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Wirtschaftsumfeld | Israel | Neuwahlen und Wirtschaft

Wiederholte Neuwahlen behindern Israels Wirtschaft

In Israel steht die fünfte Parlamentswahl seit 2019 ins Haus. Die Wirtschaftslage ist stabil, doch erschwert die politische Dauerkrise wichtige Weichenstellungen.

Von Wladimir Struminski | Jerusalem

Am 1. November dieses Jahres gehen die Israelis wieder zur Wahlurne. Nach nur einjähriger Amtszeit verlor die aus acht zum Teil höchst unterschiedlichen Parteien zusammengesetzte Regierungskoalition von Premier Naftali Bennett ihre parlamentarische Mehrheit. Deshalb beschloss die Knesset (Parlament) am 30. Juni 2022 ihre Selbstauflösung. Bis zur Vereidigung einer neuen Regierung führt das jetzige Kabinett unter der Führung des bisherigen Außenministers Jair Lapid die Amtsgeschäfte kommissarisch weiter.

Außenhandelsregime bleibt liberal

Wirtschaftspolitische Umbrüche sind nach der Wahl nicht zu erwarten. Alle denkbaren Koalitionen sind marktwirtschaftlich orientiert.

Auch für Israels ausländische Geschäftspartner dürfte sich durch die Wahlen nichts Nennenswertes ändern. Das liberale Außenhandelsregime ist parteipolitisch unumstritten und darüber hinaus durch internationale Abkommen fest verankert. An dem umfassenden, von der ausgehenden Regierung Anfang Juni 2022 in die Wege geleiteten Programm der Importerleichterungen wird ebenfalls kaum gerüttelt werden. Investitionen aus dem Ausland bleiben willkommen.

Wirtschaft hat sich stabilisiert

Die nächste Regierung wird stabile ökonomische Verhältnisse erben. Mit einem realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um real 8,2 Prozent für 2021 ist die Wirtschaft nach dem Krisenjahr 2020 zum Wachstumspfad zurückgekehrt.

Auch für 2022 und 2023 sind die Prognosen der Zentralbank mit einem Plus von 5,5 beziehungsweise 4 Prozent Wachstum positiv. Die Staatsfinanzen sind stabil. Die Staatsverschuldung wird wieder abgebaut. Ende 2021 lag sie bei 68,8 Prozent des BIP und könnte 2022 weiter sinken.

Die Hightech-Flaute, die sich in Israel abzeichnet, hängt nicht mit der israelischen Binnenwirtschaft, sondern mit der internationalen Wirtschaftslage und Kapitalmarktentwicklung zusammen. Sie stellt zudem zwar einen Dämpfer, aber keine existenzielle Bedrohung für Israels Hochtechnologie dar.

Unstrittig ist auch die jüngst getroffene Vereinbarung über Exporte von israelischem Erdgas über Ägypten nach Europa. Gasexporte nach Übersee gelten parteiübergreifend als ein wichtiges Ziel der israelischen Wirtschaftspolitik.

Die Personalie Netanjahu im Mittelpunkt der Krise

Die Neuwahlen bergen aber auch Risiken, vor allem für die längerfristige Wirtschaftsentwicklung, indem sie die bereits seit 2019 anhaltende politische Labilität des Landes fortzusetzen drohen. Im Mittelpunkt der Krise steht die Person des langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der sich bei den jetzt wieder anstehenden Wahlen Chancen ausrechnet. 

Im Jahr 2017 nahm die Polizei wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit, Betrug und Vertrauensbruch in drei verschiedenen Fällen Ermittlungen gegen Netanjahu auf. Anfang 2020 wurde gegen ihn Anklage erhoben. Ein Ende des Gerichtsverfahrens liegt noch in der Ferne.

Gegner von Netanjahu, darunter auch solche vom rechten Teil des politischen Spektrums, die ihm ideologisch an sich nahestehen, sprechen ihm die Fähigkeit ab, als Angeklagter die Regierungsgeschäfte zu führen. Auf der anderen Seite hat er eine Wählerbasis, die praktisch vorbehaltlos zu ihm steht. Unter diesen Umständen fanden in Israel zwischen 1999 und 2021 vier Parlamentswahlen statt, die jeweils keine stabile Regierung hervorbringen konnten.

Politische Lähmung behindert Wirtschaftspolitik

In der Amtszeit von Netanjahu wurden langfristige Weichenstellungen durch die Wirtschaftspolitik behindert, nicht zuletzt, weil die Regierung keinen parlamentarisch beschlossenen Haushalt hatte und mit einem Nothaushalt auskommen musste. Im Juni 2021 wurde Netanjahu von der Knesset zugunsten von Naftali Bennett abgewählt, dessen Koalition nun aber gescheitert ist. Somit werden die Wahlen Anfang November 2022 die fünften innerhalb von dreieinhalb Jahren sein, und auch sie drohen in einer Pattsituation zu enden.

Damit könnte eine langfristig angelegte Wirtschaftspolitik noch für einige Zeit auf Hindernisse stoßen. Das ist ein ernstes Risiko, weil Israels Wirtschaft vor großen Herausforderungen steht. Ein Beispiel ist die akute Wohnungsbaukrise. Wegen eines Wohnraummangels und ungenügender Bautätigkeit sind die Wohnungspreise allein wegen des letzten Jahres um 16 Prozent gestiegen. Das hat weitreichende wirtschaftliche und soziale Konsequenzen. Die bisherigen Versuche, das Problem grundlegend zu lösen, sind nicht zuletzt wegen der häufigen Wahlen gescheitert.

Ein weiteres Problemfeld ist der Übergang zu erneuerbaren Energien. Eigentlich sollen diese laut Regierungsvorgabe bis 2030 einen 30-Prozent-Anteil an der gesamten Stromerzeugung erzielen, doch verläuft ihre Entwicklung bisher langsamer als geplant. Da ein Erfolg der erneuerbaren Energien nicht zuletzt von energiepolitischen Weichenstellungen abhängt, könnte ein anhaltendes politisches Patt die Entwicklung dieses Sektors weiter in die Länge ziehen.

Zwei Beispiele für wichtige Vorhaben, die durch die Neuwahlen verzögert werden, sind das Klimagesetz, mit dem die Bekämpfung des Klimawandels vorangebracht werden soll, und das sogenannte Metro-Gesetz, das wichtige gesetzliche Grundlagen für den Bau eines U-Bahnnetzes im Tel Aviver Ballungsraum und dessen Anrainerregionen schaffen würde. Wegen der Auflösung der Knesset wurde die Verabschiedung dieser beiden Gesetze erst einmal verhindert.

Auf die neue Regierung warten wichtige Aufgaben

Generell muss Israel den Ausbau seiner Infrastruktur rasch fördern. Das gilt auch für die Erhöhung der Produktivität im verarbeitenden Gewerbe und eine Erhöhung der Teilnahme großer Bevölkerungsgruppen am Arbeitsleben. 

Auch diese Ziele geraten in Gefahr, wenn nicht bald politische Stabilität einkehrt. Deshalb werden die kommenden Wahlen, auch wenn die Wirtschaftspolitik kein zentrales Wahlkampfthema ist, für die Wirtschaftsentwicklung des Landes im weiteren Verlauf dieses Jahrzehnts von großer Bedeutung sein.


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