-EU CCS Interconnector. Der Hafen Gdańsk, Holcim und Air Liquide wollen gemeinsam mit dem polnischen Konzern PKN Orlen die nötige Infrastruktur aufbauen. Die Partner werben außerdem für den Bau von CO2-Pipelines. Wie die Bergbauuniversität in Krakau AGH mitteilt, gäbe es in Polen mindestens drei potenzielle Standorte für die CO2-Einlagerung. Was fehlt, ist ein rechtlicher Rahmen. Das Klimaministerium arbeitet an einem Gesetzespaket.

    Deutsches Zementwerk setzt auch auf erneuerbare Energien

    Auch der deutsche Konzern Heidelberg Materials versucht, die Emissionen seiner polnischen Standorte zu reduzieren. Am Zementwerk Górażdże testet ein Konsortium Technologien zur CO2-Abtrennung. Das Programm unter der Leitung des norwegischen Forschungsinstitutes Sintef läuft bis 2025. Das Zementwerk Górażdże hat zusätzlich einen Stromliefervertrag (cPPA) mit BayWa r.e. unterschrieben. Dank der Vereinbarung kann die deutsche BayWa r.e. den ersten Fotovoltaikpark in Polen bauen, der ohne öffentliche Fördergelder auskommt.

    Viele Unternehmen in Polen wünschen sich mehr erneuerbare Energien im Strommix. Firmen plädieren für einen Ausbau der Windkraft und für Direktleitungen zwischen Kraftwerk und Abnehmer. Polens Windenergie stockt wegen strenger Abstandsvorschriften. Die Netzregulierungsbehörde URE stemmt sich gegen Direktleitungen. Ein Zusammenschluss aus Investoren und Verbänden, darunter Mercedes, Ikea, Amazon, der polnische Wirtschaftsverband der Eisen- und Stahlwerke sowie der Verband der Zementhersteller, appellierte in einem Schreiben: "Ohne grüne Energie läuft die polnische Wirtschaft Gefahr, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren."

    Bild vergrößern

    Kleine Reaktoren - große Hoffnungen

    Energieintensive Unternehmen wollen sich aber nicht allein auf erneuerbare Energien verlassen. Polens Raffineriebetreiber zeigen, ebenso wie die Chemiekonzerne, Interesse an modularen Nuklearreaktoren (SMR). Diese Atomkraftwerke im Miniaturformat sind noch kaum erprobt. Weltweit befinden sich wenige Testanlagen in Betrieb. Trotzdem unterschreiben Unternehmen bereits Absichtserklärungen mit potenziellen Technologielieferanten.

    Ein Joint Venture des Raffineriekonzerns PKN Orlen und des Chemieriesen Synthos kooperiert zum Beispiel mit GE Hitachi. Bis 2038 will die neu gegründete Orlen Synthos Green Energy in Polen 76 SMR aufbauen. Wie PKN Orlen erklärt, werden die Partner im Jahresverlauf 2023 erste Standorte dafür bekannt geben. Auch der polnische Kupferförderer KGHM interessiert sich für SMR. Technologiepartner ist die amerikanische NuScale. KGHM will in Polen bis zu zwölf Reaktoren installieren. Die Anlagen könnten Erdgas- und Kohlekraftwerke von KGHM ersetzen.

    Es gibt weitere Beispiele. Anfang 2023 unterzeichnete der polnische Düngemittelproduzent Industria ein Abkommen mit der Nuklearsparte von Rolls-Royce. Wie bei allen SMR-Projekten geht es nicht nur darum, den Eigenbedarf an Energie zu decken. Die Firmen bringen sich auch als Vertriebspartner in Stellung.

    Mindestens zwei Probleme gibt es: Die SMR-Anlagen haben in Polen noch keine Zulassung. Außerdem ist die Finanzierung der Projekte ungeklärt. Auf die Herausforderungen weist das polnische Chemieunternehmen Ciech hin. Der Hersteller von Pflanzenschutzmittel will seine Kohlekraftwerke nicht durch Kernreaktoren, sondern durch Gas- und Müllverbrennung ersetzen.

