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Statt der Reduzierung von Emissionen steht die Verbesserung der CO2-Bilanz im Fokus. Der Kreml kritisiert den Grenzausgleich der EU. Unternehmen treiben die Dekarbonisierung voran.
17.12.2021
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Russland war im Jahr 2020 mit einem Ausstoß von 1.577 Megatonnen nach Angaben des Global Carbon Atlas der weltweit viertgrößte CO2-Emittent. Beim Methanausstoß liegt das größte Flächenland mit einem Anteil von rund 20 Prozent sogar auf Platz eins. Bis spätestens 2060 will Russland klimaneutral werden, kündigte Präsident Wladimir Putin auf der Russian Energy Week im Oktober 2021 an. Im Juli 2021 unterzeichnete das Staatsoberhaupt ein Klimaschutzgesetz, das große Verschmutzer zur Offenlegung von Emissionswerten verpflichtet.
Beim Klimaschutz steht in Russland nicht so sehr die Energiewende zur Senkung des Treibhausgasausstoßes im Fokus, sondern die Verringerung des CO2-Fußabdrucks durch Absorption oder Abscheidung und Speicherung. So soll die CO2-Bilanz von Kohlenwasserstoffen und anderen emissionsintensiven Produkten verbessert werden, um ihren langfristigen Export zu sichern.
Mit der im November 2021 beschlossenen Strategie zur kohlenstoffarmen Entwicklung will die Regierung die CO2-Emissionen im "intensiven" Szenario bis 2050 (unter Berücksichtigung der Absorptionsfähigkeit der Wälder) im Vergleich zu 1990 um 80 Prozent senken. Jedoch erhöht der Ausbau der Kohle-, Öl- und Gasförderung gemäß der Energiestrategie von 2020 den CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 5 Prozent. Erst danach dürfte der Ausstoß sinken, ehe 2060 Klimaneutralität erreicht wird.
Zur Senkung seines CO2-Ausstoßes setzt Russland zudem auf mehr Energieeffizienz, das Absorptionspotenzial seiner Wälder, das laut Boston Consulting Group auf 2,2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr geschätzt wird, und die Abscheidung und Speicherung von CO2. Ein weiteres Ziel ist die Anerkennung von Erdgas und Kernkraft als emissionsarme Energiequellen. Der russischen Lesart zufolge läge dann der Anteil der kohlenstofffreien Energie bereits bei 86 Prozent.
Bis 1. März 2022 soll das Wirtschaftsministerium ein Verzeichnis von Klimaschutzprojekten erstellen, inklusive der Kosten, des Zeitplans und der zu erwartenden Reduzierung von Emissionen. Ab 1. Juli 2022 soll ein Finanzierungsmechanismus die Realisierung dieser Projekte ermöglichen. Seit September 2021 erarbeitet die Regierung eine CO2-Abgabe, die mit dem Mechanismus konform geht und nach dem Vorbild der Europäischen Union (EU) aufgebaut ist. Zudem wird ein Emissionshandelssystem entwickelt. Ein Pilotprojekt für den Handel mit CO2-Zertifikaten läuft bis Ende 2025 auf der Pazifikinsel Sachalin.
Der Kreml begrüßt die Beschlüsse der UN-Klimakonferenz (COP-26) in Glasgow und betont ihren ausgewogenen Charakter. Zwar wurde die Reduzierung des weltweiten Kohleabbaus beschlossen, doch die Förderung anderer fossiler Energieträger wie Erdöl und Erdgas wird nicht erwähnt. Russland schloss sich der Resolution zur Senkung von Methangasemissionen nicht an. Der russischen Delegation gelang es, günstige Konditionen zur Umsetzung von Wald-Klimaprojekten zu sichern. Deshalb unterstützte das größte Flächenland die Resolution zum Stop der Entwaldung und zur Wiederaufforstung bis 2030.
Russland ist der wichtigste Lieferant von energieintensiven Produkten in die EU. Von der angekündigten Einführung des CO2-Grenzausgleichs (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) werden rund 40 Prozent der russischen Ausfuhren nach Europa im Wert von rund 7,6 Milliarden US-Dollar betroffen sein, vor allem Metalle, Düngemittel oder Zement. Die potenziellen Verluste durch den CBAM belaufen sich nach Angaben des Umweltministeriums auf rund 3 Milliarden Euro pro Jahr.
