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Wirtschaftsumfeld | China | Verschuldung

Chinas Unternehmensverschuldung rückt in den Fokus

In der Volksrepublik führt die hohe Verschuldung von Unternehmen zu vermehrten Zahlungsausfällen. Deutsche Firmen sollten Vorkehrungen treffen.

Von Christina Otte | Bonn

Chinas Schuldenproblematik kommt nicht aus den Schlagzeilen – erst recht seit der Immobilienkonzern Evergrande im Sommer 2021 ins Straucheln geriet. Ende 2020 lag die Gesamtverschuldung des Nicht-Finanzsektors, gemessen als Anteil des Kreditvolumens am Bruttoinlandsprodukt (BIP), nach Angaben der Bank of International Settlements (BIS) bei rund 290 Prozent. Hiervon entfielen mit 160 Prozent der Großteil auf den Unternehmenssektor, etwa 67 Prozent auf den Staat sowie 61 Prozent auf private Haushalte.

Damit ist die Unternehmensverschuldung in China fast doppelt so hoch wie in den USA und etwa 40 Prozent höher als in der Eurozone. Im April 2021 forderte der Internationale Währungsfonds die Volksrepublik auf, die hohen Unternehmensschulden anzugehen, die durch die lockere Geldpolitik während der Coronapandemie beschleunigt wurden. Immerhin wurde die Prognose der Bankengruppe UBS verfehlt, die für 2020 einen Anstieg der Gesamtverschuldung auf mehr als 300 Prozent vorausgesagt hatte. Im 1. Quartal 2021 sank die Rate sogar leicht auf 287 Prozent.

Anteil des Kreditvolumens am Bruttoinlandsprodukt
Quelle: Bank for International Settlements (BIS)


Viel relevanter als die Höhe ist jedoch die Geschwindigkeit, mit der die Schulden zugenommen haben. Dies gilt insbesondere für die Verschuldung der privaten Haushalte, die sich gemessen am BIP seit 2011 mehr als verdoppelte. Ebenfalls nahezu verdoppelt hat sich im gleichen Zeitraum der Schuldenstand des Staates. Erstmals war er im Rahmen des großen Konjunkturpakets der Finanzkrise 2008 in die Höhe geschnellt. Weiteren Schub erhielt die Entwicklung ab 2013 mit der Entstehung des Schattenbankensystems und zuletzt durch die Corona-Konjunkturmaßnahmen

Schuldensituation bleibt undurchsichtig

Viele Schulden aus dem Unternehmenssektor müssten eigentlich dem Staat zugerechnet werden, wenn sich etwa ein Staatsunternehmen als privater Partner in einem Public-private-Partnership-Projekt am Bau einer U-Bahnlinie beteiligt. Hinzu kommt, dass chinesische Staatsbanken Kredite eher an staatseigene Firmen vergeben. Daher müssen sich gerade kleinere Privatfirmen oft anderer Finanzierungsvehikel im Graubereich bedienen. Obwohl die Regierung das Schattenbankensystem bereits deutlich eingedämmt hat, hält Dr. Bernd-Uwe Stucken, Rechtsanwalt und Projektberater für das Chinageschäft, fest:

"An dem eigentlichen Problem der Finanzierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen ändert die Regierung trotz gegenteiliger Ankündigungen wenig."

Die Verschuldungssituation der Lokalregierungen gilt als besonders undurchsichtig. Goldman Sachs beziffert die versteckte lokale Staatsverschuldung auf 8,2 Billionen US-Dollar (US$), wovon 40 Prozent auf den Bau- und Transportsektor sowie auf Industriekonglomerate entfallen. Beijing versucht auch hier, den Lokalregierungen stärkere Auflagen zu machen. 

Intransparent ist ferner die Schuldensituation bei Auslandskrediten im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative (BRI). Laut einer Studie des Thinktanks AidData vom September 2021 haben 42 Länder Schulden bei China in Höhe von mindestens 10 Prozent des BIP, mit ungewissem Ausfallrisiko der Auslandskredite. Waren in den 2000er Jahren noch die wenigsten BRI-Finanzierungsgeschäfte abgesichert, seien es nun immerhin 60 Prozent. 

China ist hauptsächlich bei sich selbst verschuldet

Generell konnte die Volksrepublik mit der hohen Verschuldung bislang gut leben, denn das Land ist fast ausschließlich in seiner eigenen Währung verschuldet. Überdies verhindern strenge Kapitalverkehrskontrollen den Abfluss liquider Mittel ins Ausland. Nach Angaben von Goldman Sachs halten ausländische Investoren nur 2 Prozent der Anleihen chinesischer Firmen. Hinzu kommt die geringe Inflation, gemessen am Konsumentenpreisindex, welcher aber die steigenden Immobilienpreise nur ungenügend berücksichtigt. 

China erlebt schon seit Jahren einen Bauboom und kreditbasierte Investitionen in den Bausektor sind fester Bestandteil des Wachstumsmodells. Dies zu ändern, erweist sich aber als Balanceakt. Viele Chinesen nutzen Wohnraum als Vermögensanlage zur Alterssicherung. Ein vielfach befürchtetes Platzen der Immobilienblase hätte daher destabilisierende Folgen. Dem Grundsatz folgend, Häuser seien zum Wohnen da und nicht zum Spekulieren, hat die Zentralregierung 2020 die "drei roten Linien" für Immobilienentwickler eingeführt, die eine höhere Eigenkapitalrate vorsehen. Seitdem ist es für Firmen schwieriger geworden, sich zu refinanzieren.

Immer mehr Unternehmen geraten in Schieflage

Daher bereitet die zunehmende Verschuldung großer chinesischer Baufirmen Sorgen. Nicht zuletzt wegen der enormen Vorleistungen zählen einige der Immobilienentwickler zu den größten Schuldnern des Landes. So steht der Immobilienkonzern Evergrande im September 2021 mit 300 Milliarden US$ in der Kreide. Das entspricht rund 2 Prozent des chinesischen BIP. 

Auch weitere Immobilienkonzerne wie Fantasia befinden sich in finanzieller Schieflage. Die Zahlungsschwierigkeiten sind zudem nicht nur auf den Immobiliensektor beschränkt. So stiegen laut Fitch Ratings die Anleiheausfälle chinesischer Firmen in der 1. Jahreshälfte 2021 auf einen Rekordwert von insgesamt 9,7 Milliarden US$. Dennoch erwarten die meisten Analysten keinen Dominoeffekt. So meint auch Stucken: "Kommt es zu Insolvenzen, verfolgt China bei der Unternehmensabwicklung inzwischen immer das gleiche Muster. Die Auslandsschulden werden abgeschnitten, während die Inlandsschulden möglichst sozial verträglich reguliert werden." 

Allerdings könnte es bei einem rigiden Durchgreifen der Regierung gegen die Unternehmensverschuldung durchaus zu weiteren Zahlungsausfällen kommen. Daher weist Stucken darauf hin: "Wenn chinesische Firmen in Insolvenz geraten, haben ausländische Unternehmen in der Praxis trotz eines modernen Insolvenzrechts nur geringe Chancen ihre Forderungen durchzusetzen. Um das Risiko künftiger Unternehmenspleiten in China zu berücksichtigen, sollten deutsche Unternehmen ihre Risikobewertung und ihr Forderungsmanagement daher schon heute anpassen."

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