    Bergbau fürchtet neue Grenzwerte

    Eigentlich hatte Polen angekündigt, die Kohleverstromung zurückzufahren. Mit der Umsetzung tut sich das Land aber schwer. Eine im Europäischen Parlament diskutierte Methan-Verordnung sorgt für Ärger. Demnach dürften Kohleminen ab 2027 nicht mehr als 5 Tonnen Methan je Kilotonne Kohle ausstoßen. Das sei technisch unmöglich, sagt das polnische Ministerium für Staatsunternehmen. Der Methanausstoß läge bei durchschnittlich 8 Tonnen je Kilotonne Kohle. Laut Ministerium könne man das Gas nicht zu wirtschaftlichen Bedingungen verwerten. Zusätzliche Kosten würden dafür sorgen, dass Minen früher als geplant schließen müssten.

    Die Steinkohlefirmen legen eigene Pläne vor. Das Unternehmen Jastrzębska Spółka Węglowa (JSW) führt ein Programm durch, um 50 Prozent mehr Methan aufzufangen als bisher. Der Betreiber will das Gas für die Strom- und Wärmeproduktion nutzen. JSW sagt aber auch, dass nicht alle Methanemissionen genutzt werden können.

    Von Christopher Fuß | Warschau

  • Spaniens Industrie sucht nach Alternativen

    Spaniens Industrie soll bis 2050 deutlich weniger Emissionen produzieren als heute. Die Aussichten für den Ausbau erneuerbarer Energien und der Sektorkopplung sind günstig.

    Die spanische Langzeitstrategie für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 weist der Industrie eine Schlüsselrolle zu. Sie soll ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung mindestens halten, dabei aber 90 Prozent weniger Emissionen erzeugen. In Zahlen bedeutet dies eine Reduktion von 72 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2020 auf nur noch 7 Millionen Tonnen 30 Jahre später.

    Die Industrie steht jeweils für circa ein Fünftel der Wirtschaftsleistung, der Treibhausgasemissionen, des Endverbrauchs fossiler Brennstoffe und des Endenergieverbrauchs. Zur Transformation sollen alternative Rohstoffe und Kreislaufwirtschaftskonzepte beitragen. Die Abscheidung und Speicherung von CO2 bildet einen zentralen Schwerpunkt. Zudem will Spanien vermehrt erneuerbaren Wasserstoff als Energieträger nutzen.

    Handlungsdruck ist da

    Für Industrieunternehmen bedeutet dies umfangreiche Veränderungen und erhebliche Kosten. Der Handlungsdruck wächst jedoch. Bereits vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine nahmen die Energiekosten in Spanien zu. Die Risiken einer Abhängigkeit von importierten fossilen Energieträgern treten seit Kriegsbeginn noch deutlicher hervor.

    Spaniens Industrielandschaft ist breit gefächert und besteht aus vielen Unternehmen mit hohem Energiebedarf. Zu den energieintensivsten Branchen zählen die chemische Industrie sowie die Kfz- und Nahrungsmittelindustrie. Im Fachverband AEGE haben sich energieintensive Unternehmen zusammengeschlossen. Die Schwerpunkte liegen auf Industriegasen, Metallen und chemischen Erzeugnissen. Die Mitgliederliste bietet Anhaltspunkte für industrielle Großverbraucher in Spanien.

    Regierung fördert Dekarbonisierung aus EU-Mitteln 

    Die spanische Regierung unterstützt mit einem neuen Strategieplan die Dekarbonisierung der Industrie. Dafür stehen 3,1 Milliarden Euro aus dem Aufbau- und Resilienzplan bereit. Die Regierung will so Investitionen von insgesamt 11,8 Milliarden Euro anregen. Die CO2-Emissionen dürften in der Folge um 13 Millionen Tonnen pro Jahr sinken. Der Plan läuft bis 2026, wobei genehmigte Vorhaben noch danach abgeschlossen werden können.

