Special Indien
Aktionsplan der indischen Regierung könnte noch ausgebaut werden
Ein Start-up in Indien zu gründen gilt als sehr riskant. „Es ist nicht unbedingt das, was deine Eltern sich für dich wünschen“, sagte Rahul Singh, Gründer der Spiele-Software-Firma Flexboard in einem Interview mit Germany Trade and Invest (GTAI). Tatsächlich ist das Gründen von Start-ups erst seit dem Erfolg der Gründer Binny Bansal (Flipcart), Kunal Bahl (Snapdeal) oder Bhavish Aggharwal (Ola Cabs) als Karrieremodell anerkannt. Sie sind die Schöpfer der indischen Ausgaben von Amazon, Ebay oder Uber, die indischen Stars analog zu Travis Kalanick oder Jeff Bezos.
„Wir leben in einem Schwellenland und haben andere Verantwortungsbereiche als Kollegen in unserem Alter aus den USA. Kaum einer kann es sich leisten, ein solches Risiko einzugehen“, so Singh, der selbst aus eher einfachen Verhältnissen stammt. Wenn man sich das Profil der erfolgreichen Start-up-Gründer der letzten zehn Jahre anschaut, sind es tatsächlich die besser Betuchten, die ein Unternehmen gründen. Sie haben oftmals in Amerika oder Europa studiert und kehren nun in ihre Heimat zurück, um sich als Geschäftsleute zu beweisen. Häufig haben sie an Eliteuniversitäten studiert oder bei internationalen Großkonzernen gearbeitet.
Profil von Start-up-Gründern in Indien
Kriterium | Angaben in % |
Alter |
|
| 20 |
| 31 |
| 44 |
Geschlecht |
|
| 89 |
| 11 |
Bildung |
|
| 50 |
| 25 |
Quelle: Nasscom, Oktober 2018
Inder sind bekannt für kreative, kostengünstige und innovative Lösungsansätze, die meistens aus einer Notwendigkeit, bedingt durch Ressourcenknappheit, entstehen. Genau darauf setzte man, als sich die Start-up-Szene entwickelte. Man hoffte auf einfache, aber neuartige Ideen und Lösungen, die die Lücken in den meisten Lebensbereichen und Branchen in Indien ausfüllen könnten und so dem Land bei seiner Entwicklung nützen würden. Dieser Innovationsgeist heißt in Indien Jugaad.
„Es gibt erfolgreiche neue Produkte auf dem Subkontinent. Häufig aber sind das eher globale Modelle oder lokale Nachahmungen mit minimaler Innovation“, sagt Alok Bardiya, Chief Executive Officer des Investmentarms des Telekommunikationsunternehmens Cisco, in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. „Ob die E-Commerceplattformen Flipkart oder Snapdeal, der Taxidienst Ola oder der Bezahldienst Paytm, die erfolgreichsten Start-ups der vergangenen zehn Jahre waren in erster Linie indische Replikate internationaler Modelle, Kopien von Amazon, Uber oder Paypal“.
Die Hoffnung ist weiterhin groß, dass indische Start-ups in Sektoren wie dem Gesundheitsbereich oder den Informationstechnologie-Dienstleistungen und überall dort entstehen, wo Technologie gebraucht wird, die Lösungsansätze für die dringenden Probleme des Landes bietet. Dafür sind ausländischen Mentoren, die nicht nur Kapital bereitstellen, sondern auch beratend zur Seite stehen, sehr gefragt.
Investitionen steigen um über 100 Prozent
Im Zeitraum von Januar bis September 2018 wurden 4,2 Milliarden US-Dollar (US$) und damit 108 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode in Start-ups investiert. Den größten Teil konnte sich Late-Stage mit 3 Milliarden US$ sichern. Vor allem die Finanzierung in der Startphase ist zurückgegangen, während die in der Frühphase ein Plus von 4 Prozent verzeichnete.
