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Algerien unterstützt die heimische Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, um Importe zu verringern. Ausländische Maschinenanbieter sind stark gefragt.
24.08.2020
Von Friedrich Henle | Berlin
Algerien befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die durch die Corona-Pandemie und einen gesunkenen Ölpreis geprägt ist. Im ersten Quartal 2020 ging die Wirtschaftsleistung laut Statistikamt ONS um 3,9 Prozent zurück. Besser sieht es für die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie aus, die mit 2,3 beziehungsweise 2,6 Prozent noch im Plus liegen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Situation in den Folgemonaten weiter verschlechtert hat, da die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung von Covid-19 erst ab Mitte März volle Wirkung entfaltet haben. Die Experten des Economist Intelligence Unit sagen einen BIP-Rückgang von nunmehr 6 Prozent für 2020 voraus.
Das Land konnte die landwirtschaftliche Produktion in den letzten Jahren kontinuierlich steigern. Im Zeitraum 2015 bis 2019 betrug die durchschnittliche Wachstumsrate 3,1 Prozent, nur für Getreide 10,3 Prozent. Laut eines Berichts des US-Landwirtschaftsministeriums werden in der Saison 2020/2021 knapp unter 6 Millionen Tonnen Getreide (Weizen, Gerste, Hafer) geerntet werden, etwas weniger als in der Vorsaison. Schätzungen zur Olivenproduktion gehen hingegen von einer Steigerung um knapp 20 Prozent auf 1,03 Millionen Tonnen für das Erntejahr 2019/2020 aus. Die Anbaufläche ist in der Vergangenheit stark ausgebaut worden: von 168.000 Hektar im Jahr 2000 auf 480.000 Hektar in der Saison 2018/2019. Das Land ist zudem der drittwichtigste Dattelproduzent der Welt, hier ist die Anbaufläche seit 2010 um 70 Prozent auf 170.000 Hektar gestiegen. Eine Rekordernte an Tomaten konnte in der laufenden Saison eingefahren werden: 1,3 Millionen Tonnen bedeuten einen Zuwachs von 70 Prozent gegenüber der Vorsaison.
Die Landwirtschaft ist hochgradig vom Wetter und ausreichenden Niederschlägen abhängig. Laut Welternährungsorganisation FAO wird die Region Nordafrika/Mittlerer Osten weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffen sein. Die algerische Regierung hat deshalb das Ziel ausgegeben, bis 2020 insgesamt 2 Millionen Hektar an Agrarflächen (von insgesamt 8,4 Millionen Hektar nutzbarem Ackerland) künstlich zu bewässern. Laut Experten könnte das Land schnellere Erfolge erzielen, wenn aufbereitetes Abwasser für die Landwirtschaft stärker genutzt würde. Von 700 Millionen Kubikmetern gereinigtem Abwasser pro Jahr fließen nur 150 Millionen Kubikmeter auf die Felder und in die Gewächshäuser, trotz der Unterstützungsmaßnahmen des Staates zur Entwicklung des Sektors, etwa durch den Bau von 130 zusätzlichen Kläranlagen.
Die Nahrungsmitteleinfuhren gingen 2019 zwar auf rund 8 Milliarden US$ zurück. Das erklärte Ziel des Staates, eine höhere Selbstversorgung zu erreichen, ist damit nur teilweise erfolgreich. Algerien bleibt mit jährlich 7 bis 8 Millionen Tonnen einer der größten Weizenimporteure weltweit.
2018 | 2019 | Veränderung | |
---|---|---|---|
Getreide und Mehl | 3.065 | 2.706 | -11,7 |
Milch und Milchprodukte | 1.401 | 1.246 | -11,1 |
Zucker und Süßigkeiten | 816 | 727 | -10,9 |
Obst und Gemüse | 549 | 619 | 12,8 |
Rückstände und Abfälle aus der Lebensmittelindustrie | 673 | 561 | -16,6 |
Kaffee, Tee und Gewürze | 368 | 344 | -6,5 |
Diverse Lebensmittelzubereitungen | 327 | 317 | -3,1 |
Lebende Tiere | 164 | 275 | 67,7 |
Sonstige | 1.212 | 1.277 | 5,4 |
Gesamt | 8.574 | 8.072 | -5,9 |
Ein alte Idee bekommt aktuell frischen Wind: Die Nutzbarmachung der Wüste für den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten. Laut Landwirtschaftsministerium soll die bewirtschaftete Fläche in den südlichen Landesteilen um 250.000 Hektar ausgebaut werden, unterstützt durch eine im Mai 2020 neu geschaffene Behörde (Office National pour le Développement de l’Agriculture Industrielle dans les Régions Sahariennes). Kritiker monieren, dass die Bewirtschaftung solcher Flächen wenig nachhaltig sei. Unter anderem müssten hierfür fossile Wasserreserven angezapft werden.
Die algerische Regierung möchte die heimische Nahrungsmittelproduktion weiter erhöhen und damit die Importrechnung für Lebensmittel reduzieren. Sie unterstützt dies mit verschiedenen Maßnahmen, wie der Errichtung von regionalen Agrarzentren (Pôles Agricoles Intégrés) oder Zuschüssen und Krediten für Investoren. Sie erschwert dafür auch den Import, beispielsweise durch temporäre Einfuhrverbote für bestimmte Waren oder durch die Erhöhung von Zöllen auf verarbeitete Lebensmittel.
Zudem wächst die Bevölkerung um circa 1,6 Prozent pro Jahr und verlangt nach einem immer größeren Angebot an Nahrungsmitteln. Aktuell leben 43,3 Millionen Menschen im Land, für 2030 werden 51 Millionen prognostiziert. Die Nachfrage nach Maschinen und Ausrüstungsgütern dürfte deshalb weiter anziehen. Das betrifft auch Investitionsgüter für die Lagerhaltung, die Verpackungsindustrie und die Kühlkette. Ausländische Hersteller spielen eine große Rolle, da die Konkurrenz durch lokale Anbieter gering ist. Die fünf wichtigsten Lieferländer waren 2017 Italien, China, die Türkei, Deutschland und Frankreich. Bei Verpackungsmaschinen liegt Deutschland auf Platz 2 hinter Italien.
Die Nahrungsmittelverarbeitung ist der zweitwichtigste Industriesektor Algeriens, nach der Öl- und Gasbranche. Sie besteht aus rund 23.000 Unternehmen unterschiedlicher Größe und beschäftigt etwa 150.000 Personen. Die Getreide-, Milch- und Getränkeindustrie sind die wichtigsten Sektoren. In der Milch- und milchverarbeitenden Industrie dominiert das staatliche Unternehmen Giplait, das 40 Prozent des Marktes abdeckt. Cevital, die größte private Unternehmensgruppe Algeriens und vor allem aktiv im Nahrungsmittelbereich, ist Marktführer bei der Produktion von Speiseöl und Zucker. Die französische Groupe Castel hat im April 2020 den algerischen Marktführer im Fruchtsaftbereich NCA Rouiba übernommen.
Nach Angaben des algerischen Industrieministeriums flossen 2018 umgerechnet 1,75 Milliarden Euro in 575 neue Investitionsprojekte. Für eine Bedienung von Exportmärkten sind weitere (Modernisierungs-) Investitionen notwendig. Bestes Beispiel ist die Dattelbranche, die 2018 nur etwa 5 Prozent ihrer Ernte exportiert hat (zum Vergleich Tunesien: 42 Prozent). Experten führen als Gründe unter anderem unattraktive Verpackungen, zu kleine Betriebe mit zu geringen Produktionsvolumina sowie mangelnde Mechanisierung an.