    Den größten Block des Förderplans bilden die Elektrifizierung industrieller Prozesse und der Einsatz von grünem Wasserstoff. In diesem Kontext stehen auch ein integriertes Energiemanagement, ein reduzierter Ressourceneinsatz und die Speicherung von Kohlendioxid. Dafür stehen Kredite in Höhe von 1,5 Milliarden Euro und Subventionen von 800 Millionen Euro zur Verfügung.

    Die restlichen Gelder sind für Unternehmen bestimmt, die am europäischen Gemeinschaftsprojekt für Wasserstoff teilnehmen. Hinzu kommen Hilfen für Klimaschutzverträge sowie hocheffiziente nachhaltige Produktionseinrichtungen.

    Verteilung der Fördermittel des Strategieplans zur industriellen Dekarbonisierung (in Millionen Euro)

    Maßnahme

    öffentliche Subventionen

    öffentliche Kredite

    erwarteter privater Anteil

    Zeitraum

    Projekte zur industriellen Dekarbonisierung

    800

    1.500

    6.300

    2023-26

    Hilfen für teilnehmende Unternehmen am IPCEI-Wasserstoffprojekt der EU

    450

    0

    1.350

    2023

    Hilfen zur Entwicklung hocheffizienter Produktionsstätten

    150

    100

    750

    2023-26

    Entwicklung eines Fonds für CO2-Differenzkontrakte und ein erstes Pilotprojekt

    0

    100

    300

    2024

    Summe

    1.400

    1.700

    8.700

    Quelle: Resumen executivo PERTE Descarbonización industrial, spanische Regierung 2022

    Zu den Zielbranchen gehören energieintensive Zweige wie die Keramik-, Zement- und Glasherstellung. Namentlich genannt sind auch die chemische Industrie und Raffinerien. Hinzu kommen die Metallindustrie und Hersteller von Papier und Zellstoff. Große Betriebe der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie können ebenfalls von Fördermitteln profitieren.

    Sehr wahrscheinlich ist, dass über den staatlichen Strategieplan hinaus viele größere und kleinere Dekarbonisierungsprojekte umgesetzt werden. Multinationale Unternehmen werden ihre spanischen Standorte in ihre Klimastrategien einbinden. Zudem dürften die Vorreiter andere motivieren, ebenfalls Projekte umzusetzen.

    Grüner Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle

    Einige Unternehmen sind bereits Vorreiter in der Transformation der Industrie. Der Düngemittelhersteller Fertiberia nutzt an seinem Standort Puertollano grünen Wasserstoff, den das Unternehmen mit Solarenergie selbst erzeugt. Zum Zeitpunkt der Eröffnung 2022 handelte es sich um die größte industrielle Anlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Europa.

    Die Europäische Kommission gab im Februar 2023 Subventionen für die Dekarbonisierung des Stahlkonzerns ArcelorMittal frei. Die Prozesse des Unternehmens sollen mit einem EU-Beitrag von 460 Millionen Euro umgestaltet werden. In der nordspanischen Küstenstadt Gijón betreibt das Unternehmen zwei Hochöfen. Bis 2025 sollen Produktionsprozesse schrittweise von Gas auf erneuerbaren Wasserstoff umgestellt werden. Zudem wird ein neuer elektrischer Lichtbogenofen installiert.

    Energie- und Petrochemiekonzerne nehmen eine Doppelrolle bei der Dekarbonisierung ein. Sie stellen ihre eigenen Aktivitäten um und unterstützen andere Unternehmen bei deren Transformation. Beispielsweise investieren die Energiekonzerne Enagas, Endesa und Naturgy in großem Stil in Anlagen für die Wasserstoffproduktion. Die Petrochemieriesen Repsol und Cepsa kooperieren mit Fluggesellschaften und stellen aus pflanzlichen und industriellen Reststoffen Biokerosin her.

