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Die Toskana warb 2020 über 1,4 Milliarden Euro Direktinvestitionen an. Gründe für diesen Erfolg sind der Innovationsgeist und die industrielle Erfahrung in der Region.
28.01.2021
Von Oliver Döhne | Mailand
Die Toskana ist mehr als eine Kultur- und Tourismushochburg. Auch als Industriestandort, Ziel ausländischer Direktinvestitionen und Absatzregion spielt die Region eine zunehmende Rolle.
Mit rund 120 Milliarden Euro erwirtschaftet die Toskana etwa 6,6 Prozent des italienischen Bruttoinlandsproduktes. Schwerpunkt der verarbeitenden Wirtschaft sind die Mode- und Lederindustrie, die Life Science-Industrie und die Digitalwirtschaft. Hinzu kommen die Informations- und Telekommunikationstechnologie, der Yachtbau, die Agrar- und Ernährungswirtschaft und das Transportwesen sowie das Thema Mobilität.
Nach Angaben der Investitionsförderagentur Invest in Tuscany zieht nur die Lombardei wertmäßig mehr Direktinvestitionen an. Sogar im Coronajahr 2020 investierten ausländische Firmen in der Toskana rund 1,4 Milliarden Euro in 69 Projekte. Etwa 15 Prozent der Direktinvestitionen fließen in die verarbeitende Industrie. Neben französischen und US-amerikanischen Unternehmen sind auch deutsche Firmen aktiv. Rund 72 deutsche Tochtergesellschaften setzen im Jahr 2020 etwa 1,7 Milliarden Euro um und beschäftigen etwa 6.000 Personen. Knorr Bremse beliefert beispielsweise von Florenz aus das Hitachi-Werk in Pistoia mit Bremssystemen für Züge. Ende 2020 bekam Knorr Bremse von Hitachi einen neuen Auftrag für die Bestückung von bis zu 135 neuen Diesel-Elektro-Hybridzügen. "In der Toskana wird sehr gut gearbeitet", sagt Simone Mantero, Geschäftsführer von Knorr Bremse Italien. "Wir sind seit 35 Jahren hier. Der Bahncluster funktioniert bestens und vereint zahlreiche Exzellenzen".
Deutsche Produkte sind in der Toskana gefragt. Aus Deutschland importierte die Region in den ersten drei Quartalen 2020 Waren im Wert von etwa 2,1 Milliarden Euro, 3,5 Prozent mehr als im Vorjahr, während die Konkurrenten einbüßten. Hinter den USA ist Deutschland das zweitwichtigste Lieferland. Zu den wichtigsten Gütern gehören hier Pharmazeutika, Maschinen, Kfz, Nichteisenmetalle, Kunststoffe, Erze und Elektrotechnik.
Als Nadelöhr der Toskana gilt immer noch die Hafeninfrastruktur, besonders in Livorno, für das viele Unternehmen einen zügigen Ausbau fordern. Gleiches gilt für die Häfen von in Carrara und Piombino.
Internationale Firmen setzen angesichts des Trends zu nachhaltiger, digitaler und gesundheitsorientierter Wirtschaft auf die Innovationskraft der Toskana. Motor sind neben den vielen kleinen hochspezialisierten Firmen auch die renommierten Hochschulen und Forschungsinstitute mit ihren Spin-Offs. So gilt die Hochschule Sant'Anna in Pisa als Weltspitze in der Biorobotikentwicklung. Auch der nationale Forschungsverbund Consiglio Nazionale delle Ricerche ist mit zahlreichen spezialisierten Dependencen vertreten.
Viele Konzerne steuern wichtige Unternehmensbereiche global von der Toskana aus. Die Hamburger Körber-Gruppe, unter anderem Weltmarktführer für Hygienepapiermaschinen, verlegte ihr globales Kompetenzzentrum für den Geschäftsbereich "Tissue" nach Lucca und richtete dort außerdem ein offenes Entwicklungslabor für Industrie 4.0-Anwendungen ein, in dem das Unternehmen mit Lieferanten, Start-ups und Forschungsinstituten kooperiert.
Die GE-Tochter Baker Hughes wählte Florenz als ihr globales Entscheidungszentrum für den Unternehmensbereich Turbomaschinen und Prozesslösungen für die Gasindustrie. In Massa und Florenz montiert Baker Hugus Großmodule für Industrieanlagen. Zudem führte das Unternehmen mit dem Gasnetzbetreiber Snam im Jahr 2020 weltweit den ersten Betrieb von Gasturbinen mit einer 10-prozentigen Wasserstoffbeimischung durch.
Der Biopharmaproduzent Takeda beliefet von Pisa aus den Weltmarkt mit Plasmaderivaten und will rund 16 Millionen Euro in eine neue Produktionslinie für Albumin in Pisa investieren. GlaxoSmithKline (GSK) forscht in Siena an monoklonalen Antikörpern für Covid-19-Impfstoffe und eröffnet ein neues Smart Lab. Eli Lilly investierte in Sesto Fiorentino rund 560 Millionen Euro, unter anderem in die Insulinproduktion. Der britische Ineos-Konzern will seine Forschung im Bereich Olefine und Polymere am Standort Rosignano ausbauen. Die belgische Solvay-Gruppe will ihre Produktion von Chemikalien für die Elektronik-, Pharmazie und Tiernahrungsindustrie ausweiten.
Der französische Kering-Konzern (Gucci, Saint Laurent, Balenciaga) will 2021 ein Labor für die technische und chemische Materialanalyse in Prato eröffnen und zudem am Standort Scandicci im Großraum Florenz stark wachsen.
Die lange als industrielles Sorgenkind angesehene Stahlverarbeitungsindustrie in Piombino erhält durch das Engagement der indischen Konzerne JSW und Liberty neue Dynamik. Hinter den Kulissen wird diskutiert, wie Piombino am europäischen Recovery Fonds teilhaben kann.
Piombino ist Italiens zweitwichtigster Stahlverarbeitungsstandort. Ein Fokus der künftigen Entwicklung ist das Thema Nachhaltigkeit. Liberty Steel will hier ab dem Jahr 2030 CO2-frei galvanisierten vorlackierten Flachstahl für Haushaltsgeräte sowie für die Bau- und Kfz-Industrie produzieren. Das JSW-Werk ist Italiens einzige Produktionsstätte für Langstahl für Bahnschienen. Die argentinische Techint-Gruppe produziert in Piombino Wasser- und Gasröhren.
Laut Pressemeldungen will der deutsche Automobillogistiker Ars Altmann in Piombino aktiv werden. Mitte 2020 sicherte sich das Joint Venture Manta, das Art Altmann mit der Logistiktochter der Onorato-Reederei (Moby, Tirrenia) gründete, Flächen im Hafenbezirk von Piombino für den globalen Kfz- Import und Export. In den kommenden 3 bis 5 Jahren sollen dort rund 7 Millionen Euro investiert werden, unter anderem in Fotovoltaik-Anlagen.
In einem englischsprachigen E-Book der Investitionsförderagentur Invest in Tuscany stellen 16 internationale Firmen ihre Aktivitäten und Erfahrungen in der Toskana dar.