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Wirtschaftsumfeld | Estland | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten

Arbeitsmarkt

Die Lage auf dem estnischen Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern ist einfacher, wenn Arbeitgeber wichtige Aspekte berücksichtigen.

Von Niklas Becker | Helsinki

Estland kämpft weiterhin mit dem Fachkräftemangel. Aufgrund der wirtschaftlichen Abkühlung hat sich die Lage etwas entspannt. Nach Zahlen von Eurostat blieben im 1. Quartal 2023 aber fast 7.000 Stellen beziehungsweise 1,6 Prozent der Arbeitsplätze in der gewerblichen Wirtschaft unbesetzt. Zur Jahresmitte 2022 hatte der Mangel seinen vorzeitigen Höhepunkt erreicht. Damals konnten 1,9 Prozent der Stellen nicht besetzt werden. Am höchsten ist der Arbeitskräftebedarf in der Hauptstadt Tallinn.  

Allgemeine Arbeitsmarktdaten

Bevölkerung (2022, in Mio.)

1,3

Erwerbspersonen (2022, 15 bis 64 Jahre in Mio.)

0,7

Arbeitslosenquote, offizielle (April 2023, in %, nach ILO-Definition)

6,1

Analphabetenquote (2021, Anteil der Personen 15 Jahre und älter in %)

0

Universitätsabschluss (2022, in %) *)

36,7

*) Anteil der 15 bis 64-jährigen Bevölkerung mit einem tertiären BildungsabschlussQuelle: Estnisches Statistikamt 2023; Weltbank 2023; Eurostat 2023

Mehr Personen verlassen den Arbeitsmarkt

Grund für einen derart großen Mangel bei einer immer noch relativ hohen Arbeitslosenquote ist nach Einschätzung der Swedbank ein Matching-Problem: sowohl bei den Qualifikationen als auch der geografischen Verteilung. Mari-Liis Karjane vom Personaldienstleister HR Factory berichtet zudem von demografischen Herausforderungen. "Die Zahl der Esten, die auf den Arbeitsmarkt kommen, sinkt", sagt die Expertin und ergänzt: "Vier Personen verlassen den Arbeitsmarkt und nur drei betreten ihn." Nach Einschätzung von Karjane wird sich das in den kommenden Jahren nicht ändern. 

Ein weiteres Problem sei das Interesse an der dualen Berufsausbildung. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich laut der Personalerin für die Berufsschule. Stattdessen steht das Studium bei ihnen hoch im Kurs. "Deshalb fehlt der Nachwuchs im Handwerk", sagt die Expertin. So sei es beispielsweise sehr schwer, Mechaniker oder Elektriker zu finden. Aber auch für gewisse Berufsgruppe mit Hochschulausbildung wie beispielsweise Ingenieure sei die Suche besonders herausfordernd.

IT-Recruiting bleibt besonders herausfordernd

Aufgrund der Probleme bei der Suche nach Fachkräften arbeiten viele Firmen bereits mit Berufs- und Hochschulen zusammen, um so ausreichend Nachwuchs zu bekommen. Zwar lassen sich nach Einschätzung von Karjane in der Regel qualifizierte Fachkräfte finden. Es sei allerdings nicht einfach. Eine ganz eigene Liga ist allerdings der IT-Bereich. Hier ist die Suche nach Fachkräften besonders hart. "Wir bieten im IT-Bereich keine Rekrutierungsdienstleistungen mehr an, weil hier spezielle Kenntnisse und Kontakte in die Branche nötig sind. Deshalb wird der Markt von einigen Spezialanbietern besetzt", erklärt die Personalerin. 

Zu einer gewissen Entspannung des Arbeitsmarktes tragen ukrainische Geflüchtete bei. Nach Zahlen des estnischen Statistikamtes waren Ende Mai 2023 mehr als 11.400 von ihnen in einem Beschäftigungsverhältnis. Etwa 5.000 suchen weiterhin einen Job. Zusätzlich zu den aufgrund des russischen Angriffskriegs Geflüchteten sind weitere 16.000 Ukrainer in Estland beschäftigt. Sie verfügen über eine dauerhafte Aufenthalts- oder eine befristete Arbeitserlaubnis. 