    Dekarbonisierung bietet Absatzchancen

    Durch die zahlreichen Ansatzpunkte zur Reduzierung von Emissionen entstehen vielfältige Absatzchancen. Grob betrachtet spielt die stärkere Einbindung erneuerbarer Energien eine wichtige Rolle, ebenso die bessere Nutzung von Wärme und mehr Energieeffizienz.

    Die AHK Spanien erwartet steigende Investitionen in den Eigenverbrauch von erneuerbaren Energien und Speicherlösungen. Spanische Unternehmen setzen in sensiblen Bereichen wie dem Stromsektor oft auf deutsche Technik. Gute Aussichten haben sowohl Fotovoltaik- als auch kleinere Windenergieanlagen und Speicherlösungen.

    Ein Ausbau der Sektorkopplung von Strom, Wärme und Mobilität erfordert ebenfalls technische Ausrüstung. Mess- und Steuerungstechnik sowie diverse Lösungen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie dürften künftig auch gefragt sein.

    Kraft-Wärme-Kopplung schafft mehr Effizienz

    In der spanischen Industrie ist die Kraft-Wärme-Kopplung bislang weniger verbreitet als in Deutschland oder Italien. Insbesondere für wärmeintensive Branchen kann diese Technologie ein Baustein für mehr Effizienz und weniger Emissionen sein. Innerhalb der Industrie kommen vor allem die Zweige Nahrungsmittel, Chemie, Automobile, Raffinerien, Textilien, Papier und Keramik in Betracht.

    (Stand 05.04.2023)

    Von Oliver Idem | Madrid

  • Briten setzen auf Dekarbonisierung in Industrie-Clustern

    Der Staat fördert die Klimaneutralität der britischen Industrie, im Fokus stehen dabei energieintensive Industrien in Clustern, zum Beispiel Raffinerien und die Zementindustrie.

    Im Vereinigten Königreich sind Industrie und Bauwirtschaft mit einem Anteil von rund 24 Prozent die zweitgrößten Emittenten von Kohlendioxid (CO2). Bis 2050 will die Regierung Nettoneuemissionen in diesen Sparten komplett vermeiden. Bereits bis 2035 sollen die industriellen CO2-Emissionen im Vergleich zum Basisjahr 2018 um 63 bis 76 Prozent sinken. Wegweisend dafür ist die 2021 verabschiedete Industrial Decarbonisation Strategy. Unter dem Strich aber spielt die Industrie in Großbritannien aufgrund des starken Dienstleistungssektors gesamtwirtschaftlich eine kleinere Rolle als vergleichsweise am Industriestandort Deutschland.

    Dekarbonisierungsplan steht vor kritischer Phase

    Die britische Industrie konnte bisher den gesetzlich vorgeschriebenen Zielkorridor des Dekarbonisierungsplans einhalten. Jedoch sieht der unabhängige Climate Change Council als Kontrollgremium in den Emissionen von 2021 eine leichte Verfehlung des anvisierten Ziels. Dabei befindet sich die Dekarbonisierung der Industrie an einem kritischen Punkt, wie das Gremium in seinem Bericht an das britische Unterhaus bemerkt. Denn ab 2024 sollen die Reduktionsziele noch strenger werden.

    Bild vergrößern

    Im Zentrum der Regierungsmaßnahmen stehen vor allem Investitionen in Technologien und Infrastrukturen zur Speicherung, Lagerung und Nutzung von CO2 (Carbon Capture, Utilisation and Storage, CCUS). Damit baut das Königreich auf seine geologischen Speicherkapazitäten, die laut Regierungsangaben mit 78 Gigatonnen CO2 zu den weltweit größten gehören. Sie könnten die britischen Emissionen aus mehr als 200 Jahren aufnehmen.