Finanzierung innerhalb der verschiedenen Phasen (Veränderungsrate in %)
| Jan.-Sep. 2017 | Jan.-Sep. 2018 | Veränd. 2018/17 |
Startphase - < US$ 1 Mio. | 191 | 151 | -21 |
Frühphase - US$ 1 bis 5 Mio. | 993 | 1000 | +4 |
Wachstums-/Expansionsphase - > US$ 20 Mio. | 847 | 3000 | +259 |
Quelle: Nasscom, 2018
Finanzielle Unterstützung erhalten viele Gründer zunächst von ihrer Familie, durch Freunde oder Nachbarn. Die Finanzierung über Banken ist, wie für andere kleine Unternehmen im Land, schwierig. Banken stellen zumeist hohe Anforderungen für die Gewährung eines Kredits. Geschäfte mit etablierten Kunden oder auch „Late Stage“ Start-ups bedeuten für die Kreditinstitute einen Aufwand, allerdings ein geringeres Risiko als Jungfirmen in der Start- oder Frühphase und sind damit interessanter. Umso wichtiger ist die Etablierung von Inkubatoren und Acceleratoren (I&A).
Starthilfe ist ausbaufähig
Mit Stand von 2017 gibt es in Indien über 190 aktive I&A. Das ist im internationalen Vergleich wenig: In Deutschland gab es 2017 beispielsweise rund 390 und in Israel 356 I&A. Abgesehen davon befinden sich die meisten in Tier 1-Städten wie Mumbai, Delhi oder Bangalore. Es gibt nur wenige I&A in ländlichen Gebieten und ärmeren Regionen wie Bihar und Jharkand. Weiterhin bemängeln Experten oftmals die Qualität von I&A - gerade mal geschätzte 20 Prozent leisten gute Arbeit und verfügen über engagierte Mitarbeiter.
Die meisten I&A in Indien befinden sich an Hochschulen und Universitäten, da diese oft von der Regierung unterstützt werden. Viele Gründerzentren werden von akademischen Mitarbeitern betreut, die aber nur über unzureichendes Wissen des Geschäftswesens verfügen, erklärt Julian Zix, Projektleitung GINSEP, in einem Interview mit der GTAI.
Wachstumsimpulse setzen vor allem die Unternehmerseite sowie die privaten Anbieter. Laut des indischen Fachverbands National Association of Software and Services Companies (Nasscom) beteiligen sich Firmen an mehr als 50 Innovationsprogrammen, 20 I&A sowie 30 bis 40 aktiven Investmentfonds. Auch globale Unternehmen suchten verstärkt nach Kooperationspartnern. Im 1. Halbjahr 2018 registrierte Nasscom über 70 Unternehmenszusammenschlüsse, was einem Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zu 2017 entspricht.
I&A | Anzahl | Beispiele | Unterstützungsform (Beispiele) |
Unternehmen | 20 | Zes Fintech, Bosch, Shell | Beratung; Netzwerkmöglichkeiten |
Privat | 65 | Axilor Venture, ISME Ace | Mentorship; Bereitstellung von Bürofläche |
Akademischer Bereich | 90 | IIM Kozhikode, IIT Roorkee | Zugang zu Fakultät; Bereitstellung von Bürofläche |
Regierung | 15 | 10.000 Start-ups | Gestaltung einfacherer Rahmenbedingungen |
Quelle: Nasscom, 2018
Mit dem Start-up India Action Plan legte Premierminister Modi 2016 eine 19 Punkte-Liste vor, die erhebliche Erleichterungen in Form von etwa Steuervergünstigungen und Fonds verspricht. Weiterhin wurden die Complianceanforderungen und Beschränkungen für ausländische Start-up-Investoren gelockert.
Laut Experten werden die bisherigen Maßnahmen alleine nicht ausreichen. Es ist nach wie vor schwierig für Unternehmensgründer, sich im Rechtsrahmen zurechtzufinden oder sich gar bei Rechtsstreitigkeiten durchzusetzen. Neben der Finanzierung scheitern viele Start-ups daran, Kunden zu akquirieren und qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Auch der Schutz geistigen Eigentums ist schwach ausgeprägt. Laut einer Studie von Nasscom schaffen gerade einmal 10 Prozent den Schritt, ein rentables Unternehmen zu werden.
Weiterhin hat die indische Regierung die Zielsetzung von 10.000 Neugründungen bis 2020 angekündigt. Dieser Plan ist sehr ambitioniert. Der Vergleich macht klar: "Israel gilt als großes Vorbild für indische Akteure und verzeichnet jährlich „nur“ 600 bis 700 Start-ups mit skalierbaren Geschäftsmodellen“, erklärte Dana Nihari, Trade Commissioner des israelischen Konsulats in Mumbai, in einem Interview mit GTAI. Ob es Indien gelingt, eine ungleich größere Zahl an erfolgsversprechenden Start-ups ins Leben zu rufen, ist fraglich.
Text: Heena Nazir