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Wirtschaftsumfeld | Südosteuropa | Konjunktur

Trotz externer Schocks legt Südosteuropa weiter zu

Die Wirtschaft der Balkanländer leidet unter einer hohen Inflation, Lieferengpässen und dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. EU-Gelder stabilisieren die Konjunktur.

Von Christian Overhoff | Bonn

Der Ukrainekrieg und die Coronakrise treffen die südosteuropäischen Länder hart. Rohstofflieferungen und Absatzmärkte sind weggefallen. Rapide gestiegene Energiepreise und unterbrochene Lieferketten schaden der Konjunktur. Gleichzeitig flüchten Millionen ukrainische Bürger in die Nachbarländer. Instabile politische Verhältnisse und hausgemachte Probleme verstärken die Unsicherheit. 

Fördermittel und Hilfen der EU geben wichtige Impulse

In diesem Umfeld spielen Gelder der Europäischen Union (EU) eine wichtige stabilisierende Rolle. Vor allem EU-Mitgliedsstaaten wie Bulgarien, Griechenland, Rumänien und Zypern ist eine starke Rückendeckung durch EU-Fördermittel und EU-Hilfen in Milliardenhöhe sicher. Große Anteile der Förderung entfallen auf Projekte im Bereich Infrastruktur.

Auch der Westbalkan und die Republik Moldau profitieren wesentlich von der Unterstützung aus Brüssel und internationalen Gebern. Diese haben im April auf einer Konferenz in Berlin Hilfen in Höhe von 600 Mio. Euro für Moldau beschlossen.

Griechenland kann wieder mit hohen Tourismuseinnahmen rechnen

Griechenland erwartet für das Gesamtjahr 2022 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um real 3,5 Prozent. Damit steht das Land relativ gut da, trotz der Belastungen durch Inflation und schwache Lieferketten. Diesen positiven Ausblick verdankt das Land vor allem dem Boom in der Tourismusbranche. Experten erwarten fast so viele Gäste wie im Rekordjahr 2019. Die Brancheneinnahmen sollen auf 16 Milliarden Euro steigen. 

Die Bruttoanlageinvestitionen werden laut EU-Kommission 2022 um 14,7 Prozent zunehmen. Impulse geben die Fördermittel aus Brüssel: Rund 32 Milliarden Euro stehen aus dem EU-Wiederaufbaufonds bis 2027 bereit. Es werden vorrangig Infrastruktur-, IT- und Energieprojekte gefördert. Griechische Unternehmen profitieren zudem von den 26,2 Milliarden Euro aus dem EU-Partnerschaftsvertrag 2021 bis 2027.

Exporte in Rumänien und Bulgarien leiden unter schwächerer EU-Konjunktur

Für andere EU-Länder wie Bulgarien und Rumänien sowie die Mittemeerinsel Zypern wird mit rund 2 Prozent ein etwas schwächeres Wachstum für 2022 prognostiziert. Rumäniens Wirtschaft kühlt damit gegenüber einem Plus von 5,9 Prozent im Vorjahr 2021 stark ab. Rumänien ist zwar weniger auf Energieimporte angewiesen, da es eigene Erdgasvorkommen im Schwarzen Meer besitzt, doch die Fördermenge stagniert. Von den unterbrochenen globalen Lieferketten sind die Automobil-, Möbel- und Bauindustrie am stärksten betroffen. Unternehmen drosseln die Produktion und stellen auf Kurzarbeit um. Die Regierung hat deshalb ein Konjunkturpaket im Wert von 1,2 Prozent des BIP geschnürt. Zusätzlich belasten das Budget höhere Ausgaben für Militär und Soziales sowie für Geflüchtete aus der Ukraine. Die EU stellt Rumänien bis 2027 insgesamt rund 80 Milliarden Euro an Fördermitteln und Hilfen bereit. 

In Bulgarien stockt das Wirtschaftswachstum aufgrund derselben externen Faktoren. Entsprechend gerät die starke Aufwärtsdynamik der Importe unter Druck. Auch die bisher enorm positive Entwicklung der Ausfuhren wird leiden. Das Exportwachstum dürfte sich aufgrund der schwächeren Konjunktur in Europa 2022 halbieren. Dagegen spült der Tourismus wieder mehr Einnahmen in die Kassen.

Die Versorgung mit Erdgas ist trotz Kündigung der Lieferungen durch Russland über den bulgarisch-griechischen Interkonnektor gesichert, durch den voraussichtlich im Juli 2022 neues Erdgas strömt. Ein Wachstumsrisiko bilden der Reformstau und immer wieder aufflammende politische Krisen, die das Investitionsklima trüben. Die EU stellt Bulgarien bis 2027 insgesamt rund 29 Milliarden Euro an Hilfen und Fördermitteln bereit.

