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Lieferketten in China funktionieren nicht mehr zuverlässig

Frachtführer und produzierende Unternehmen müssen in China jederzeit und überall mit unvorhergesehenen Störungen rechnen. Bis in den Herbst 2022 dürfte die Lage angespannt bleiben.

Von Roland Rohde | Hongkong

China befindet sich im Frühjahr 2022 in einer Art Ausnahmezustand. In Dutzenden Großstädten gab es coronabedingt umfangreiche Einschränkungen. Am stärksten war Shanghai betroffen, wo es den ganzen April hindurch einen strengen Lockdown gab. Die Volksrepublik verfolgt eine strikte Null-Covid-Politik, obwohl sich diese angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante des Coronavirus als stumpfe Waffe erweist.

Die ökonomischen Schäden der Maßnahmen werden hingegen immer größer, zumal Shanghai eine zentrale Bedeutung innerhalb der chinesischen Wirtschaft spielt. Die Metropole fungiert als wichtige Handels-, Logistik- und Finanzdrehscheibe des Landes. Daher verfügten die verantwortlichen Behörden, dass Airports und Containerhäfen während der Lockdowns offen bleiben. Doch das ist leichter gesagt als getan. Angestellte müssen dafür zur Arbeitsstätte anreisen und anschließend dauerhaft auf dem Gelände kampieren – das sogenannte Closed-Loop-Management.

Riesiger Rückstau am Containerhafen Shanghai

Entsprechend fehlt an den Terminals der Flug- und Containerhäfen Personal. Zugleich gibt es auch beim Straßentransport erhebliche Probleme. Lkw-Fahrer kommen nicht durch die zahlreichen Sperrungen. Infolgedessen wird kaum noch Ware abgefertigt. Hunderte von Containerschiffen stauen sich auf Satelliten-Aufnahmen vor Shanghai und warten auf Abfertigung. An den Airports heben nach Angaben von den wenigen Piloten, die überhaupt noch fliegen, nur vereinzelt Maschinen ab. Es dürfte bis in den Sommer 2022 dauern, bis sich der Rückstau aufgelöst hat.

Viele Industriebetriebe in Shanghai, denen die Wiederaufnahme der Produktion erlaubt wurde, haben ähnliche Probleme. Vor allem aber fehlen Rohstoffe und essenzielle Vorprodukte. Auch in zahlreichen anderen Landesteilen leiden die Fabriken unter Lieferengpässen. Frachtführer versuchen, auf andere Flug- und Seehäfen auszuweichen. Doch damit können sie nicht die erwähnten Störungen des Straßengüterverkehrs umgehen.

Frachtraten sinken dennoch

Einzelhändler und produzierende Betriebe aus Übersee werden mit einiger Verzögerung das ganze Ausmaß der Misere zu spüren bekommen, wenn bestellte Ware nicht zur vereinbarten Zeit eintrifft. Ebenso dürfte der Inflationsdruck weiter steigen. In den USA wird bereits diskutiert, ob man nicht die im Zuge des Handelskonfliktes erhobenen Strafzölle auf chinesische Produkte zumindest teilweise außer Kraft setzen soll.

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Immerhin sind die Seefrachtraten trotz der enormen Probleme gesunken. Logistiker erwarten für den Rest des Jahres 2022 einen weiteren Abwärtstrend beziehungsweise eine Stabilisierung bei den Preisen. Dies ist umso erstaunlicher, da die Branche zusätzlich die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine verdauen musste. Allerdings litt der Seeverkehr deutlich weniger als die Frachtflugsparte. Anbieter mussten ihre Routen nach Europa komplett umplanen, da sie vor dem Krieg den russischen Luftraum überflogen.

In der südlichen Greater Bay Area herrscht weitgehend Normalität

Weitere entlastende Faktoren kommen für China hinzu. Die südliche Greater Bay Area – die größte Exportbasis der Volksrepublik – ist deutlich weniger von Coronaausbrüchen betroffen. Die Infektionszahlen fielen im Frühjahr 2022 äußerst gering aus. Der Straßentransport innerhalb der Region verläuft einigermaßen reibungslos. Auch die Container- und Flughäfen funktionieren vergleichsweise normal.

Niemand weiß, wo die Pandemielage in China als nächstes eskaliert. Aus Angst setzen lokale Behörden noch stärker auf rigide Lockdowns.

Doch das kann sich praktisch von einem auf den anderen Tag ändern. Ende April 2022 musste der Flughafen in Guangzhou für zwei Tage schließen, weil es einen Coronaausbruch bei den Mitarbeitern gab. Tatsächlich müssen Fabriken und Frachtführer in allen Landesteilen bis mindestens zum Herbst 2022 immer wieder mit erheblichen Störungen rechnen. Ende April wurden auch aus Beijing erste Lockdowns vermeldet. Nahezu die gesamte Hauptstadt muss sich testen lassen. Niemand weiß, ob die Lage ähnlich wie in Shanghai eskaliert.

Chinas Ruf als zuverlässiger Lieferant steht auf dem Spiel

Dem hart erarbeiteten Ruf der Volksrepublik als zuverlässigen Handelspartner und Zulieferer droht damit nachhaltiger Schaden, zumal sich die Lage im restlichen Asien weitgehend normalisiert hat. Lediglich das Reich der Mitte hält an seiner Null-Covid-Politik fest. Die chaotische Pandemiesituation in Shanghai hat daran nichts geändert. Lokale Regierungen setzen aus Angst vor Sanktionierung selbst bei kleinsten Ausbrüchen auf rigide Lockdowns und Massentests. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Schäden werden hingegen in Kauf genommen.

Letztendlich werden dadurch Einzelhandelsunternehmen und produzierende Firmen in Europa abermals dafür sensibilisiert, wie wichtig die Diversifizierung der Lieferkette ist. Kritische Komponenten dürfen nicht mehr nur aus einem Land oder von einem Anbieter kommen. Die "China+1"-Strategie erfährt damit neuen Aufwind. Die Einkaufsabteilungen von Unternehmen werden sich alternative Zulieferer in Asien suchen oder näher gelegene Beschaffungsquellen in Mittel- und Osteuropa erschließen.

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