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Für ausländische IT-Unternehmen wird der russische Markt schwieriger. Maßnahmen zur Importsubstitution belasten das Geschäft. Den weltweiten Chipmangel sieht Moskau als Chance.
22.11.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Der IT-Sektor bleibt ein Lieblingskind der russischen Wirtschaftsförderung. Im Herbst 2021 hat die Regierung ein zweites Hilfspaket für die Branche verabschiedet. Es sieht insgesamt 62 Maßnahmen vor, darunter die Einführung einer Digitalsteuer für ausländische Internetkonzerne, die Vorabinstallation russischer Apps auf digitalen Endgeräten und die Verpflichtung für Staatsbetriebe und Behörden, einheimische Software zu kaufen.
Für ausländische IT-Firmen wird der russische Markt damit zunehmend ungemütlicher. Unternehmen mit mehr als 500.000 Nutzern am Tag müssen ab 2022 eine Filiale, Repräsentanz oder andere juristische Person in Russland registrieren. Moskau gibt an, auf diese Weise die persönlichen Daten russischer Nutzer besser schützen zu wollen.
Bei der Digitalsteuer will sich das Land an den geplanten Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) orientieren. Betroffen wären ausländische Internetkonzerne, die russischen Nutzern Dienstleistungen offerieren. Sie sollen 3 Prozent Steuern auf ihre in Russland erzielten Einnahmen zahlen.
Einheimische Hardwarehersteller bekommen Unterstützung durch die Regierungsverordnung Nummer 1432 vom 28. August 2021. Sie legt fest, dass unter anderem bei Smartcards, Computern und Speichermedien das Prinzip „Zweiter ist überflüssig“ angewandt wird. Beteiligt sich bei öffentlichen Ausschreibungen wenigstens ein russischer Anbieter, dann sind ausländische Produkte automatisch aus dem Rennen.
Den weltweiten Mangel an Halbleitern nimmt das Industrieministerium zum Anlass, die Importsubstitution voranzutreiben. Seit 1. Januar 2021 dürfen nur noch einheimische Prozessoren bei Datenspeichertechnik zum Einsatz kommen, seit 1. Juli auch bei in Russland gebauten Notebooks. Nur so können diese als russisches Produkt gelten. Ab 2022 soll dieser Chipzwang auf alle wichtigen Arten von Rechentechnik ausgeweitet werden. Das Label „Made in Russia“ ist entscheidend bei öffentlichen Beschaffungen. Umgehen können Elektronikhersteller diese Vorschrift, wenn sie mindestens 250 Millionen Rubel (rund 3 Millionen Euro) in die russische Mikrochip-Industrie investieren.
Hardwarehersteller kritisieren die Vorgaben, weil die etwa zehn russischen Chip-Entwickler nicht über ausreichende Produktionskapazitäten für den steigenden Bedarf des Staatssektors verfügen. Die staatliche Industrieholding Rostec kündigte an, bis 2025 einen eigenen Prozessortyp auf den Markt zu bringen, der auf der offenen Befehlssatzarchitektur RISC-V basiert. Die Entwicklungskosten betragen über 300 Millionen Euro.
Die Entwicklungsbank VEB.RF will den bankrotten Mikrochip-Produzenten Angstrem-T wiederbeleben. Eine Tochterfirma wirbt laut Medienberichten bereits taiwanesische Halbleiterspezialisten an, um Mikrochips mit 130 bis 90-Nanometer-Technologie zu fertigen.
Im Softwarebereich plant das Industrieministerium einen neuen Onlinemarktplatz, um russische Industriesoftware besser zu vermarkten. Unternehmen können dort ab Sommer 2022 Softwareabos abschließen und einen Teil der Kosten erstattet bekommen. Allerdings weisen Spezialisten darauf hin, dass russische Anbieter bislang keine komplexen Softwarepakete für Industrieprozesse liefern können.
Während der Aufbau eines 5G-Netzes weiterhin stockt, weil wichtige Frequenzbereiche von den Geheimdiensten blockiert werden, soll im ländlichen Raum das 4G-Netz verstärkt werden. Mobilfunkbetreiber müssen bis 2030 in 99 Prozent aller Dörfer mit mehr als 500 Einwohnern sowie entlang der föderalen Straßen für eine umfassende Netzabdeckung sorgen. In kleineren Siedlungen übernimmt Rostelekom den Anschluss. Außerdem sollen die Provider ab 2023 nur noch einheimische Ausrüstungen zum Netzausbau und möglichst auch russische Software verwenden. Andernfalls könnten sie ihre Frequenzen verlieren.
Rostec gründete 2021 die Tochterfirma Spektr, die sich zum zentralen Anbieter von Mobilfunkausrüstungen entwickeln soll und dafür mit weiteren einheimischen Herstellern kooperiert. Die Staatsholding hat die Roadmap für den Aufbau des 5G-Netzes erarbeitet, deren Umsetzung rund 2,4 Milliarden Euro kosten soll. Experten warnen von einem Marktmonopol und halten es für unrealistisch, dass Russland die gesamte Mobilfunktechnologie selbst produzieren kann.
Die großen Geldsummen, die der Staat für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ausgibt, fließen häufig an staatliche Firmen. Das gilt zum Beispiel für das Projekt „Sichere Stadt“, dessen Umsetzung über 1,1 Milliarden Euro kostet. Auch hier übernimmt Rostec die Lieferung von Sensoren, Kamerasystemen und Controllern, berichtet die Tageszeitung Kommersant.
Projekt | Investition (Mio. Euro) | Geplante Fertigstellung | Projektbetreiber |
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Produktion von Ausrüstungen für 5G (Standard IMT-2020) | 262,2 | 2024 | |
Verlegung einer Unterwasser-Glasfaserleitung zwischen den Halbinseln Kamtschatka und Tschukotka | 84,1 | Bauanfang: Sommer 2022 | |
Produktionswerk für Serverausrüstungen in Rjasan | 12,2 | 2022 | |
Herstellung von Tablets auf Basis des russischen Mikroprozessors Skif | k.A. | 2023 | |
Entwicklung von Halbleitern für künstliche Intelligenz | 8,5 | Kooperation seit Frühjahr 2021 |