    Bis 2030 sollen darin jährlich bis zu 30 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden. Rund 10 Millionen Tonnen CO2 werden aus vier industriellen Hotspots abgeschieden, die in CCUS-Cluster transformiert werden. Dafür mobilisiert der Staat rund 1 Milliarde Pfund Sterling im CCUS Infrastructure Fund. Mit HyNet North West und dem East Coast Cluster stehen die ersten Cluster mit 36 Projektvorschlägen bereits in den Startlöchern.

    Ausgewählte staatliche Investitions- und Forschungsförderprogramme

    Programm

    Summe (in Millionen Euro)

    Anmerkungen

    Carbon Capture and Storage Infrastructure Fund

    circa 1.200

    Entwicklung von CCUS-Clustern und Transport- und Lagersystem

    Net Zero Innovation Portfolio

    circa 1.200

    Forschungsrahmenprogramm über die Industrie hinaus, zum Beispiel Gebäude, Energiespeicherung, Wasserstoff

    Industrial Energy Transformation Fund (IETF)

    378

    Zuschüsse zu Investitionen in Energieeffizienz und emissionsarme Technologien

    Green Heat Network Fund (GHNF)

    324

    Unterstützung der Kommerzialisierung und des Baus neuer kohlenstoffarmer und -freier Wärmenetze, sowie die Nachrüstung und Erweiterung bestehender Wärmenetze

    Net Zero Hydrogen Fund

    270

    Fonds mit dem Ziel, den kommerziellen Einsatz neuer kohlenstoffarmer Wasserstoffproduktionsprojekte zu unterstützen. Hierzu laufen Wettbewerbsprogramme für neue Projekte. Verkündung weiterer Vergaberunden im Laufe des Jahres 2023

    Industrial Decarbonisation Challenge

    204

    Forschungsprogramm zur Entwicklung emissionsarmer Technologien, inklusive CCUS, in energieintensiven Industrien

    Aerospace Technology Institute (ATI) Programme

    125

    Regierung und Industrie investieren in Wasserstoff- und vollelektrische Flugzeugtechnologien

    Zero Emission Vessels and Infrastructure (ZEVI) Competition

    87

    Von der Regierung finanziertes Wettbewerbsprogramm zur Dekarbonisierung des britischen maritimen Sektors und Infrastruktur

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023

    Ein weiterer Hebel zur Dekarbonisierung ist das Fuel Switching, also der industrielle Wechsel auf emissionsarme Energiequellen wie Wasserstoff und Bioenergie oder Strom. Flankiert wird der Hebel auch von Maßnahmen und Fördermitteln für Ressourcen- und Energieeffizienz und dem Forschungsrahmenprogramm Industrial Decarbonisation Challenge.

    Britische Raffinerien setzen auf CCUS-Lösungen

    Britische Erdölraffinerien sind die stärksten CO2-Emittentinnen der Industrie. Sie haben die drittgrößte Treibhausgasintensität im verarbeitenden Gewerbe. Im Fokus der Branche stehen sechs großen Raffinerien, die vor allem auf den Einsatz von CO2-Abscheidetechnologien setzen.

    CO2-Emissionen in ausgewählten britischen Industriebranchen (2020)

    Industriebranche

    Anteil an den CO2-Emissionen im verarbeitenden Gewerbe (in %)

    Rang

    Treibhausgasintensität 1)

    Rang

    Erdölraffinerien

    16,7

    1

    4,2

    3

    Eisen- und Stahlherstellung

    16,1

    2

    4,5

    1

    Zementherstellung

    9,1

    3

    2,7

    4 2)

    Petrochemische Industrie

    8,3

    4

    2,1

    5

    Glas-, Porzellan- und Keramikproduktion

    3,7

    5

    1,4

    7

    Industriegase

    2,5

    9

    4,3

    2

    1 Anzahl CO2-Äquivalente in 1.000 Tonnen pro Millionen Pfund Sterling Bruttowertschöpfung; 2 einschließlich anderer nichtmetallischer mineralischer Produkte wie Kalk.Quelle: Department for Business, Energy & Industrial Strategy 2022