Moskau sieht im CO2-Grenzausgleich eine schwerwiegende Bedrohung seiner Wirtschaftsinteressen und will sich der regulatorischen Praxis aus Brüssel nicht beugen. Präsident Wladimir Putin fordert, die Klimaagenda nicht zur Förderung politischer und wirtschaftlicher Interesse einzelner Länder zu nutzen. Die Regierung sieht im CO2-Grenzausgleich keinen Anreiz für mehr Klimaschutz, sondern versteckten Protektionismus. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow bezweifelt gar die Vereinbarkeit des Mechanismus mit den Normen der Welthandelsorganisation (WTO). Der Sondergesandte des Präsidenten für den Klimaschutz, Ruslan Edelgerijew, sprach sich dafür aus, Klimaprojekte von Sanktionen auszunehmen. Die VEB-Bank, die für die Ausarbeitung der grünen Taxonomie zuständig ist, unterliegt wie Gazprom westlichen Sanktionen.
Der Klimaschutz ist für Russland mit hohen Kosten verbunden. Um die Ziele des intensiven Szenarios der Strategie zur kohlenstoffarmen Entwicklung erreichen zu können, rechnet das Wirtschaftsministerium mit Ausgaben von jährlich 1 Prozent des BIP bis 2030 und anschließend bis zu 2 Prozent bis 2050 – insgesamt also rund 1,1 Billionen Euro. Die staatliche VTB-Bank vergleicht den Umbau der russischen Wirtschaft auf eine vollständige Klimaneutralität bis 2060 sogar auf 5,7 Billionen Euro. Zu den Ausgaben in Milliardenhöhe kommen Einnahmeverluste aufgrund der sinkenden Weltmarktnachfrage nach fossilen Energieträgern. Analysen der Weltbank und der Higher School of Economics (HSE) zufolge sinken die russischen Ausfuhren durch die Einführung des CBAM sowie die Dekarbonisierung der Volkswirtschaften Chinas und Indiens bis 2050 um bis zu 10 Prozent. Ein BIP-Rückgang von bis zu 3 Prozent jährlich wäre die Folge.
Der Green Deal der EU und die angekündigte CO₂-Abgabe auf Importe zwingen russische Exporteure, sich ESG-Ziele (Enviroment, Social, Governance) zu setzen und die CO2-Neutralität anzustreben. Erste Projekte sind angekündigt oder bereits angelaufen. Der deutsche Stromkonzern Uniper und sein finnischer Mutterkonzern Fortum wollen in die Gewinnung von erneuerbaren Energien und Wasserstoff investieren. Im Juli 2021 veräußerte Fortum für rund 17 Millionen Euro das Heizkraftwerk Argajaschskaja im Gebiet Tscheljabinsk an Rosatom.
Vorhaben | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|
Produktion von nachhaltigem Flugzeugkraftstoff (Sustainable Aviation Fuel, SAF) | Memorandum of Understanding unterzeichnet | |
Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 | Ausweitung des Handels mit I-REC-Zertifikaten, u.a. an Trans Container und BitRiver | |
Reduzierung der CO2-Emissionen um 20 Prozent bis 2030 gegenüber 2017 | Geplante Produktion von grünem Wasserstoff | |
Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2035 um 77 Prozent gegenüber 2019 | Schrittweiser Übergang von Erdgas zu Wasserstoff, geplanter Einsatz von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) | |
Erreichung der CO2-Neutralität bis 2060 | ESG-Strategie bis 2030 aktualisiert | |
Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 14 Prozent bis 2028 | Bau von CO2-Farmen: auf 650 Hektar sollen 700.000 Tonnen CO2 gespeichert werden | |
Bau eines Gezeitenkraftwerks zur Produktion von Wasserstoff bei Magadan | Suche nach Technologiepartnern | |
Reduzierung der CO2-Emissionen um 30 Prozent und des Methangasaustritts auf unter 0,25 Prozent bis 2035 | Verringerung des Abfackelns von Begleitgas, geplanter Einsatz von Windkraft und von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS), Aufforstung von Wäldern | |
Ausgliederung umweltschädlicher Aktiva ins neu gegründete Unternehmen Newco zur Senkung des CO2-Fußabdrucks von Rusal | Umstellung auf kohlenstoffarme Prozesse, Investitionen von 5 Milliarden US-Dollar in ökologische Modernisierung der Werke | |
Senkung des CO2-Ausstoßes bei der Stahlproduktion um 10 Prozent bis 2030 gegenüber 2020 | Absichtserklärung mit GazpromNeft zum Einsatz von Wasserstoff in der Stahlproduktion; geplanter Verkauf von Vorkutaugol an Russkaja Energija im 1. Quartal 2022 | |
Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2025 um 15 Prozent | Vereinbarung mit Linde Gas RUS zur Nutzung von CO2 |