Frankreich weist eines der umfassendsten öffentlichen Gesundheitssysteme weltweit auf. Die Krise hat die Reformen beschleunigt.
Das öffentliche Gesundheitssystem in Frankreich gehört zu den besten weltweit. Der Anteil an den Gesundheitsausgaben, den Haushalte aus der eigenen Tasche zuzahlen, war 2019 mit 9,3 Prozent der niedrigste unter OECD-Mitgliedsstaaten. Insgesamt wendete das Land 2019 mit 11,2 Prozent einen etwas geringeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) für die Gesundheit auf als Deutschland (11,7 Prozent). Die Ausgaben sind die zweithöchsten in der EU und liegen über dem Durchschnitt von etwa 10 Prozent des BIP. Sie sind aber in den Jahren vor der Krise vergleichsweise moderat angewachsen.
Der Löwenanteil der Gesundheitsausgaben wird von der Sozialversicherung getragen, die wiederum überwiegend über Arbeitsgeber- und Arbeitnehmerbeiträge und zu einem geringen Anteil über staatliche Zuschüsse und gewisse Steuern (Tabak, Alkohol) finanziert wird. Private Pflichtversicherungen (assurances complémentaires) und freiwillige private Zusatzversicherungen tragen etwa gleichviel bei. Die privaten Pflichtversicherungen, die anteilig vom Arbeitgeber finanziert werden, sind erst seit 2016 verpflichtend und decken etwa 38 Millionen Menschen ab. Für einkommensschwache Familien übernimmt der Staat die Kosten. Hinzu kommen die freiwilligen privaten Zusatzversicherungen mit etwa 9 Millionen Versicherten.
Niedrige private Zuzahlungen könnten weiter sinken
Die Zuzahlungen der privaten Haushalte könnten weiter zurückfallen. Schrittweise ist 2019 bis 2021 die vollständige Kostenübernahme von Basispaketen für Brillen, Hörgeräten und Zahnersatz (100% santé) eingeführt worden. Die Regierung hat darüber hinaus bis Ende November 2021 einen Bericht zur Neuausrichtung der öffentlichen Gesundheitsversorgung in Auftrag gegeben. Untersucht werden soll die Möglichkeit eines vollständig öffentlich finanzierten Systems oder zumindest eine Neuverteilung der Finanzierung zwischen öffentlicher Hand und privaten Pflichtversicherungen.
Das französische Gesundheitssystem schneidet im EU-Vergleich bei der Qualität der Versorgung relativ gut ab, aber weniger gut bei der Prävention. So erreicht Frankreich nach OECD-Daten in der EU bei der Mortalität durch behandelbare Krankheiten die niedrigste Rate je 100.000 Einwohner und liegt in der OECD nur hinter der Schweiz, Norwegen und Japan. Schlechter schneidet das Land bei der Mortalität durch vermeidbare Krankheiten ab - also in der Prävention. Dies liegt vor allem an einem hohen Anteil an Rauchern und einem hohen Alkoholkonsum.
Bettenzahl gesunken
Der öffentliche Sektor umfasst 45 Prozent der Einrichtungen, aber 61 Prozent der Betten. An der Spitze stehen aufgrund ihrer Größe und Ausstattung die Universitätskliniken CHU und Regionalkrankenhäuser CRU. Die Bettenanzahl ist seit 2013 insgesamt um 5 Prozent zurückgegangen und um 6 Prozent im öffentlichen Sektor. In der Coronakrise stand die Regierung vor allem aufgrund überfüllter Intensivstationen in der Kritik. Kurzfristig konnte die Bettenanzahl aber stark hochgefahren werden und Covid-Patienten wurden in andere Landesteile oder ins Ausland verlegt.
Gesundheitseinrichtungen in Frankreich 2019
Sektor | Einrichtungen | Bettenanzahl |
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Öffentlicher Sektor | 1.354 | 241.345 |
darunter Universitäts- und Regionalkliniken | 179 | 70.272 |
Privater gemeinnütziger Sektor | 671 | 56.385 |
Privatsektor | 983 | 94.863 |
Gesamt | 3.008 | 392.593 |
Bei Krankenhausverbünden wie dem AP-HP in Paris wird die Anzahl der Standorte gezählt.Quelle: Drees 2021
Im Sommer 2021 hat es sich gezeigt, dass es vor allem an Personal mangelt, um mehr Betten einzurichten. Die Regierung hat den Numerus Clausus für Gesundheitsberufe aufgehoben, mehr Studienplätze geschaffen und in der Krise im Rahmen des Förderprogramms Ségur de la santé die Löhne angehoben. Diese Reformen dürften allerdings erst in einigen Jahren zu einer besseren Verfügbarkeit von Ärzten und Pflegekräften führen.
Bei der Anzahl der Ärzte je 100.000 Einwohner lag Frankreich mit 317 unter dem Durchschnitt von 15 EU-Ländern (vor der großen Erweiterung 2004) von 381. Mit 1.107 Pflegekräften je 100.000 Einwohnern ist das Land hingegen besser ausgestattet als der Durchschnitt von 975. Ein großes Thema ist in Frankreich der Ärztemangel vor allem im ländlichen Raum. Die Regierung versucht mit Subventionen für Gemeinschaftspraxen und mit mehr Telemedizin gegenzusteuern.
Vergütung der Krankenhäuser soll angepasst werden
Die Coronapandemie hatte Frankreich früher und stärker getroffen als Deutschland. Angesichts dieses enormen Schocks hat sich das Gesundheitssystem als widerstandsfähig erwiesen. Die Krise hat neben dem Personalmangel aber auch einige weitere Probleme aufgedeckt oder zumindest stärker vor Augen geführt. Darunter die schwache Koordinierung zwischen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Pflegeheimen sowie administrative Hindernisse in den Krankenhäusern. Das Reformpaket Ségur de la santé soll hier Abhilfe schaffen, ebenso wie bei einem jahrelangen Rückstand bei Instandhaltungsinvestitionen in öffentlichen Krankenhäusern.
Bereits vor der Krise wurden Reformen der Vergütung der Krankenhäuser diskutiert, um Fehlanreize zu bekämpfen. Sie soll in den kommenden Jahren stärker von Behandlungspauschalen abrücken und sich stärker am Behandlungserfolg orientieren.
Auch das Instrument des Ausgabenziels für die Krankenversicherung Ondam (objectif national de dépenses d'assurance maladie) soll angepasst werden. Jährlich wird eine Steigerungsrate für das Ondam vorgegeben. 2022 darf sie ohne Covid-Sonderausgaben 2,6 Prozent erreichen. Diese ist wichtig, weil sich daraus aufgrund der "natürlichen" Kostensteigerung von etwa 4 Prozent Sparziele für die Ausgaben für Medikamente und Medizintechnik ableiten. Das Ondam soll zunächst auf fünf Jahre im Voraus definiert werden.
Der französische Rechnungshof (Cour des comptes) kritisiert, dass das Ondam als Sparinstrument zu wenig die Relevanz von Behandlungen oder Untersuchungen im Blick habe. Er verweist darauf, dass etwa der Medikamentenkonsum in Frankreich höher ist als in den meisten OECD-Ländern, genau wie der Einsatz von Antibiotika. Gleichzeitig werden weniger Generika genutzt, obwohl Apotheken angehalten sind, diesen Vorrang einzuräumen. Besonders hoch sei im OECD-Vergleich auch der Einsatz der Magnetresonanztomografie (MRT).
Von Peter Buerstedde
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Paris