Mehr zu:
ChinaDigitale Wirtschaft / E-Health / IKT / Coronavirus / Gaming / Gesundheitswesen, übergreifend / Bildungswesen, übergreifend
Branchen
Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?
Branchen | China | Digitale Wirtschaft
Die Covid-19-Epidemie bringt für die Online-Wirtschaft nicht nur vorübergehende Umsatzzuwächse. Sie puscht den digitalen Sektor auch langfristig weiter vorwärts.
01.04.2020
Von Roland Rohde | Hongkong
Chinas Digitalwirtschaft hat durch die Covid-19-Epidemie enormen Rückenwind erhalten. Da viele Menschen nicht mehr auf die Straße oder zur Arbeit gehen konnten, wichen sie auf elektronische Alternativen aus. An erster Stelle profitierte der E-Commerce. Die Online-Anbieter von Lebensmitteln etwa berichteten während des Chinesischen Neujahres Ende Januar/Anfang Februar 2020 von einer Vervielfachung ihrer Umsätze.
In anderen Sparten des Online-Handels sah die Lage nicht ganz so rosig aus. Angst und Furcht würgten die Konsumlaune ab. Der Umsatz von langfristigen Konsumgütern schwächelte. Dafür konnten zahlreiche andere Bereiche der Digitalwirtschaft von der Seuche profitieren. Dazu gehören E-Education und E-Health sowie Kommunikationsdienste und die Gaming-Branche.
Die beiden dominierenden Internetkonzerne Tencent und Alibaba sind mit Hilfe Hunderter von Tochtergesellschaften in allen genannten Sparten des Digitalsektors gut aufgestellt. Entsprechend erwarten sie für 2020 ordentliche Geschäfte, selbst wenn sich die entsprechende Nachfrage nach dem Abklingen der Epidemie wieder zurückentwickelt.
Alibaba bedient mit seiner Videokonferenz-Plattform DingTalk nach Angaben der China Daily bereits über 10 Millionen Menschen beziehungsweise 10.000 Firmen. Die Unternehmen haben fast alle Dienstreisen und größeren Meeting abgesagt. Sie setzen auf digitale Lösungen. Tencent baut seine Videokonferenz-Kapazität im Zuge der Coronavirus-Epidemie kräftig aus. Rund 100.000 Cloud-Server wurden zusätzlich installiert.
Die beiden Erzrivalen haben auch webbasierte Zugangssysteme für Apartmentblocks, wo die meisten Großstädter wohnen, eingeführt. Damit kann die Verwaltung Kommen, Gehen, Aufenthaltsdauer sowie den Gesundheitsstatus der Mieter beziehungsweise Wohnungsbesitzer überwachen.
Zugleich brachten sie über ihre Bezahlapps WeChat und Alipay, die jeweils über eine Milliarde Nutzer in China verfügen, einen QR Code für Smartphones auf den Markt. Dieser erfasst individuelle Gesundheits- und Reisedaten. Damit können beziehungsweise müssen sich die Menschen an Kontrollstationen etwa an Bahnhöfen oder am Eingang zu Büros und Fabriken „ausweisen“.
Im Gesundheitssektor haben Online-Dienstleistungen (E-Health) einen regen Zustrom an neuen Kunden erlebt. Bislang waren sie damit beschäftigt, Patienten geeignete Ärzte und Krankenhäuser sowie Termine zu vermitteln. Doch im Zuge der Covid-19-Epidemie erweiterten sie ihr Geschäftsmodell und bieten Menschen, die aus Angst vor Ansteckungen Krankenhäuser meiden, Beratungen an.
Rechtlich gesehen ist das eine Grauzone. Angesichts der teils dramatischen Entwicklung im Zuge des neuen Virus nehmen es die Verantwortlichen aber nicht mehr so genau. E-Health-Anbieter kommen aus ganz verschiedenen Ecken. Zunächst gibt es die bekannten Internetkonzerne. Daneben bieten Krankenhäuser auch Online-Dienste an. Schließlich gibt es Versicherer wie die Ping An Gruppe, die mit ihrer Plattform Good Doctor Anfang 2020 laut der South China Morning Post rund 315 Millionen registrierte Nutzer zählte.
Auch die Gaming-Industrie erfreute sich eines lebhaften Umsatzes. Wer zu Hause bleiben muss, langweilt sich rasch. Das dürfte vor allem den Marktführer Tencent freuen. In der Vergangenheit hatte die Branche mit schärferen staatlichen Reglementierungen zur Eindämmung der Spielsucht zu kämpfen. Nun kann sie durch das Anbieten von interaktiven Sportprogrammen und Lernspielen ihr Schmuddel-Image aufpolieren.
