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Wirtschaftsumfeld | China | Konjunktur

China steht ein harter Winter bevor

Nach dem Ende der Null-Covid-Politik rollt eine riesige Infektionswelle übers Land. Trotzdem heben einige Institute ihre Konjunkturprognosen an. Andere korrigieren sie nach unten.

Von Roland Rohde | Bonn

"Zeitenwende" ist in Deutschland zum Wort des Jahres 2022 gekürt worden, doch auch in China trifft der Begriff den Nagel auf den Kopf. Erstmalig seit über drei Jahrzehnten gingen die Menschen Ende November 2022 landesweit auf die Straße. Sie protestierten gegen die rigide Null-Covid-Politik. Daraufhin vollzog die Regierung Anfang Dezember einen für chinesische Verhältnisse radikalen Politikwechsel. Die Quarantäne- und Testvorschriften wurden spürbar gelockert.

Rasch reagierte die Bevölkerung auf die Lockerungen. Die Anzahl der Flüge an den zwei Airports von Beijing sollen sich laut Berichten der South China Morning Post (SCMP) Mitte Dezember im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt haben und bei 70 Prozent des Vorpandemieniveaus liegen. Doch es mehren sich auch kritische Stimmen, denn das Land geht nicht gut vorbereitet in die Exit-Phase über. Die Tagesschau kommentierte "Chinas Covid Wende - mit Ansage ins Chaos".

Regierung leitet Wende wenig vorbereitet ein

Drei Jahre der Abschottung wurden nicht genutzt, um die Bevölkerung ausreichend zu impfen. Gerade bei der Gruppe der Hochbetagten besteht eine erhebliche Impflücke. Zudem ist die Bevölkerung ausschließlich mit einheimischen Vakzinen geimpft, die nicht auf der mRNA-Technologie basieren und laut mehreren Studien weniger effektiv sind. Westliche Präparate sind in China nach wie vor nicht zugelassen. 

Hinzu kommt, dass es praktisch keine natürliche Immunität gibt. Laut der Johns Hopkins Universität hatten sich bis zum 14. Dezember 2022 gerade einmal ein halbes Prozent der Bevölkerung mit dem neuartigen Virus infiziert. Man muss kein Epidemiologe sein, um sich die Konsequenzen auszumalen. Im Prinzip wird China das nachholen, was zuvor der Rest der Welt durchgemacht hat: Corona wird in mehreren Wellen durch das Land schwappen.

Die offiziellen Statistiken spiegeln das tatsächliche Infektionsgeschehen jedoch wegen der stark zurückgegangenen Testaktivitäten nicht mehr zuverlässig wider. Sie gaukeln Mitte Dezember sogar nachlassende Fallzahlen vor. Tatsächlich ist von einem sehr starken, wahrscheinlich sogar exponentiellen Wachstum auszugehen. Verschiedene Medien berichteten bereits, wie sich vor den Krankenhäusern und Apotheken Schlangen bildeten. Die SCMP zitierte Mitte Dezember den Sprecher der Beijing Municipal Health Commission, Li Ang, am 11. Dezember hätten 22.000 Patienten die Fieberkliniken in Beijing aufgesucht - 16-mal mehr als noch eine Woche zuvor. Auch Fieberthermometer und bestimmte Medikamente seien ausverkauft.

Höhepunkt der Welle ausgerechnet zur Hauptreisesaison erwartet

Just zum Zeitpunkt des chinesischen Neujahresfests Mitte/Ende Januar 2023 könnte sich die pandemische Lage zuspitzen. Zu diesem Zeitpunkt macht sich normalerweise das halbe Land auf die Reise. Die Regierung wird vor der schwierigen Entscheidung stehen, den Reiseverkehr zu beschränken und damit wieder öffentliche Proteste auszulösen. Hält sie aber an den Lockerungen fest, droht das Gesundheitssystem zusammenzubrechen. Hier gibt es nicht die gleichen Standards oder Kapazitäten (insbesondere an Intensivbetten) wie in Industrieländern.

Greift die Regierung wieder zu härteren Bandagen, wenn die Pandemie außer Kontrolle gerät und das Gesundheitssystem kollabiert?

Wird etwa die Entwicklung in Hongkong Anfang 2022 zugrunde gelegt – damals beendete eine explosionsartige Infektionswelle die Null-Covid-Politik – muss die Volksrepublik mit Fallzahlen im zweistelligen Millionenbereich rechnen, pro Tag wohlgemerkt. Laut Kalkulationen der SCMP sind im Winter 2022/23 etwa 1 Million Todesfälle zu erwarten. Doch zur Jahresmitte 2023, so die Hoffnung chinesischer Virologen, könne man wieder zur Normalität übergehen. Aber selbst die besten Wissenschaftler haben sich in dieser Pandemie mehr als einmal getäuscht.

BIP-Vorhersagen 2023 zwischen Null und 6,5 Prozent

Konjunkturprognosen unter diesen Bedingungen aufzustellen, ist äußerst schwierig. Die Deutsche Bank geht einen eleganten Weg. In ihrem Basisszenario geht sie fürs Gesamtjahr 2023 von einem realen Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent aus. Falls sich die Infektions- und Todeszahlen viel schlimmer als erwartet entwickeln, ist auch eine Stagnation möglich. Normalisiert sich hingegen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben schneller als vorhergesagt, erwartet sie ein Plus von 6,5 Prozent.

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Vor dem Hintergrund der Öffnungen haben bereits viele Institute ihre Konjunkturerwartungen für 2023 angepasst. Morgan Stanley hob seine Vorhersage für das Wachstum von 5 auf 5,4 Prozent an. Die Experten der Economist Intelligence Unit (EIU) besserten ihre Prognose sogar um einen halben Prozentpunkt auf 5,2 Prozent nach. Gleichzeitig senkte die Asian Development Bank (ADB) ihre Wachstumserwartungen von 4,5 auf 4,3 Prozent. Fitch Ratings korrigierte seine China-Voraussagen von 4,5 auf 4,1 Prozent. Selten waren sich die Ökonomen so uneinig.

Unternehmen erwarten steigende Umsätze

Die Wirtschaft zeigt sich indes recht optimistisch. Im Mitte Dezember 2022 veröffentlichten Business Confidence Survey 2022/23 der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) in China gehen wesentlich mehr der befragten Firmen für 2023 von einer Zunahme als von einer Abnahme ihrer Umsätze aus. Gleiches gilt für die kommenden fünf Jahre. Damit bleibt das Reich der Mitte auf absehbare Sicht ein großer und wachsender Markt. Doch 58 Prozent der Unternehmen gaben an, dass dessen Attraktivität im Vergleich zu anderen Standorten abgenommen habe. Das China-Geschäft scheint insgesamt schwieriger und risikoreicher geworden zu sein.

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