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Das Abkommen zu den Wirtschaftsbeziehungen der Europäischen Union mit dem Vereinigten Königreich vermeidet Zölle. Dennoch drohen britischen Anbietern Marktanteilsverluste.
06.01.2021
Von Torsten Pauly | Berlin
Obwohl Nordirland im Binnenmarkt der Europäischen Union (EU) bleibt, sind die Auswirkungen des Brexits auf die Wirtschaft der Republik Irland erheblich. Der Grund: Trotz des an Heiligabend 2020 geschlossenen Freihandelsabkommens bilden die Europäische Union und das Vereinigte Königreich künftig zwei getrennte Märkte, Regulierungs- und Rechtsräume. Damit entstehen Hindernisse für den Handel mit Waren und Dienstleistungen.
So werden Anfang 2021 Grenzkontrollen zwischen Großbritannien und den EU-Staaten obligatorisch. Welche gravierenden Behinderungen dies für den Warenverkehr mit sich bringen kann, haben die vorweihnachtlichen Einschränkungen wegen der Coronapandemie gezeigt.
Zudem gelten Veterinär-, Gesundheits- und andere Zertifizierungen nicht mehr automatisch sowohl im EU-Binnenmarkt als auch im Vereinigten Königreich. Dies kann zum Beispiel den Handel mit Agrar- oder Gesundheitsprodukten beeinträchtigen. Gerade bei diesen Gütern ist der irisch-britische Warenaustausch jedoch hoch.
Durch den erhöhten administrativen und logistischen Aufwand dürften britische Produkte in der EU an Bedeutung verlieren. Künftig könnten irische Einkäufer britische durch deutsche Importe ersetzen. Und auch deutsche Kunden können Waren aus dem Vereinigten Königreich gegen solche aus Irland austauschen. Dieses Potenzial zeigt eine Studie im Auftrag der Deutsch-Irischen Industrie- und Handelskammer (AHK) auf.
Deren Geschäftsführer Ralf Lissek betont, dass sich britische Produkte in vielen Warengruppen auch ohne Zölle der Welthandelsorganisation gegenüber irischen und deutschen Angeboten verteuern werden. „Dies kann die Nachteile mehr als aufwiegen, die dadurch entstehen, dass die direkten Transportwege zwischen Deutschland und Irland länger sind als die jeweiligen Verbindungen mit dem Vereinigten Königreich. Wir haben unser AHK-Beratungsangebot angepasst, um Unternehmen beim Markteintritt in Deutschland und Irland gerade unter Brexitbedingungen zu unterstützen.“
Insbesondere der intensive irisch-britische Handel mit Agrarerzeugnissen droht sich durch die neuen Regelungen zu erschweren und zu verringern. Irland ist aufgrund des Klimas und der hohen Bedeutung der extensiven Weidewirtschaft bei vielen Lebensmitteln von Importen abhängig; 2019 kamen diese Einfuhren zu 55 Prozent aus dem Vereinigten Königreich. Dies liegt auch an der Struktur des Einzelhandels: Ende 2020 hatte die britische Supermarktkette Tesco einen Marktanteil von 21,5 Prozent. Aber auch auf die deutschen Discounter Lidl und Aldi entfielen 12,5 Prozent beziehungsweise 12 Prozent des Umsatzes.
Segment (SITC-Position) | Wert (in Mrd. Euro) | Anteil am weltweiten Import (in %) |
---|---|---|
Insgesamt, darunter | 4.773 | 54,8 |
Getreide (04) | 779 | 61,2 |
Milch, Milcherzeugnisse (02) | 620 | 71,7 |
Gemüse, Früchte (05) | 539 | 40,5 |
Getränke (11) | 522 | 56,8 |
Für die irischen Anbieter von Nahrungsmitteln und Getränken ist das Vereinigte Königreich zudem der wichtigste Auslandsmarkt. Dabei hat die Erzeugung und Verarbeitung von Agrarerzeugnissen gerade für Irlands oftmals immer noch strukturschwachen ländlichen Raum große Bedeutung. Bereits seit dem Brexit-Referendum Mitte 2016 forcieren die Exporteure daher die Erschließung neuer Märkte und erhalten dabei umfangreiche Unterstützung von öffentlichen Agenturen und Verbänden. Dabei kommt Deutschland eine Schlüsselrolle zu.
Segment (SITC-Position) | Wert (in Mrd. Euro) | Anteil am weltweiten Export (in %) |
---|---|---|
Insgesamt, darunter | 4.967 | 37,1 |
Fleisch, Fleischerzeugnisse (01) | 1.750 | 45,2 |
Milch, Milcherzeugnisse (02) | 884 | 29,0 |
Getreide (04) | 500 | 93,3 |
Lebende Tiere (00) | 340 | 74,8 |
Nicht nur der Handel von Ursprungswaren mit dem Vereinigten Königreich ist durch dessen Austritt aus dem EU-Binnenmarkt unter Druck. Auch britische Zwischenhändler, die in Irland in vielen Segmenten traditionell bedeutend sind, können durch den Vollzug des Brexit gegenüber Lieferanten aus der EU erheblich verlieren.
Ein Beispiel hierfür sind Maschinen und Anlagen, welche Irland fast ausschließlich aus dem Ausland bezieht. Die entsprechenden Einfuhren kamen 2019 zu 29,1 Prozent über das Vereinigte Königreich nach Irland, obwohl dort kaum noch eine nennenswerte Fertigung existiert. Der deutsche Importanteil war dagegen mit 12,6 Prozent gering. In Zukunft erscheinen jedoch deutlich steigende Direktlieferungen möglich.
Für einen anziehenden deutsch-irischen Direkthandel bedarf es jedoch auch einer Umorientierung der Lieferrouten. Zuletzt war ein Lkw zwischen Irland und Kontinentaleuropa mit Fähren über die Irische- und die Nordsee sowie einer Fahrt über die britische Insel doppelt so schnell unterwegs wie mit einer direkten Schiffsverbindung durch den Ärmelkanal. Daher nahmen 2016 noch 31 Prozent das Außenhandels zwischen Irland und den kontinentalen EU-Staaten den Weg durch Großbritannien. Dies hat das Irische Amt für maritime Entwicklung berechnet.
Grenzkontrollen und weitere Verwaltungshürden beeinträchtigen diesen Transit jedoch zukünftig, deshalb werden mehr direkte Schiffsverbindungen mit Deutschland und anderen kontinentalen Häfen gebraucht. Für Lebensmittel und andere leicht verderbliche Güter bedeuten die unvermeidlichen Verzögerungen jedoch Herausforderungen, etwa für die Kühlketten.
Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat das Vereinigte Königreich als Wirtschaftspartner für irische Unternehmen stetig an Bedeutung verloren. So hat Irland 2019 noch 16,7 Prozent seines Außenhandels mit dem Vereinigten Königreich abgewickelt. Zwanzig Jahre zuvor waren es 28,2 Prozent.
Der britische Anteil am irischen Bestand an ausländischen Direktinvestitionen hat sich zwischen 2004 und 2019 sogar von 15,3 auf 7,6 Prozent halbiert. Im Gegenzug ist die Quote der USA in diesem Zeitraum von 7 auf 32,3 Prozent gestiegen. Viele US-amerikanische Konzerne produzieren in Irland Waren und Dienstleistungen für den Weltmarkt. Aus Steuergründen ist deren Kapital in der Vergangenheit oft auch über die Niederlande und Offshore-Zentren geflossen. Der deutsche Anteil am irischen Bestand an ausländischen Direktinvestitionen betrug 2019 nur 0,7 Prozent.