Einwohnerzahl steigt wieder 

In der Vergangenheit hatte die Abwanderung von Arbeitskräften ins Ausland die Suche nach Arbeitnehmern erschwert. Zwischen 2003 (Estland ist 2004 der Europäischen Union beigetreten) und 2014 schrumpfte die Bevölkerung um 4,1 Prozent, was in dem 1,3 Millionen Einwohner zählenden Land 56.175 Esten ausmacht. Seit 2015 wird allerdings wieder eine positive Nettoeinwanderung verzeichnet und die Zahl der Einwohner wächst. Bei der Einwanderung nach Estland machen ins Heimatland zurückkehrende estnische Staatsangehörige den größten Anteil aus. 2021 waren es 36 Prozent. 

Trotz positiver Nettoeinwanderung fehlten zum Bevölkerungsstand von 2003 zum Jahresbeginn 2022 weiterhin mehr als 43.000 Personen. Denn Estland verzeichnet in der Summe zwar mehr Personen, die ins Land migrieren, aber auch weiterhin eine große Zahl von Auswanderern. Von 2015 bis 2021 waren es mehr als 87.000 Personen. Jede Dritte darunter war zwischen 15 und 30 Jahre alt. 

Estland kann mit qualifizierten Arbeitskräften punkten

Im aktuellsten PISA-Ranking von 2018 belegt Estland im weltweiten Vergleich den fünften und im europäischen Vergleich den ersten Platz. Das Land schnitt in allen drei Bereichen (Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) besser ab als der Durchschnitt der Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Auch die in Estland vertretenen deutschen Investoren bewerten die Qualifikation der heimischen Arbeitnehmer positiv. Das zeigt die 2023 von der Deutsch-Baltischen Handelskammer (AHK Baltikum) durchgeführte Unternehmensbefragung. Auf der Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft) vergaben sie die Note 2,17. Zufrieden zeigten sie sich auch mit der akademischen Ausbildung (Note 2,27) und dem Berufsbildungssystem (2,55).

Gutes Employer-Branding vereinfacht die Suche

Zwar müssen sich Arbeitgeber laut Arvid Häntsch, Managing Director bei CARIAD Estonia, auf eine gewisse "Training on the Job"-Phase - besonders bei Junior Positionen - einstellen. Der Unternehmer lobt jedoch das große Engagement und die hohen Ambitionen der estnischen Mitarbeiter. Auch das zur Volkswagen-Gruppe gehörende IT-Unternehmen ist vom Fachkräftemangel in Estland betroffen. "Es ist nicht einfach, aber wir kommen an die Talente heran", sagt Häntsch und ergänzt: "Die Personen, deren Kompetenzen wir im Team brauchen, sind weitestgehend noch verfügbar." Hilfreich bei der Personalsuche in Estland sei ein gutes Employer-Branding. Zusätzlich zu einem internen Empfehlungsprogramm arbeitet CARIAD bei der Suche nach geeigneten Kandidaten mit Universitäten, Programmierschulen und Personaldienstleistern zusammen. 

"Ein schneller Recruitingprozess wird von den Bewerbern sehr geschätzt", berichtet Häntsch. Wie der Unternehmer erklärt, ist CARIADs Bewerbungsprozess in Estland weniger umfangreich als in Deutschland. Estnische Arbeitnehmer erwarten Häntsch zufolge zudem eine gewisse Flexibilität. "Home-Office und einzelne Tage auch mal vom Ausland aus arbeiten zu können, ist Standard." Für die Bewerber sei zudem ihr zukünftiges Tätigkeitsumfeld, Entwicklungsmöglichkeiten sowie ihre Rolle im Unternehmen wichtig. "Das Betriebsklima muss ebenfalls stimmen, um Mitarbeiter zu halten", ergänzt Häntsch.  

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