Wirtschaftsumfeld | Estland | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Lohnkosten
Estland hat die höchsten Arbeitskosten in den baltischen Ländern. Für Arbeitnehmer bleibt das Gehalt zwar das wichtigste Kriterium, aber es kommt auch auf andere Aspekte an.
05.07.2023
Von Niklas Becker | Helsinki
Löhne und Gehälter
Estland weist von allen drei baltischen Staaten die höchsten Arbeitskosten in der gewerblichen Wirtschaft auf. 2022 beliefen sich diese nach Angaben von Eurostat auf 16,60 Euro pro Stunde. In Litauen waren es 13,20 Euro und in Lettland 12,40 Euro. Deutlich höher liegen die Arbeitskosten in Estlands Nachbarland Finnland. Hier mussten Arbeitgeber 2022 im Durchschnitt 37,10 Euro pro Stunde bezahlen.
Die Gehälter in Estland sind in der Vergangenheit merklich gestiegen. Mari-Liis Karjane vom Personaldienstleister HR Factory erwartet jedoch, dass die estnischen Löhne vorerst nicht mehr so massiv steigen wie in der jüngeren Vergangenheit. "Die Lohnsteigerungen haben sich zuletzt zum Teil bereits negativ auf den Ertrag der Unternehmen ausgewirkt", berichtet Karjane.
2021 | 2022 | 2023 1) | 2024 1) | |
---|---|---|---|---|
nominal (in Euro) | 1.548 | 1.685 | 1.8592) | 1.9482) |
nominale Veränderung (in %) 3) | 6,9 | 8,9 | 10,3 | 4,8 |
Eine vom Personaldienstleister CV-Online durchgeführte Umfrage unterstützt die Einschätzung von Karjane. 66 Prozent der im März 2023 befragten Unternehmen gaben an, in den kommenden Monaten keine Lohnerhöhungen oder zusätzliche Prämien für ihre Mitarbeiter zu planen. Dies könnte jedoch das estnische Personalkarussell in Schwung bringen. Denn drei Viertel der befragten Arbeitnehmer in Estland erwartet eine Gehaltserhöhung. Fast 80 Prozent haben sich im 1. Quartal 2023 bereits auf eine neue Stelle beworben. Unzufriedenheit mit dem Lohnniveau war der am häufigsten genannte Grund. Auch die Suche nach mehr Entwicklungsmöglichkeiten und Unzufriedenheit mit dem Führungsstil spielten eine große Rolle.
Gehaltsanpassungen sind in Estland durchaus ein Mittel, um der Personalfluktuation entgegenzuwirken. Fast 60 Prozent der Unternehmen, die die Gehälter ihrer Mitarbeiter in den kommenden Monaten erhöhen wollen, tun dies, um gute und loyale Mitarbeiter zu halten. Rund 47 Prozent hoffen, durch die Anpassung das Risiko einer Mitarbeiterfluktuation zu verringern. Mitarbeiter bei der Bewältigung des Kaufkraftverlustes aufgrund der Inflation zu unterstützen, war für knapp 42 Prozent der Unternehmen ein Grund.
Weitere Lohnbestandteile
Natürlich ist ein konkurrenzfähiges Gehalt in Estland notwendig, um qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Eine gute Bezahlung allein reicht allerdings nicht aus. Neben dem monatlichen Grundgehalt spielen auch andere Vergütungskomponenten eine sehr wichtige Rolle und gelten mittlerweile als Standard. "Lohnzusatzleistungen werden erwartet. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr, mit dem man Arbeitnehmer für sich gewinnen kann", ordnet Arvid Häntsch, Managing Director bei CARIAD Estonia, die Bedeutung der Zuwendungen ein.
Weit verbreitet sind beispielsweise private Krankenversicherungen oder Gutscheine für Sporteinrichtungen. "Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern zunehmend häufiger eine Liste an, aus der sich die Angestellten ihr eigenes Bonuspaket zusammenstellen können", berichtet Karjane. Ein neuer Trend in Estland sei die Bereitstellung von Aktien für die Arbeitnehmer. Mitarbeitern in Produktionsanlagen im ländlichen Gebiet wird üblicherweise ein Sammelfahrdienst angeboten, um den schwachen oder gar nicht vorhandenen öffentlichen Personennahverkehr auszugleichen.
