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Branchenbericht Argentinien Wasserstoff

Wasserstoffpionier Argentinien droht Anschluss zu verlieren

Trotz vorzüglicher natürlicher Bedingungen kommen Wasserstoffprojekte in dem Pampaland nicht voran. Aktuell sind sie zu risikoreich und zu teuer. Doch es gibt Hoffnung.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

"Tango" heißt das Wasserstoffprojekt, welches das argentinische Energieunternehmen Capex S.A. derzeit im Rahmen des internationalen Konsortiums HyNewGen entwickelt, bei dem auch Linde mit an Bord ist. Geplant ist eine installierte Elektrolyseurleistung von 500 Megawatt in zwei Phasen. Ziel ist der Export von mit Sonnen- und Windenergie produziertem Wasserstoff sowie der Verkauf von grünem Ammoniak vor allem an die lokale Bergbauindustrie.

Gebaut werden soll Tango aber nicht in Argentinien, sondern wenige Kilometer jenseits der Grenze in der chilenischen Provinz Antofagasta. "Sicherlich ließen sich ähnliche Vorhaben in Argentinien projektieren. Voraussetzung ist aber, dass sich die wirtschaftliche Situation verbessert und das Land die gesetzlichen Grundlagen schafft. Wir wären mit entsprechenden Machbarkeitsstudien vorbereitet", so ein Vertreter des Capex-Projekts Hychico. Es erzeugt bereits seit 2009 Wasserstoff in der argentinischen Provinz Chubut. Den Strom liefern firmeneigene Windparks mit einer Leistung von 27,6 Megawatt. Da Hychico für Zeiten, in denen nicht genug Wind bläst, ans Stromnetz angeschlossen ist, ist der Wasserstoff allerdings nur bedingt "grün".

Auch andere Branchenfirmen üben Zurückhaltung. Wintershall Dea etwa sieht ein großes Potenzial für blauen Wasserstoff an der Lagerstätte Vaca Muerta (Provinz Neuquén). Dieser wird aus Erdgas gewonnen, wobei das freigesetzte Kohlendioxid unterirdisch verpresst wird. Argentinien verfügt mit Vaca Muerta über eines der größten Schiefergasvorkommen der Welt. Die U.S. Energy Information Administration beziffert die förderbaren Reserven auf 8,7 Billionen Kubikmeter Erdgas sowie 16,2 Milliarden Barrel Öl. "Wir würden gerne mehr Geld in Argentinien investieren, wenn es die Rahmenbedingungen erlaubten", so Manfred Böckmann, Geschäftsführer von Wintershall Dea in Buenos Aires.

Argentinien verfügt über hervorragende natürliche Bedingungen

Dabei hatte alles so gut angefangen. Argentinien gehörte weltweit zu den Vorreitern im Bereich Wasserstoff. Schon 2006 verabschiedete die Regierung ein diesbezügliches Gesetz. Wegen fehlender Durchführungsbestimmungen trat es jedoch nie in Kraft.

Darüber hinaus verfügt Argentinien über exzellente natürliche Voraussetzungen dank hervorragender Windbedingungen und hoher Sonnenintensität. Nach Angaben von YTEC, dem Thinktank der argentinischen Energiewirtschaft hat das Land ein Potenzial zur Produktion von 1 Milliarde Tonnen grünen und 2,1 Milliarden Tonnen blauen Wasserstoffs pro Jahr, basierend auf einer Schätzung der Universität Córdoba aus dem Jahr 2014. Überdies verfügt Argentinien über viel Platz und eine gute industrielle Infrastruktur mit Meereszugang, die bereits heute der Öl- und Gaswirtschaft zugutekommt. Gegenwärtig deckt das Land aber noch mehr als 50 Prozent seines Strombedarfs mit fossilen Energieträgern.