    Die Prax-Gruppe investiert rund 300 Millionen Pfund in ihre Raffinerie am nordostenglischen Fluss Humber, um schon ab 2028 jährlich rund 85 Prozent der CO2-Emissionen einsparen zu können. Die Anlage liegt in dem am meisten CO2-verursachenden Industriecluster des Landes und wird mithilfe staatlicher Investitionen massiv dekarbonisiert. Über die Pipeline des East Coast Cluster soll das von Prax gebundene CO2 in einer Lagerstätte in der Nordsee eingespeichert werden. Die nahegelegene Raffinerie des US-Unternehmens Phillips 66 plant ebenfalls eine CO2-Abscheidung, die 2027 beginnen könnte.

    Die größte Raffinerie des Landes in der Nähe von Southhampton, betrieben vom US-Riesen ExxonMobil, schlägt ein Projekt zur Erzeugung von blauem Wasserstoff vor. Das Vorhaben steht in Zusammenhang mit der Bewerbung eines Konsortiums unter Beteiligung von Exxon für ein CCUS-Cluster am südenglischen Solent.

    Zementindustrie benötigt regionale Förderungen

    Die Zementindustrie will entlang der UK Concrete Roadmap to Beyond Net Zero bis 2050 einen Großteil ihrer Emissionseinsparungen, die sich auf 61 Prozent belaufen sollten, durch CCUS-Lösungen erreichen. So erwartet der zum deutschen Heidelberg Materials-Konzern gehörende Hersteller Hanson UK eine Förderzusage für eine geplante 400 Millionen Pfund Sterling teure CCS-Investition im HyNet-Cluster.

    Einige Hersteller, wie die Tarmac-Standorte in Südwales und Schottland, könnten von weiteren CCUS-Clusterinitiativen profitieren. Wegen dezentraler Lagen einiger Firmen können aber nicht alle aus der geplanten CCUS-Infrastruktur Nutzen ziehen. Der Branchenverband Minerals Products Association fordert zusätzliche Unterstützung der Regierung für regionale Zementwerke, auch um ausländische Investoren bei der Stange zu halten.

    Britischer Forschungsdurchbruch: Bauschutt wird zu emissionsfreiem Zement

    Im Pilotprojekt „Cement 2 Zero“ entwickelt die Forschungsinitiative „Cambridge Electric Cement“ einen emissionsfreien Prozess, um recycelten Zement herzustellen. Dafür wird zerkleinerter Beton aus Bauschutt separiert, beim Stahlrecycling im Lichtbogenofen mitgebrannt und aus dem Schlack neu zu hochwertigem Zement verarbeitet. Bis August 2024 soll die Forschung am Prozess abgeschlossen sein, um ihn in der Industrie einsetzen zu können.


    Die Initiative wird mit einer 6,5 Millionen Pfund Sterling schweren staatlichen Forschungsförderung unterstützt. Dafür kooperieren das Materials Processing Institute im nordostenglischen Middlesbrough mit der Patentinhaberin an der Universität Cambridge und Industriepartnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dazu gehören die Unternehmen Tarmac, CELSA, Balfour Beattie, Atkins und Days Aggregates.

    Nennenswerte Innovationen zeigt die Branche mit emissionsarmen Zementmixen, neuen Betonmischungen im Straßenbau und emissionsfreiem Recyclingzement (siehe Infobox). „Wir konnten in einem Forschungsprojekt nachweisen, dass Wasserstoff und Biomasse im Energiemix bei der Zementherstellung sehr gut einsetzbar sind“, erklärt Diana Casey, Direktorin beim Branchenverband Minerals Products Association. An dem Projekt war auch der Verein Deutscher Zementwerke beteiligt.