Stellenanzeige mit Bedacht formulieren
Führt die Personalsuche nicht zum gewünschten Erfolg, kann das verschiedene Gründe haben. So ist es laut CV-Online wichtig, dass der Umfang des Vergütungspakets klar formuliert wird. Die Experten empfehlen daher, die Höhe des Gehalts oder die Gehaltsspanne in der Stellenanzeige anzugeben. Auch eine schlechte oder veraltete Internetseite des potenziellen Arbeitgebers oder zu viel Aufwand für die Bewerbung kann Bewerber abschrecken.
Wichtig ist zudem der Ruf eines Unternehmens. CV-Online zufolge lesen potenzielle Bewerber Online-Bewertungen von Arbeitgebern. Positiv hervorstechen können in den sozialen Netzwerken aktive Firmen. Teamevents hervorzuheben, lockt laut den Experten mögliche Arbeitnehmer an. Sehr wichtig ist es zudem, Bewerbern ein Feedback zu geben. Ausbleibende Rückmeldungen schaden der Reputation des Arbeitgebers. Viele Arbeitnehmer gaben an, sich aufgrund ausbleibender Antworten künftig nicht mehr auf Stellenangebote des Unternehmens zu bewerben. Zudem teilen sie ihre schlechten Erfahrungen mit Freunden und Bekannten.
In Estland existiert ein deutliches Lohngefälle. Die im Vergleich zur Hauptstadtregion günstigeren Löhne und teilweise höheren Arbeitslosenquoten machen den ländlichen Raum zwar grundsätzlich attraktiv für Produktionsstätten. Allerdings sorgen Urbanisierung und Auswanderung auch für eine schrumpfende Bevölkerung, sodass die Personalsuche dort aufwändiger ist.
1. Quartal 2023 (in Euro) | nominale Veränderung 1. Quartal 2023/ 1. Quartal 2022 (in %) | |
---|---|---|
Insgesamt | 1.741 | 13,3 |
Bauwirtschaft | 1.479 | 11,0 |
Verarbeitendes Gewerbe, darunter | 1.581 | 11,7 |
Holzindustrie | 1.563 | 12,1 |
Chemische Industrie | 1.880 | 15,4 |
Metallverarbeitung | 1.630 | 10,8 |
Maschinenbau | 1.988 | 13,8 |
Herstellung von elektrischer Ausrüstungen | 1.693 | 14,2 |
Handel, Reparaturen | 1.560 | 12,2 |
Transport | 1.576 | 11,6 |
Information und Kommunikation | 3.160 | 11,3 |
Estlands monatlicher Mindestlohn wurde 2023 von zuvor 654 auf 725 Euro angehoben. Laut Angaben des estnischen Ministeriums für Soziales verdienten 2022 rund 3,3 Prozent aller Beschäftigten den Mindestlohn. Bei weiteren 3,5 Prozent lag das Gehalt zwischen 654 und 725 Euro. In den kommenden Jahren wird der Mindestlohn in Estland stufenweise erhöht. Darauf haben sich die Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber im Mai 2023 geeinigt. 2027 soll der Mindestlohn 50 Prozent des jährlichen Durchschnittslohns betragen. 2022 waren es etwa 39 Prozent.
Sozialversicherungsbeiträge
Alle estnischen Arbeitsverträge unterliegen der Sozialversicherungspflicht. Der Beitragssatz der Sozialsteuer (Sotsiaalmaks) beträgt 33 Prozent des Bruttolohns. Er ist allein vom Arbeitgeber aufzubringen. Der Mindestbetrag, der pro Beschäftigtem abzuführen ist, liegt 2023 bei 215,82 Euro je Monat. Zusätzlich ist noch die Arbeitslosenversicherung (Töötuskindlustusmakse) zu entrichten. Der Beitragssatz wird vom Gesetzgeber regelmäßig neu angepasst. Für die versicherte Person liegt die Spannweite bei 0,5 bis 2,8 Prozent. Für den Arbeitgeber zwischen 0,25 bis 1,4 Prozent. Bis Ende 2025 beläuft sich der Anteil des Arbeitnehmers auf 1,6 Prozent und der des Arbeitgebers auf 0,8 Prozent.
Rentenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 20 |
Krankenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 13 |
Arbeitslosenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 0,8 |