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Gesundheitssystem

Finnische Patienten müssen immer länger auf eine Behandlung warten. Auch deshalb steigt die Bedeutung privater Dienstleister. Die Gesundheitsausgaben bieten Entwicklungspotenzial. 

Von Niklas Becker | Helsinki

Derzeit wird das finnische Gesundheitssystem auf nationaler und lokaler Ebene gesteuert. Das Ministerium für Soziales und Gesundheit übernimmt die Koordination der nationalen Ebene und ist dabei zuständig für die Gesundheitspolitik sowie die Entwicklung und Umsetzung von Reformen. Die 310 Gemeinden sind für die Organisation und Finanzierung der Gesundheitsversorgung in ihrem jeweiligen Amtsbezirk zuständig. Dabei finanzieren und organisieren sie die Primärversorgung und bilden 20 Krankenhausbezirke, um die Krankenhausversorgung sicherzustellen. Zur Erbringung der Dienstleistungen können sich mehrere Gemeinden zusammenschließen. Zudem können auch Dienstleistungen von privaten Unternehmen eingekauft werden.  

Das hohe Maß an Dezentralisierung ermöglicht es zwar, sich an die Bedürfnisse einer weit verstreuten Bevölkerung anzupassen, führt aber zu Ineffizienzen und zu gewissen Ungleichheiten. Deshalb soll die Organisation der Gesundheits- und Sozialversorgung in Zukunft von neu geschaffenen 21 Gesundheits- und Sozialregionen sowie weiterhin von der Stadt Helsinki übernommen werden. Nach jahrelangen Diskussionen erfolgte der Startschuss für die Reform im Sommer 2021.  

Gesundheitsausgaben weit unter nordischem Durchschnitt

Finnlands gesamte Gesundheitsausgaben (privat und öffentlich) beliefen sich 2020 nach vorläufiger Schätzung des Gesundheitsministeriums auf 22,7 Milliarden Euro. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes entspricht dies einem Anteil von 9,5 Prozent. 2019 waren es 9,2 Prozent beziehungsweise 22 Milliarden Euro. Die Ausgaben beliefen sich 2019 laut Eurostat auf 3.983 Euro pro Person. Finnlands Pro-Kopf-Aufwendungen für den Gesundheitssektor lagen in den letzten Jahren zwar immer rund 900 Euro über dem Durchschnitt der Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU), im Vergleich zu den anderen nordischen Ländern besteht jedoch eine große Differenz.

In Schweden lagen die Ausgaben pro Kopf mehr als 1.000 Euro über dem finnischen Niveau. Noch größer fiel der Unterschied zu Island (5.270 Euro), Dänemark (5.355 Euro) und Norwegen (7.127 Euro) aus. Deutschland kam 2019 auf ein Niveau von 4.855 Euro. Öffentliche Gesundheitsausgaben kamen 2019 auf einen Anteil an den gesamten Ausgaben von rund 77 Prozent. Der private Anteil belief sich auf etwa 23 Prozent. Dazu zählen neben den Ausgaben der Haushalte aus der eigenen Tasche auch die von den Arbeitgebern finanzierten Leistungen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsfürsorge.   

Wartelisten werden immer länger

Trotz gesetzlich garantierter Wartezeiten für eine medizinische Versorgung sind lange Wartelisten kein unbekanntes Phänomen des finnischen Gesundheitssystems. 2020 meldeten nach Zahlen von Eurostat 5,3 Prozent der finnischen Bevölkerung nach eigenen Angaben einen nicht erfüllten Bedarf an ärztlicher Untersuchung oder Behandlung. Nach Estland (12,2 Prozent) ist es der mit Abstand höchste Wert innerhalb der EU. Slowenien folgt mit einem Anteil von 2,6 Prozent.

Im EU-Durchschnitt meldeten 2019 (für 2020 liegen keine Daten vor) 0,7 Prozent der Bürger einen nicht erfüllten Behandlungsbedarf aufgrund von Wartelisten. Der Anteil der von zu langen Wartezeiten betroffenen finnischen Bevölkerung ist in der jüngeren Vergangenheit kontinuierlich gestiegen. 2017 lag der Anteil noch bei 3,6 Prozent. 

Private Gesundheitsanbieter spielen eine wichtige Rolle

Bei Inanspruchnahme von öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen werden in Finnland in der Regel Selbstbeteiligungen fällig. Diese sind umfangreich und betreffen auch die Primär- und Notfallversorgung. Die zu leistenden Beiträge sind allerdings jährlich gedeckelt. Für Gesundheitsdienstleistungen fielen 2019 beispielsweise Selbstbehalte von maximal 683 Euro an. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten waren es 572 Euro. Die auf der Erstattungsliste aufgeführten Pharmazeutika werden zu 40, 65 oder 100 Prozent erstattet. 

Neben den öffentlichen Gesundheitszentren und Krankenhäusern nehmen die privaten Gesundheitsdienstleister (beispielsweise Aava und Mehiläinen) eine bedeutende Stellung in Finnland ein. Ursprünglich übernehmen sie als externer Dienstleister die berufsspezifische Gesundheitsversorgung am Arbeitsplatz, zu der die finnischen Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind. Wegen der langen Wartezeiten im öffentlichen Gesundheitssystem nutzen die Arbeitgeber ihre Verpflichtung für umfangreichere Zusatzversorgungen. Erwerbstätige haben dadurch meist einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung als beispielsweise Rentner oder Arbeitssuchende.

Die Vielzahl der privaten Dienstleister sind Einzelunternehmer

Im Jahr 2019 zählte der Verband der privaten Gesundheitsdienstleister (LPY) 15.170 private Unternehmen im finnischen Gesundheitssektor. Ihr Umsatz betrug etwa 5,4 Milliarden Euro. Laut LPY wurde 2019 fast die Hälfte der primären Gesundheitsdienste (ohne Zahnmedizin) von privaten Anbietern erbracht. Der private Gesundheitsdienstleistungssektor ist sehr stark von Kleinunternehmen geprägt. Fast 90 Prozent der Unternehmen sind laut Verband im Besitz von Einzelunternehmern. Große Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten machten 2019 allerdings 42 Prozent des Umsatzes aus.

Der Umfang des Angebots, das die Arbeitnehmer kostenfrei in Anspruch nehmen können, ist abhängig vom Arbeitgeber. Zum Teil schließen Eltern in Finnland Zusatzversicherungen für ihre Kinder ab, mit denen die privaten Gesundheitsdienstleister aufgesucht werden können. Dabei werden die privaten Gesundheitsdienstleister nicht nur durch die Arbeitgeber oder privat bezahlte Arztbesuche finanziert. Die nationale Krankenversicherung erstattet einen Teil der im privaten Sektor erbrachten Leistungen. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um die ambulante Versorgung. Beispielsweise muss der Besuch bei einem Facharzt im privaten Gesundheitszentrum nicht selten aus der eigenen Tasche bezahlt werden. 

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