Darüber hinaus hat E-Education einen wahren Ansturm erlebt. Die Schulen und Universitäten in China wurden nach dem Chinesischen Neujahr 2020 geschlossen. Die Schüler mussten auf Online-Alternativen ausweichen. Die Deutsche Schule Shanghai Yangpu entschied sich beispielsweise als erste Schule weltweit, für den Online-Unterricht eine deutsche Lernmanagement-Plattform einzusetzen. Lesen Sie hier das Interview mit Schulleiter Sven Heineken.
Der Kundenstamm praktisch aller Anbieter hat sich vervielfacht bis potenziert. Zugleich mussten sie kaum noch Werbung schalten. Laut der China Daily konnten sie Kosten in Höhe von knapp 35 Milliarden US-Dollar (US$) einsparen.
Doch eines ist klar: Nach der Wiedereröffnung der Schulen wird das Geschäft ganz schnell in Richtung Normalniveau fallen. In den anderen Sparten der Digitalwirtschaft kehrte bereits seit Mitte März 2020 entsprechende Ernüchterung ein. Die Menschen in den Großstädten gehen wieder auf die Straße und zur Arbeit. Die meisten Geschäfte und Restaurants haben geöffnet. Während des Berufsverkehrs bilden sich die gewohnten Staus.
Dennoch erwarten die meisten Anbieter, dass ein Teil der neu gewonnenen Nutzer bei der Stange bleibt. Zufriedene Kunden kommen bekanntlich zurück. Zudem konnten teils ganz neuen Nutzergruppen gewonnen werden, die bislang keine entsprechende Produkte und Dienstleistungen im Netz gekauft haben. Und so dürfte sich die Covid-19-Epidemie auch auf lange Sicht positiv auf das Geschäft auswirken.
Auch Tencent erwartet, dass die Akzeptanz gegenüber Online-Angeboten dauerhaft gestiegen ist. Doch der Konzern muss sich auf eine härtere Wettbewerbssituation einstellen. Kleinere Konkurrenten, die ohne die Epidemie in Konkurs gegangen wären, gehen gestärkt und mit ausreichend Cashflow aus der Gesundheitskrise hervor. Sie können nun in den Ausbau ihres Geschäftes investieren.
Der beschleunigte Trend zur Digitalisierung unterstützt zugleich den laufenden Ausbau des Telekommunikationsnetzes der fünften Generation. Privatpersonen werden schneller als sonst 5G-taugliche Endgeräte kaufen. Firmen dürften mehr Produkte für Videokonferenzen bestellen, Krankenhäuser verstärkt auf Telemedizin setzen. Für all das benötigt man eine zuverlässige und verzögerungsfreie Datenübertragung. Zwar wird es durch Zuliefer- und Transportprobleme vorübergehend zu einer Verlangsamung des Netzausbaus kommen. Diese Schwierigkeiten dürften aber im 2. Halbjahr 2020 behoben sein.
Sparte | Aufwärtstrend | Anmerkung |
E-Commerce | mittel bis stark | Umsätze wachsen mittelfristig im zweistelligen Prozentbereich. Immer mehr Branchen gehen online (z.B. Pkw). Insgesamt geht aber das Wachstum des Einzelhandels zurück. |
E-Education | mittel bis stark | Gestiegene Akzeptanz. Online-Unterricht als kostengünstige Alternative zu physischen Nachilfeschulen oder als Beschäftigunstherapie für Kinder. |
E-Health | Mäßig bis stark (abhängig von Gesetzesänderungen) | Branche agiert teils im rechtlichen Graubereich. Patienten und Kliniken setzen auf Telemedizin. Potenzial vor allem für abgelegene Provinzen. |
Videokonferenzen | mittel bis stark | Zeit- und kostenaufwändige Reisen lassen sich vermeiden. Arbeitseffizienz kann gesteigert werden. |
Gaming | mäßig bis mittel | Branche muss weiterhin mit Regulierungen von Seiten der Regierung rechnen. Interaktive Sport- und Lernprogramme als Wachstumstreiber. |
Webbasierte Überwachungs- u. Zugangstechnik | stark | Hohe Nachfrage von Seiten von Büros, Fabriken, Bahnhöfen, Flughäfen und Apartmentanlagen. Kaum Datenschutzbedenken. |
5G-Netze | stark | Gestiegener Bedarf an zuverlässiger und schneller Datenübertragung. Konsumenten und Firmen kaufen mehr 5G-taugliche Geräte. |
Bezahlsysteme/Bezahlapps | mäßig bis mittel | Trend zum bargeldlosen Verkehr beschleunigt sich. Markt ist mit Wechat und Alipay aber schon weitgehend gesättigt. |
Fintech/Insurtech | stark | Verstärkte Nachfrage nach digitalen Lösungen im Bank- und Versicherungsbereich. |