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Wie geht es weiter mit der EAWU?

In Europa hat die Eurasische Wirtschaftsunion ihre Sympathien mit Beginn des Ukrainekriegs verspielt. Anderswo sucht das Bündnis aber neue Partner und kündigt große Vorhaben an.

Von Viktor Ebel | Bonn

Bei dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum Mitte Juni 2022 trafen sich nicht nur potenzielle Investoren, auch einflussreiche internationale Organisationen gaben sich in der Newa-Metropole die Klinke in die Hand. Bei einer hochrangigen Sitzung von Vertretern des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN), der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) wurden Integrationspotenziale erörtert.

Wenn es nach dem Vorsitzenden der Eurasischen Wirtschaftskommission geht, soll der Kontinent wirtschaftlich und politisch zusammenwachsen. Eine „Greater Eurasian Partnership“, also eine große eurasische Partnerschaft, ist geplant. Bei der Gelegenheit kündigte Michail Myasnikovich auch gleich eine aussagekräftige Studie zu dieser Strategie an.

Südlich gelegene Transitkorridore stehen nun im Fokus

Wie Sehnen sollen Transportachsen in Nord-Süd- sowie Ost-West-Ausdehnung den eurasischen Kontinent durchqueren und zusammenhalten. Während die nördliche Route von China über Russland nach Europa als etabliert, aber zunehmend riskant gilt, besteht in südlicher gelegenen Regionen noch Ausbaupotenzial. In Armenien beispielsweise sollen die Straßen- und Bahnverbindungen zum Nachbarn Aserbaidschan in naher Zukunft wiedereröffnet werden. Damit wäre das Land nicht nur per Gleis mit Hauptabnehmer Russland verbunden, sondern könnte als Transitland von dem Handel mit dem Iran und dem südlichen Asien profitieren.

Außerdem ist eine Bahnverbindung von China über Kirgisistan nach Usbekistan in Vorbereitung. Laut dem kirgisischen Premierminister sollen die Bauarbeiten im Herbst 2022 beginnen. Ziel ist es, Zentralasien besser mit den Wachstumsmärkten im pazifischen Raum zu verbinden.

Neues Zahlungs- und Währungssystem geplant

Der Ausschluss von dem internationalen Zahlungssystem SWIFT und das Einfrieren russischer Devisenreserven als Folge des Angriffs Russlands gegen die Ukraine befeuert zwei Entwicklungen im eurasischen Raum. So soll ein von SWIFT unabhängiges Interbanken-Messaging-System geschaffen werden. Zudem ist die russische Regierung darin bestrebt, die Weltleitwährung US-Dollar im Außenhandel zu umgehen. 

Laut Sergej Glasjew, dem EAWU-Minister für Integration und Makroökonomie, laufen die meisten Transaktionen zwischen den EAWU-Mitgliedern bereits auf Landeswährung. Ihr Anteil am Binnenhandel nimmt rasch zu: von 63 Prozent (2013) auf 74 Prozent (2020). Das russische „System zur Übermittlung von Finanzmitteilungen“ (SPFS) stehe für alle Banken in den Unionsstaaten offen. Ein ähnlicher Übergang findet im Handel mit China, dem Iran und der Türkei statt. Auch Indien deutete laut Glasjew an, Zahlungen in Landeswährung zu akzeptieren.

Geografische Lage begünstigt Handel mit Ost und West

Im Außenhandel mit der EAWU lagen die Europäische Union (EU) und die Länder der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) im Jahr 2020 gleichauf: Jeweils 37 Prozent entfielen auf beide Regionen. Im Jahr 2021 veränderte sich das Verhältnis sogar leicht zugunsten der EU, die wieder wichtigster Handelspartner der EAWU wurde. Vor allem die russischen Exporte nahmen zu. Doch dieser Trend dürfte nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Geschichte sein. Der Handel mit dem rohstoffreichen Land wurde sanktioniert und ist stark gesunken. Das verbündete Belarus ist davon ebenfalls betroffen.

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Obwohl sie sich vom Krieg ausdrücklich distanzieren, leiden auch die übrigen EAWU-Mitglieder Kasachstan, Kirgisistan und Armenien unter der Entwicklung. Gestörte Lieferketten und Transportwege schränken beispielsweise den Handel entlang der Seidenstraße ein. Kasachstan hat darüber hinaus Probleme, sein Öl in Richtung Europa zu leiten, denn fast die gesamte Infrastruktur gen Westen führt über russisches Staatsgebiet. Es verwundert also nicht, dass auch der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew deutlich auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung Asiens hinweist, einschließlich des wichtigsten Handelspartners China. 

Unternehmen weichen nach Kasachstan und Armenien aus

Dass nicht alle dem Westen den Rücken kehren wollen, zeigen aktuelle Zahlen aus Kasachstan: Zwischen Januar und Juni 2022 stieg die Zahl der in Kasachstan tätigen ausländischen Unternehmen um 12,7 Prozent auf 25.000. Der Zustrom begann im März 2022, kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Experten zufolge handelt es sich hauptsächlich um Unternehmen aus Russland und Belarus, die durch die Sanktionen ihr Geschäft bedroht sehen. Sie sind von Lieferungen aus dem Ausland und von internationalen Zahlungssystemen abhängig. In Kasachstan funktionieren die globalen Waren- und Finanzströme noch weitestgehend problemlos. Gleichzeitig ist der Umzug in das EAWU-Mitgliedsland relativ unkompliziert: Es wird kein Visum benötigt, der Aufenthalt ist unbefristet, eine Identifikationsnummer (Voraussetzung für die Eröffnung eines Kontos) ist schnell beantragt und im Alltag wird Russisch gesprochen.

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Andere Unternehmen verschlägt es in die kleine Kaukasusrepublik Armenien, die mit einem attraktiven Geschäftsumfeld und Steuervergünstigungen aufwartet. Die Hauptstadt Eriwan gilt als IT-Hub. Deshalb hat sich die armenische Regierung auf die Fahne geschrieben, ein sicherer und aussichtsreicher Standort für russische Tech- und Softwarefirmen zu werden. Auch hier erweist sich die Mitgliedschaft in der EAWU als ausschlaggebend. Armenien ist gut erreichbar, bleibt vorerst von steigenden Energiepreisen verschont und profitiert von verschiedenen Integrationsprojekten auf EAWU-Ebene, darunter:

  • gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen,
  • Übertragung von Rentenansprüchen,
  • digitale, grenzübergreifende Plattform zur Arbeitssuche.
Weitere Freihandelsabkommen im Gespräch

Es bestehen bereits Freihandelsabkommen zwischen der EAWU und diversen Ländern, darunter Vietnam, Singapur und Serbien. Das Interims-Abkommen mit dem Iran soll im Laufe des Jahres 2022 zu einem vollständigen Freihandelsabkommen ausgearbeitet werden. Mit einer Reihe weiterer Staaten laufen Verhandlungen, darunter mit Ägypten. Der Handelsminister der Eurasischen Wirtschaftsunion bezeichnet das geplante Abkommen mit dem Land am Nil als „eines der ehrgeizigsten“. Es eröffne die Möglichkeit, den Handel umfassend zu diversifizieren und neue logistische Verbindungen aufzubauen.

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