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Wirtschaftsumfeld | Palästinensische Gebiete | Industrie
Trotz israelischer Einschränkungen und Corona setzt die palästinensische Regierung auf wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Bessere Kommunikationsinfrastruktur ist unabdingbar.
29.01.2021
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Im Jahr 2020 wurde die palästinensische Industrie doppelt in Mitleidenschaft gezogen. Zusätzlich zu den von Israel verhängten Einschränkungen der palästinensischen Wirtschaftstätigkeit hatte - und hat - das verarbeitende Gewerbe unter der Corona-Pandemie zu leiden.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums (Ministry of National Economy) brach die Industrieproduktion vor allem in den ersten Monaten der Coronakrise ein. In der zweiten Jahreshälfte sei es zwar zu einer Erholung gekommen, doch habe diese die Krisenverluste nicht ganz ausgleichen können.
Dennoch gingen die Bemühungen um die Stärkung und Entwicklung der Industrie auch im Krisenjahr 2020 weiter. Unter anderem wies das Wirtschaftsministerium auf ein Hilfsprogramm für palästinensische Industriezonen hin, für das die Europäische Union 9 Millionen Euro zur Verfügung stellte, und auf ein von der kanadischen Regierung mit 38 Millionen kanadische Dollar finanziertes Programm. Im Rahmen des kanadischen Programms wurden Maßnahmen zum ökonomischen Empowerment von Frauen und zur Unterstützung mittelgroßer, kleiner und kleinster Unternehmen abgewickelt. Ferner wurde mithilfe japanischer Fördermittel ein Modedesign-Center eröffnet.
Angesichts der Großzahl kleiner Industriebetriebe ist deren Förderung von weitreichender gesamtwirtschaftlicher Bedeutung und wird auch 2021 fortgesetzt. Im Januar 2021 gab der palästinensische Investitionsfonds (Palestinian Investment Fund) den Beginn der zweiten Phase des „Esnad“-Förderprogramms bekannt. Das Programm wurde als Reaktion auf die Coronakrise ins Leben gerufen und sieht insgesamt Fördermittel von 25 Millionen US-Dollar für Klein- und Kleinstunternehmen vor.
In der längeren Frist indessen verfolgt die Palästinensische Nationalbehörde (Palestinian National Authority -PNA) eine weitaus ehrgeizigere Strategie und hält an ihr trotz Coronakrise fest. Im September 2020 legte das Wirtschaftsministerium eine aktualisierte Fassung des strategischen Wirtschaftsentwicklungsprogramms vor, in dem die Industrie eine entscheidende Rolle spielt. Wie das Wirtschaftsressort dabei erklärte, sei die Industrialisierung das „Rückgrat der Wirtschaftsentwicklung“.
Das Strategieprogramm verfolgt vier Ziele. Das erste ist die Schaffung einer unabhängigen palästinensischen Wirtschaft, die sich von der Abhängigkeit der israelischen Wirtschaft lösen und durch Exporte in andere Länder eine festere Position in der Weltwirtschaft erlangen soll. Zweites Ziel ist ein wirtschaftlich förderliches und für Investoren attraktives Umfeld. Dazu gehören insbesondere eine geschäftsfreundliche Regulation und die Bereitstellung angemessener Infrastruktur.
Als drittes Ziel bezeichnet das Strategieprogramm eine innovative und wettbewerbsfähige Industrie, wobei auch kleinere Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern sollen. Ein Schlüsselelement ist die Schaffung regionaler Industriecluster.
Ferner sollen palästinensische Industrieerzeugnisse einen höheren Marktanteil auf dem einheimischen Markt erlangen und stärker auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. Letzteres ist für die industrielle Entwicklung besonders wichtig, weil die palästinensische Wirtschaft gegenwärtig kaum Warenexporte in andere Länder als Israel tätigt. Nach den jüngsten verfügbaren Angaben betrug die palästinensische Warenausfuhr in Länder außerhalb Israels 2018 lediglich 188 Millionen US-Dollar (US$). Das entsprach gerade mal 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Um das technologische Niveau des verarbeitenden Gewerbes zu steigern, will die Regierung laut dem Strategieplan industrielle Innovationen fördern, auf ein höheres Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte hinwirken und dadurch die Produktivität steigern. Auch hierbei gilt besonderes Augenmerk der Förderung kleinerer Unternehmen und der Integration von Frauen und jungen Menschen ins Arbeitsleben.
Als viertes Ziel definiert das strategische Programm einen regulierten Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Dazu sollen entsprechende Bestimmungen erarbeitet werden.
Bei der anvisierten Modernisierung der palästinensischen Industrie wird auch deren Branchenstruktur zu berücksichtigen sein. Gegenwärtig konzentriert sich die Industrieproduktion hauptsächlich auf traditionelle Branchen wie die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Schuh- und Lederindustrie, die Möbelindustrie sowie die Nahrungsmittelindustrie. Zwar spielen auch die Kunststoff- und die Pharmaindustrie eine bedeutende Rolle, doch ist der Hightechsektor bisher kein Akteur von quantitativ entscheidender Bedeutung. Das zu ändern, wäre ein großer Schritt auf dem Weg zu einer modernen und unabhängigen Wirtschaft.
Eine Möglichkeit zu einem technologischen Sprung nach vorn sieht die PNA in der Entwicklung der Digitalwirtschaft. Allerdings werde dies in der Praxis durch die israelische Kontrolle des 4G- und 5G-Spektrums verhindert. In einem im Januar 2021 an die internationale Gemeinschaft und an die Geberländer gerichteten Schreiben beklagte die PNA, Israel verhindere die Nutzung von Breitbandfrequenzen in den Palästinensischen Gebieten: In der Westbank werde ein 3G-Netz genutzt, während der Gazastreifen sogar nur auf ein 2G-Netz Zugriff habe.
Demgegenüber erlaube es Israel, seinen Telekommunikationsunternehmen, 4G- und 5G-Dienste palästinensischen Verbrauchern anzubieten. Das sei nicht nur illegal, stelle unfaire Konkurrenz dar und führe zu steuerlichen Einbußen für die PNA. Vielmehr müssten die Palästinensischen Gebiete, wie jede andere Nation, ihren wachsenden Breitbandbedarf decken, um den Übergang zum Digitalzeitalter zu ermöglichen. Die Palästinenser verfügten über alle erforderlichen Voraussetzungen - Know-how ebenso wie eine hohe Internet-Durchdringungsrate -, um einen schnellen Sprung in die App-Economy zu schaffen.