    Stahlindustrie hinkt hinterher

    In der britischen Stahlindustrie stockt die Dekarbonisierung massiv. Wirtschaftliche Probleme führen zu Entlassungen. Bisher ist noch nicht abzusehen, wann der mit 250 Millionen Pfund Sterling bereits budgetierte Green Steel Fund geöffnet wird. Der Think Tank ECIU sieht die britische Stahlindustrie im Vergleich zu den europäischen Wettbewerbern im Hintertreffen. Der Branchenverband UK Steel beklagt die hohen britischen Energiepreise und den fehlenden Schutz des Binnenmarktes vor emissionsstarken Stahlimporten.

    Im einzigen großen derartigen Projekt der Branche erprobt British Steel im nordostenglischen Teesside den Einsatz von Wasserstoff in der Produktion. Ist das Projekt erfolgreich, könnte der neue Prozess am südlicheren Produktionsstandort am Humber zum Einsatz kommen. Dort erhielt das Unternehmen eine Großbestellung für das CO2-Abscheideprojekt des Energieerzeugers Drax.

    (Stand 05.04.2023)

    Von Marc Lehnfeld | London

  • Regierung kurbelt Dekarbonisierung der Industrie an

    Klimaschutz funktioniert in den USA durch die Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit der Privatwirtschaft: Behörden stellen Fördergelder bereit, die Industrie folgt dem Ruf. (Stand 05.04.2023)

    Die US-Regierung arbeitet unter Hochdruck an Programmen zur Verringerung des Kohlendioxidausstoßes (CO2). Schließlich soll das Land bis 2050 klimaneutral aufgestellt sein. Um dieses Ziel zu erreichen, nimmt die Regierung sehr viel Geld in die Hand, wie der Infrastructure Investment and Jobs Act mit einem Finanzierungsumfang von 1.200 Milliarden US$ sowie der Inflation Reduction Act im Umfang von 379 Milliarden US$ zeigen. Deutschen Unternehmen, die emissionsarme Technologie in die USA liefern beziehungsweise von dort US-Technologie importieren wollen, kommt die ökologisch ausgerichtete Förderpolitik des Weißen Hauses sehr entgegen.

    Einige Anfangsziele haben die USA schon erreicht: Die Industrie kauft jährlich 10 Millionen Tonnen Wasserstoff. Verbraucht wird der alternative Energieträger unter anderem in Ölraffinerien und zur Ammoniakproduktion. Auch kündigte das Gasunternehmen SolCaGas das Pipelineprojekt Angeles Link an, wodurch die Region Los Angeles mit grünem Wasserstoff versorgt werden soll. CF Industries Inc. nimmt wiederum einen Elektrolyseur in der Ammoniakproduktion in Betrieb und Air Products and Chemicals Inc. arbeitet an einer entsprechenden Anlage für Wasserstoff zum Fahrzeugantrieb (Hydrogen for Mobility).

    Bild vergrößern

    Für die deutsche Wirtschaft lohnt es sich zu verfolgen, welche Strategien zur Dekarbonisierung das federführende Energieministerium (DOE) auf Bundesebene entwickelt und für welche Technologiebereiche das DOE Fördergelder vergibt. Für die Industrie, den zweitgrößten Emittenten von Kohlendioxid nach dem Transportsektor, hat die Behörde eine Emissionsverringerungsstrategie mit der Bezeichnung "Industrial Decarbonization Roadmap" vorgelegt. Sie stellt eine Agenda für die Zusammenarbeit von Regierung, Industrie und Interessenvertretern dar. Deutsche Forschungseinrichtungen und Exportbetriebe können sich an dieser Roadmap orientieren, wenn sie sich an Projekten beteiligen wollen.

    Ökologisches Ziel der DOE-Strategie ist die beschleunigte Emissionsreduzierung. Sie verfolgt aber zugleich das strategische Ziel, die Wettbewerbsposition der USA zu stärken: Die breite Anwendung und Herstellung fortschrittlicher Klimaschutztechnologien sollen die USA zum Land mit der innovativsten Industrie machen. Noch ist die Industrie nach Angaben der Energieinformationsbehörde U.S. Energy Information Administration mit einem Jahresausstoß von 1.360 Millionen Tonnen aber für 30 Prozent aller primärenergiebezogenen CO2-Emissionen des Landes verantwortlich (Stand 2020).

