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Branchen | Italien | Chemische Industrie

Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie

Italien entwickelt biobasierte Rohstoffe, erweitert die Kreislaufwirtschaft und wandelt alte Chemieanlagen in Bioraffinerien um.  

Von Oliver Döhne | Mailand

Wichtiger Akteur im Klimaschutz

Mehr als die Hälfte der chemischen Unternehmen Italiens hat bereits in Umweltfreundlichkeit investiert, anteilsmäßig mehr als in alle anderen Industriebranchen. Das ergab die Studie Greenitaly 2021 der Stiftung Symbola. Als sehr energieintensive Branche ist die chemische Industrie nun auch bei der Regierung in den Mittelpunkt von Aktionen der Energieeinsparung gerückt. Veraltete Chemieanlagen sollen zu modernen, umweltorientierten Bioraffinerien werden, nachhaltig betrieben und umweltverträgliche Rohstoffe produzieren. 

Vorreiter bei grünen Verpackungen

Biobasierte Rohstoffe werden in Italien zunehmend gefragt als umweltverträgliches Verpackungsmaterial, als industrieller Schmierstoff, als Bioherbizid in der Landwirtschaft, als mikroplastikfreier Inhaltsstoff der Kosmetikindustrie sowie als Brenn- und Kraftstoff. Als großer Produzent von Lebensmitteln, Kosmetika und Medikamenten stehen umweltverträglich produzierte sowie biologisch abbaubare Verpackungen im Fokus. Die geplante Plastiksteuer kommt 2023 und auch das teilweise Verbot von Einmalplastikartikeln ist für Europas größten Hersteller von Einmalbesteck- und -geschirr eine Herausforderung. Ein wichtiger einheimischer Player ist das Unternehmen Novamont aus Novara im Piemont, das kompostierbare Biopolyester-Körner produziert. Aus diesen macht dann der Partner Ticinoplast unter anderem Frischhaltefolien für Lebensmittel, die vom Unternehmen Saes mittels einer biologisch abbaubaren Barrierebeschichtung wasser- und luftdicht gemacht werden und mit Produkten der Firma Sacchital mit Papierkomponenten kombiniert werden.

Weitere italienische Akteure bei nachhaltigen Verpackungen sind unter anderem Polycart (abbaubare Folien und Etikette) und ICSS (biobasierte Kunststoffe auf Basis von Polymilchsäure). Bei umweltverträglichem Einwegbesteck sind unter anderem IMB, ILIP und Ecozema aktiv. Das Unternehmen Sabiomaterials besitzt die Technologie zur Umwandlung von Agrarabfällen in Biopolyester mittels Mikroorganismen und beliefert sogar namhafte Produzenten von Designobjekten und -einrichtung wie Guzzini und Kartell.

Biopestizide, mikroplastikfreie Kosmetika und Bioraffinerien

Bei den Schmierstoffen, die unter anderem in der Textil-, Papier- Metall-, Agrar- und Pharmaindustrie benötigt werden, begann Novamont 2016 in Venetien die weltweit erste industrielle Produktionsanlage von Bio-Butandiol, basierend auf Zuckerfermentation. Im sardischen Chemiecluster Porbto Torres baute Novamont gemeinsam mit Italiens größten Chemiekonzern Versalis eine traditionelle Raffinerie in eine Bioraffinerie um, betrieben mit Solarenergie. Bislang erfolgt der Einsatz erneuerbarer Energieträger in der Chemiebranche nur im Rahmen von Pilotprojekten. Wo in chemischen Produktionsprozessen Wasserstoff zum Einsatz kommt, handelt es sich meist um grauen, aus Erdgas erzeugten.

In den umweltbewussten meist kleineren Agrarbetrieben besteht zunehmende Nachfrage nach umweltverträglichen Pflanzenschutzmitteln und natürlichen Düngern, woran unter anderem in einem Entwicklungszentrum in Sesto Fiorentino in der Toskana geforscht wird. Erste Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln auf Basis von Pelargonsäure sind bei der Proseccoproduktion in Venetien erfolgt. Der Düngemittelverband Assofertilizanti strebt an, ein Viertel der italienischen Agrarfläche biologisch zu bewirtschaften und den Phosphoreinsatz bis 2030 um die Hälfte zurückzufahren. Ein weiteres interessantes Feld in Italien ist hier der Tabakanbau. Agrarabfälle will Italien künftig stärker für Biomethan, Düngung etc. nutzen. In der Kosmetikproduktion ist unter anderem das Unternehmen Roelmi in Kooperation mit Novamont aktiv, Körperpflegeartikel ohne Mikroplastik zu entwickeln. 

Nextchem, die Umwelttochter des Mailänder Engineeringkonzern Maire Tecnimont, entwickelt Anlagen, in denen bislang ungenutzte Plastikreste wieder zu Vorprodukten der chemischen Industrie werden und damit Neuware ersetzen können. Das geschieht durch eine chemische Konversion der Grundmoleküle Kohlenstoff und Wasserstoff in synthetisches Gas und in der Folge zu chemischen Produkten. Nextchem produzierte zudem grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien und ist in Kooperation mit dem brasilianischen Unternehmen GranBio in der Produktion von Biodiesel aus Zelluloseabfällen aktiv. Im piemontesischen Crescentino produziert ENI-Versalis Bioethanol aus Zellulose und forscht an einem kompletten Sortiment an erneuerbaren Produkten aus Fermentierung, darunter Bioöle und vollständig biologisch abbaubare Polymere (PHA). In Porto Marghera soll eine Waste-to-Fuel-Anlage entstehen. Im sizilianischen Gela betreibt ENI-Versalis die modernste Bioraffinerie Europas. 

Viel Recycling, wenig Energie

Italien produzierte 2018 rund 2,6 Millionen Tonnen chemische Abfälle, davon rund 1,8 Millionen Tonnen Sonderabfälle. Rund 624.500 Tonnen chemischer Abfälle wurden einer Behandlung unterzogen, davon wurden 72,8 Prozent recycelt, 22,3 Prozent ohne Energiegewinnung und 1,8 Prozent mit Energiegewinnung verbrannt, 3 Prozent gingen auf Deponien. Als Wiederverwender von recycelten Materialien ist die chemische Industrie für lediglich 4 Prozent der bereitstehenden Menge im Land verantwortlich. 

Konkrete Ziele in der Bioökonomie und -chemie sowie den aktualisierten Nationalen Klima- und Umweltplan will Italien im Laufe des Jahres 2022 präsentieren. Vorschläge enthält ein Aktionsplan 2020-2025. Wichtige Akteure in der öffentlichen Forschung und Entwicklung sind der Forschungsrat für die Agrarforschung CREA sowie der Nationale Forschungsrat für neue Technologien, Energie und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ENEA. Im Förderfokus stehen das europäische Kohäsionsprogramm. Auf nationaler Ebene stehen Steuergutschriften für Forschung- und Entwicklung neuer Technologie im Rahmen der Industrie 4.0-Förderung bereit. Durch den Recovery Fund fließen umfangreiche Mittel in die Kreislaufwirtschaft und Dekarbonisierung. 

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