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Rechtsbericht │ Belarus │ Coronavirus

Belarus: Coronavirus und Verträge

Die Vertragsparteien sollten eine Vertragsanpassung in Erwägung ziehen. Staatliche Maßnahmen können im Einzelfall als Force-Majeure-Umstände anerkannt werden. 

Von Dmitry Marenkov | Bonn

Vertragliche Klauseln gehen vor

Grenzüberschreitende Verträge enthalten meist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure), die konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung aufzählen. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Bestimmungen vor und sind folglich hinsichtlich Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre daher zu fragen, ob die Klausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung verlangen.

Anwendbares Recht

Vorschriften des belarussischen Rechts finden dann auf deutsch-belarussische Verträge Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des belarussischen Rechts führen. Dies ist z.B. bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Belarus nach Deutschland vorsehen, der Fall. Zu beachten ist, dass Belarus und Deutschland Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des belarussischen Zivilgesetzbuches (ZGB, russisch / englisch) nur Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. bei Verjährungsfragen). 

Regelungen im belarussischen Recht

Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, haftet eine Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, gemäß Art. 372 ZGB für Nicht- oder Schlechterfüllung ihrer Verpflichtungen, sofern sie nicht Beweis dafür erbringt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist.

Nach Art. 203 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 421 ZGB mit Zustimmung der Parteien geändert oder aufgehoben werden. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten.

Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Anpassung und Aufhebung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertrag und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

▪ Aus dem Wesen des Vertrages folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

Belarussische Gerichte stufen die Verhängung eines Verfügungsverbots für eine insolvente Vertragspartei und Anordnungen von staatlichen Stellen, die die Durchführung und die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit des Vertrages beeinflussen, als schwerwiegende Änderungen ein. Dagegen erfüllen eine schwierige finanzielle Lage einer Vertragspartei, Änderungen des Währungswechselkurses sowie die Tatsache, dass ein Rechtsgeschäft infolge von Inflation für eine Vertragspartei zu einem Verlustgeschäft wird, nicht die Voraussetzungen.

Eine Beendigung von vertraglichen Pflichten ist auch nach Art. 376, 286, 387 ZGB denkbar.

Zertifikat über Umstände höherer Gewalt

Der beweisbelastete Schuldner kann bei der Belarussischen Handels- und Industriekammer (IHK) die Ausstellung eines Zertifikates, das das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt in Belarus im Zusammenhang mit einem grenzüberschreitenden Vertrag bestätigt, beantragen. Dabei sind die einzelnen vertraglichen Pflichten, die unzureichend oder gar nicht erfüllt wurden, die Handlungen der Vertragsparteien bei der Vertragsabwicklung in chronologischer Reihenfolge sowie das Ereignis, das zur Nicht- oder Schlechterfüllung geführt hat, darzustellen. Dem Antrag ist eine beglaubigte Kopie des Vertrages samt Anhänge sowie Informationen über die bereits erfüllten Vertragsverpflichtungen beizufügen. Ein solches Zertifikat kann als Beweismittel verwendet werden, hat jedoch keine bindende Wirkung in einem Gerichts- oder Schiedsverfahren.

Corona-Pandemie als Umstand höherer Gewalt?

Die IHK Belarus betont, dass die Corona-Pandemie als solche keinen allgemeinen Force-Majeure-Einwand darstellt. Vielmehr wird für jeden einzelnen Vertrag entschieden, ob die nach Vertragsschluss eingeführten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus für die Erfüllung von Verpflichtungen aus einem konkreten Vertrag als Umstand höherer Gewalt anerkannt werden können.

Als Force-Majeure-Umstände können grundsätzlich staatliche Maßnahmen (z.B. Regierungsverordnungen), die auf die Beschränkung von Lieferungen sowie des freien Waren- und Arbeitnehmerverkehrs oder Grenzschließungen gerichtet sind, anerkannt werden. Dagegen gelten Währungsschwankungen, Einnahmeverluste, u.a. infolge von vorübergehender Unternehmensschließung, sowie höhere Transportkosten in der Regel nicht als Umstände höherer Gewalt.

Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Vertragspartei, die infolge solcher Umstände ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllt, die Gegenpartei innerhalb einer angemessenen Frist darüber benachrichtigt.


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