Auch Zypern darf auf eine positive Konjunkturentwicklung hoffen. Bei den Bruttoanlageinvestitionen wird 2022 eine Zunahme um 5,4 Prozent, für 2023 um weitere 5,8 Prozent erwartet. Zypern erhält rund 1,23 Milliarden Euro aus dem EU-Aufbau- und Resilienzplan. Zusätzlich kommen Zypern 959 Millionen Euro aus dem EU-Partnerschaftsvertrag 2021-2027 zugute.

Wirtschaftsentwicklung und Inflation in Prozent
Land

BIP-Wachstum real 2021

BIP-Wachstum real 2022*)

Inflation im April 2022 (zum Vorjahresmonat)

Albanien

8,5

3,5

6,2

Bulgarien

4,2

2,1

14,4

Bosnien und Herzegowina

7,1

1,8

13,2

Griechenland

8,3

3,5

9,1

Kosovo

10,5

3,3

11,2

Moldau

13,9

-3,0

27,1

Montenegro

12,4

3,5

11,2

Nordmazedonien

4,0

2,5

7,2

Rumänien

5,9

2,6

13,8

Serbien

7,4

3,6

9,6

Türkei

11,0

2,7

70,0

Zypern

5,5

2,3

8,6

*) PrognoseQuelle: Statistikämter der jeweiligen Länder 2022; EU-Kommission, Frühjahrsprognose 2022; Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) 2022

Risiken in der Türkei nehmen zu

Einen Sonderfall bildet - nicht nur geografisch und politisch - die Türkei. Das kräftige Wirtschaftswachstum des Vorjahres wird 2022 spürbar nachlassen. Die türkische Regierung strebt mit einer Niedrigzinspolitik ein starkes, kurzfristiges Wachstum an, das mit hohen Finanz- und Wirtschaftsrisiken einhergeht. Doch die Inflation ist horrend und die Währung hat stark an Wert verloren. Die Auslandsschulden der Unternehmen und des Staates geben Anlass zur Sorge. Die Währungsreserven sind niedrig und die Banken verfügen über geringe Einlagen. Die Arbeitslosigkeit ist dagegen hoch. Gleichzeitig nehmen die geo- und innenpolitischen Spannungen zu. Deviseneinnahmen aus dem wieder steigenden Tourismus stützen die Konjunktur. Die schwache Währung verbessert die internationale Wettbewerbsposition türkischer Anbieter. 

Westbalkan hält sich gut

Wirtschaftlich stehen die Westbalkanländer mit prognostizierten Wachstumsraten zwischen 2 und 4 Prozent recht gut dar. Ihre wirtschaftliche Entwicklung hängt stark von der Konjunktur in der EU ab, die einen Großteil der Ausfuhren abnimmt. Beispielsweise gehen zwei Drittel aller serbischen Exporte in die EU. Für Serbien wird 2022 ein reales Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent erwartet. Das Land hatte die Coronapandemie solide gemeistert und bereits 2021 das Vorkrisenniveau übertroffen. Serbien setzt auf einen politischen Sonderweg und beteiligt sich nicht an den Sanktionen und setzt bei Rohstofflieferungen weiter auf Russland. 

In Bosnien und Herzegowina dürfte ein BIP-Zuwachs von rund 2 Prozent zu erwarten sein. Der Privatkonsum und starke Exporte halten die Wirtschaft auf Kurs. Dem gegenüber steht die schwerste politische Krise seit den 1990er Jahren. Die Republika Srpska, eine der beiden Entitäten, droht mit der Abspaltung vom Gesamtstaat.

Nordmazedonien rechnet mit einem Wirtschaftswachstum um etwa 2,5 Prozent. Die Entwicklung in Albanien und Montenegro ist mit einem großen Fragezeichen versehen und hängt wesentlich von der erhofften Rückkehr der Touristen ab. Der Kosovo dürfte sich ähnlich wie die gesamte Region entwickeln. Im Schnitt erwartet das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche für den Westbalkan 2022 ein reales Plus von 3,1 Prozent.  

Wirtschafts- und Investitionsplan der EU für den Westbalkan

Die EU unterstützt den Westbalkan mit Vorbeitrittshilfen massiv: Zwischen 2021 und 2027 sollen bis zu 9 Milliarden Euro in die Region fließen und Investitionen bis zu 20 Milliarden Euro (sogenannte Westbalkan Guarantee Facility) abgesichert werden. Die Finanzmittel (IPA-Funds, Instrument for Pre-Accession Assistance) unterstützen die Staaten in Südosteuropa auf ihrem Weg zum EU-Beitritt.

Zusätzliche wirtschaftliche Chancen liegen für Südosteuropa vor allem in Lieferkettenverlagerungen westlicher Firmen, weg aus Russland, der Ukraine und China hinein in die Region.

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