Mehr zu:
IndienE-Commerce / Digitale Wirtschaft
Branchen
Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?
Branchen | Indien | E-Commerce
Die Coronakrise sorgt für zusätzlichen Schub im indischen Onlinehandel. Besonders vielversprechend ist die Lebensmittelsparte. Der Wettbewerb um Neukunden verschärft sich.
01.02.2021
Von Boris Alex | New Delhi
Während in vielen Ländern die E-Commerce-Branche in der Coronakrise boomte, blieb der Onlinehandel in Indien deutlich hinter den Erwartungen zurück. So legten die Umsätze 2020 nur um knapp 8 Prozent auf 33 Milliarden US-Dollar (US$) zu, so eine Analyse von Forrester Research. In den beiden Jahren zuvor verzeichnete die Branche noch Zuwächse von jeweils 20 Prozent. Das schwache Ergebnis war in erster Linie dem Lockdown in der ersten Jahreshälfte 2020 geschuldet, da die Händler in den drei Monaten nur lebensnotwendige Güter verkaufen durften. Hinzu kamen Probleme bei der Logistik, so dass die wachsende Nachfrage vor allem nach Nahrungsmitteln nicht bedient werden konnte.
Im 2. Halbjahr 2020 hat der Onlinehandel allerdings deutlich Fahrt aufgenommen, denn obwohl der stationäre Einzelhandel inzwischen wieder ohne Einschränkungen geöffnet ist, entscheiden sich immer mehr Menschen für den Kauf über das Internet. Der Schub für den E-Commerce-Sektor kommt also etwas zeitverzögert, dürfte dafür allerdings nachhaltig sein, so die Einschätzung von Forrester Research. Denn der Onlineeinkauf wächst rasant: Bis 2025 könnte die Anzahl der Shopper auf 350 Millionen zulegen, mehr als doppelt so viele wie noch 2020. Damit würde die Hälfte der Internetnutzer auch Onlinekäufe tätigen, derzeit sind es nur 15 Prozent.
Angesichts dieser Entwicklung sind auch die Absatzprognosen im Onlinehandel optimistisch. Die E-Commerce-Umsätze sollen sich bis 2025 auf 120 Milliarden US$ mehr als verdreifachen, schätzt Invest India. Der Anteil am organisierten Einzelhandelsumsatz würde sich dadurch auf 11 Prozent verdoppeln, so die staatliche Investitionsbehörde weiter. Der Onlinehandel ist damit auch der größte Wachstumstreiber für die indische Internetwirtschaft, deren Marktvolumen für 2020 auf rund 250 Milliarden US$ geschätzt wird. Der Anteil des E-Commerce liegt derzeit bei 13 Prozent und würde in den nächsten fünf Jahren auf fast 40 Prozent zulegen, so die Analyse der Indian Brand Equity Foundation (ibef).
Das größte Geschäft erzielen die Onlinehändler mit Unterhaltungselektronik und Bekleidung, auf die jeweils rund 40 Prozent des gesamten E-Commerce-Umsatzes entfallen. Der Verkauf von Nahrungsmitteln über das Internet liegt mit einem Anteil von 7 Prozent im Jahr 2020 auf Platz drei, bietet allerdings künftig das größte Wachstumspotenzial, so die Einschätzung des Marktforschers RedSeer. Bis 2024 soll der Umsatz in diesem Segment im Schnitt um fast 60 Prozent pro Jahr auf gut 18 Milliarden US$ zulegen.
Während des mehrwöchigen Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 haben Millionen indischer Haushalte - vor allem in den Großstädten - erstmals Lebensmittel online bestellt und damit etablierten Anbietern wie Big Basket, Grofers oder Nature's Basket enorme Umsatzzuwächse beschert. Gleichzeitig haben Plattformen wie Amazon und das indische Pendant Flipkart, dessen größter Anteilseigner der US-Handelskonzern Walmart ist, ihr Warenangebot und ihre Dienstleistungen in diesem Segment ausgebaut. Amazon Pantry ist inzwischen in 300 indischen Städten aktiv und hat damit in kürzester Zeit eine weitaus größere Reichweite erzielt als die originären Anbieter Big Basket und Grofers, die nur rund 30 Städte bedienen.
Das Potenzial im Online-Lebensmittelhandel haben auch die indischen Konzerne erkannt und versuchen, auf den Zug aufzuspringen. Reliance Industries hat mit dem Know-how seiner beiden Tochterfirmen Reliance Retail (Einzelhandel) und Jio Platforms (Internet und Telekommunikation) den Online-Supermarkt JioMart gestartet und beliefert inzwischen 200 Städte mit Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Bedarfs. Der indische Mischkonzern Tata Group will für 1,2 Milliarden US$ einen Anteil von 60 Prozent an Big Basket erwerben und damit den chinesischen Technologiekonzern Alibaba als größten Investor ablösen. Der Wettbewerb im indischen Online-Lebensmittelhandel wird sich mit dem Einstieg von Tata und Reliance weiter verschärfen, schätzt die Investmentbank JP Morgan.
Das gilt auch für die E-Commerce-Branche insgesamt. Denn trotz wachsender Umsätze häufen führende Onlinehändler wie Amazon, Flipkart oder Myntra (Bekleidung) immer größere Verluste an. Die Unternehmen befinden sich noch in der Phase, in der sie Neukunden akquirieren sowie in neue Geschäftsmodelle und IT- und Logistikinfrastruktur investieren müssen. Amazon hatte Anfang 2020 angekündigt, insgesamt 5,5 Milliarden US$ in seine Indienaktivitäten zu pumpen. Damit sollen unter anderem 10 Millionen Kleinunternehmen als Nutzer der Business-Plattform Amazon Marketplace gewonnen werden, Ende 2020 waren es rund 1 Millionen Firmen, die hierüber ihre Waren anbieten. Das Unternehmen will zudem zehn Logistikzentren im ganzen Land errichten.
Den nächsten Wachstumsschub erwartet die Branche außerhalb der Ballungszentren und Großstädte. Doch um Neukunden in den Tier-2- und Tier-3-Städten mit ihren 20.000 bis 100.000 Einwohnern zu gewinnen, müssen sich die Onlinefirmen an die dortigen Bedingungen anpassen. So gehen 90 Prozent der Internetnutzer in den ländlichen Regionen ausschließlich mit ihren Smartphones ins Netz. Eine mobile App zum Shoppen und Bezahlen ist daher wichtige Voraussetzung, um diese Kunden anzusprechen. Zudem sollten die Dienste in den jeweiligen lokalen Sprachen angeboten werden, da in den kleineren Städten Englisch weniger verbreitet ist. Um eine noch breitere Käuferschicht anzusprechen, sollen die Apps in einem nächsten Schritt zusätzlich über Sprachsteuerung bedienbar sein.