    Branchen mit großem Einsparpotenzial erhalten Förderung

    Davon ausgehend konzentriert sich das Energieministerium auf die fünf Industriebranchen mit dem höchsten Treibhausgasausstoß: die Petrochemie, die Chemie, die Eisen- und Stahlindustrie, die Zementherstellung sowie die Nahrungsmittelverarbeitung. Diese Branchen verursachen zusammen 52 Prozent der industriellen CO2-Emissionen beziehungsweise 15 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes.

    Bild vergrößern

    Chemie- und Petrochemie sollen elektrifiziert und effizienter werden

    Um die Netto-Null-Ziele in der Chemieindustrie zu erreichen, fördert das DOE Forschungsarbeiten zur Senkung des Energiebedarfs in der Prozesswärmeerzeugung. Konkret handelt es sich dabei um Katalysatoren und Reaktoren sowie um die Elektrifizierung der Produktionsprozesse unter Nutzung von Wasserstoff und Biomasse. 

    In Raffinerien verursachen das Hydrocracken, das katalytische Cracken, die atmosphärische Destillation, die Methandampfreformierung sowie die regenerative katalytische Reformierung die meisten Schadstoffemissionen. Um diese auf ein Minimum zu senken, drängt die Behörde auf mehr Energieeffizienz sowohl in den Prozessen als auch bei der innerbetrieblichen Dampf- und Stromerzeugung.

    Der CO2-Fußabdruck der chemischen und petrochemischen Industrie soll zudem durch die Verwendung kohlenstoffarmer fossiler oder gar kohlenstofffreier Energiequellen verringert werden. Dafür empfiehlt das DOE Strom aus alternativen Quellen, grünen Wasserstoff und Biokraftstoffe, aber auch Wärme und Elektrizität aus Nuklearreaktoren.

    Grüne Energieträger sollen Prozesswärme liefern

    In der Eisen- und Stahlindustrie sorgen der Einsatz von Kokskohle als Energieträger sowie die chemische Reduktion von Eisenoxid für hohe Treibhausgasemissionen. Um die Netto-Null-Ziele zu erreichen, unterstützt das DOE die Umstellung der Stahlkocher auf kohlenstoffarme beziehungsweise kohlenstofffreie Brennstoffe, darunter grünen Wasserstoff, sowie die Prozesselektrifizierung. Auch investieren Stahlkocher bereits in transformative Technologien die U.S. Steel Corp sowie die Nucor Corp errichten zum Beispiel Kleinhütten mit emissionsarmen Lichtbogenöfen. Damit wird mehr auf Klasse und weniger auf Masse gesetzt. 

    In der Lebensmittel- und Getränkeindustrie fördert das Energieministerium die Elektrifizierung der Prozesswärmeerzeugung, aber auch die Elektrifizierung der Verdampfungs- und Pasteurisierungsprozesse.

    In der Zementindustrie entfallen 60 Prozent des Treibhausgasausstoßes allein auf die prozessbedingten CO2-Emissionen aus der Kalzinierung. Die anschließende Zementherstellung ist generell sehr energieintensiv, wobei die Wärme aus der Verbrennung von Kohle und Petrolkoks etwa 88 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in diesem Sektor ausmacht. 

    Die Bundesbehörde fördert hier unter anderem die Technologieentwicklung zur Abfallreduzierung, einschließlich der Einführung von Elementen der Kreislaufwirtschaft im Betonbau. Weiterhin gehört dazu der Einsatz kohlenstoffarmer Bindemittel und natürlicher Zementzusatzstoffe. Dadurch wird die Kohlenstoffintensität von Klinkern und festen Materialien, die zur Herstellung von Zement verwendet werden, minimiert.

    Von Ullrich Umann | Washington, D.C.

nach oben
Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.