Anteile der Energieträger an der argentinischen Stromerzeugung im Jahr 2022

Energiequelle

Anteil (in %)

Fossil (Erdgas, Erdöl und Kohle)

56,4

Wasserkraft

20,8

Kernkraft

5,1

Windenergie

9,8

Sonnenenergie

2,0

Sonstige (Biogas, Biomasse etc.)

1,5

Importe

4,4

Quelle: Cammesa 2023

Finanzierungskosten und rigide Bestimmungen machen Projekte kaputt

Was Argentinien jedoch fehlt, ist der stabile und investitionsfreundliche Rahmen. "Wie soll ich ein Projekt auf die Beine stellen, wenn ich die für den Import der Ausrüstungen, Teile und später für die Ersatzteile nötigen Devisen nicht umtauschen kann? Wie soll ich international wettbewerbsfähig sein, wenn meine Exporte mit einer Exportsteuer von 30 bis 35 Prozent belastet werden? Abgesehen davon, dass mich, wenn ich Fremdmittel brauche, die Finanzierung viel teurer kommt als meine Konkurrenten", fragen sich Vertreter argentinischer Energieunternehmen.

Tatsächlich gehört das Länderrisiko zu den Knackpunkten für Investitionen im Land - nicht nur bei Wasserstoff. Die Ratingagentur Standard & Poor's beispielsweise bewertet Argentinien mit CCC-. 

Neues Wasserstoffgesetz in Arbeit

Wenigstens keimt im Rechtsbereich Hoffnung: Gegenwärtig diskutiert das Parlament ein neues Wasserstoffgesetz, nicht nur für grünen, sondern jeglicher Couleur, also auch blauen und selbst pinken aus Kernkraft. In der Tat ist das Thema Dekarbonisierung für Argentinien angesichts der großen Gasvorkommen und einer Armutsquote von 40 bis 50 Prozent zweitrangig. Dessen ungeachtet wäre die Nutzung blauen Wasserstoffs zumindest übergangsweise ein wichtiger Schritt in diese Richtung, so Marcelo Merli Servido, Business Development Director von Siemens Energy in Chile.

Gegenwärtig ist offen, ob das neue Wasserstoffgesetz noch in diesem (Wahl-)Jahr verabschiedet wird. Branchenbeobachter sind aber insofern optimistisch, da das Thema Wasserstoff in der Regierungskoalition und in der Opposition als zukunftsträchtig gilt - und dem devisenknappen Land zusätzliche Einnahmen bescheren könnte.

Mehr Rechtssicherheit gäbe auch dem auf der Klimakonferenz COP26 in Glasgow 2021 von Staatspräsident Fernández persönlich vorgestellten Megaprojekt von Fortescue Future Industries Auftrieb. Die Tochter des australischen Bergbauriesen Fortescue Metals Group will in der Provinz Rio Negro 8,4 Milliarden US-Dollar in die Produktion von Wasserstoff stecken. Nach den ersten Schlagzeilen ist es still geworden um das Projekt. Es heißt, gegenwärtig liefen die Windmessungen.

Hoffnung auf ein sich öffnendes Investitionsfenster

Auch andere sehen das Potenzial. Eine Reihe nationaler und internationaler Unternehmen – darunter Siemens Energy, Wintershall Dea, Linde und ABO Wind aus Deutschland - haben sich mit dem staatlichen Öl- und Gasunternehmen YPF zum H2AR-Konsortium zusammengeschlossen. Es soll über Forschungen, Pilotprojekte, Kosten- und Machbarkeitsstudien die Potenziale des argentinischen Marktes ausschöpfen helfen.

Tatsächlich könnte es, sobald sich das Investitionsfenster öffnet, schnell gehen, so die argentinische Geschäftsführerin von ABO Wind Lucila Bustos: "Argentinien verfügt über gut ausgebildetes Personal im Gas- und Ölbereich. Nach unserer Erfahrung reagiert der Markt sehr schnell und positiv auf die kleinsten positiven Signale. Die Lernkurve ist so steil, dass sich Argentinien sicher als ein Leader in der Region positionieren wird."


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