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Mexiko ist in der Region bislang am stärksten in internationale Lieferketten integriert. Auch Chile, Costa Rica und Kolumbien bieten gute Bedingungen für Nearshoring.
05.10.2020
Von Edwin Schuh | Bogotá
Covid-19 machte die Anfälligkeiten in den globalen Lieferketten deutlich. Quarantänemaßnahmen zur Eindämmung des Virus in verschiedenen Ländern führten weltweit zu Produktionsausfällen. Fehlte nur ein einziges - oftmals importiertes - Teil, konnte die Ware nicht fertiggestellt werden, selbst wenn die eigenen Fließbänder wieder liefen. Hinzu kamen Logistikprobleme aufgrund von verschärfter Grenzkontrollen und geänderter Ein- und Ausfuhrbedingungen. Als mögliche Folge der Pandemie wird daher mit einer Diversifizierung der Lieferketten bei den Unternehmen gerechnet, um die Abhängigkeit von einem bestimmten Land oder einer Region zu reduzieren. Zudem könnten Produzenten verstärkt auf Lieferanten setzen, die in Fabriknähe fertigen. Wie wirkt sich dieser Trend auf Lateinamerika aus und wird die Region davon profitieren?
Der Economist Intelligence Unit (EIU) ging dieser Frage in einer kürzlich veröffentlichten Studie nach. Anhand verschiedener Indikatoren fanden die Analysten heraus, dass Chile, Costa Rica, Mexiko und Kolumbien am ehesten mit asiatischen Ländern bei der Integration in internationale Lieferketten konkurrieren können. Diese Länder sind in der Region technologisch am weitesten fortgeschritten und haben relativ offene Märkte. So haben alle vier Staaten Handelsabkommen mit den USA und der Europäischen Union abgeschlossen.
Auch die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen gelten in diesen vier Ländern als gut. Laut EIU-Studie sticht Chile mit einer stabilen Rechtssicherheit und attraktiven Steuern hervor. Bei der geografischen Nähe zu den USA punkten hingegen Mexiko, Costa Rica und Kolumbien. Die Lohnkosten in Lateinamerika (mit Ausnahme Brasiliens) sind inzwischen mit Ostasien vergleichbar, wo die Gehälter steigen. So lagen die Lohnkosten im verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2019 in Mexiko bei 4,66 US-Dollar pro Stunde (US$). Das ist zwar mehr als in Vietnam (2,91 US$) aber weniger als in China (5,78 US$).
Effektivität der Politik | Bedingungen für ausländische Direktinvestitionen | Handelshemmnisse | Arbeitsmarkt | Infrastruktur | Technologische Reife | Durchschnittspunktzahl | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Chile | 8,4 | 9,6 | 8,7 | 6,7 | 7,3 | 6,9 | 7,9 |
Costa Rica | 6,1 | 7,8 | 8,7 | 7,3 | 4,8 | 6,3 | 6,8 |
Mexiko | 4,2 | 7,8 | 9,6 | 6,1 | 5,8 | 5,5 | 6,5 |
Kolumbien | 5,2 | 7,3 | 7,3 | 6,3 | 5,3 | 5,8 | 6,2 |
Vietnam | 4,9 | 6,9 | 7,8 | 6,6 | 4,3 | 6,1 | 6,1 |
Brasilien | 4,5 | 7,8 | 7,3 | 5,5 | 5,0 | 6,1 | 6,0 |
Peru | 4,5 | 7,8 | 8,2 | 5,4 | 5,3 | 4,1 | 5,9 |
Argentinien | 4,5 | 5,1 | 4,2 | 5,6 | 5,5 | 5,8 | 5,1 |
Ecuador | 4,2 | 6,0 | 6,9 | 5,1 | 5,5 | 3,3 | 5,1 |
Innerhalb der Region haben Chile und Costa Rica die am besten ausgebildeten Arbeitskräfte. Ferner verfügt Kolumbien über ein gutes Fachkräfteangebot: "Wir hatten keine Schwierigkeiten, hochqualifiziertes Personal für unsere 2019 in Bogotá eröffnete Produktionsstätte zu finden. Die Mitarbeiter sind super motiviert", sagt Nikolai Engel, Managing Director der B. Braun Avitum AG. B. Braun fertigt in Kolumbien Operationsnähte, die zu 90 Prozent in den Export gehen. Ein weiteres deutsches Medizintechnikunternehmen ist ebenfalls in Kolumbiens Hauptstadt angesiedelt: Fresenius weihte 2016 seine modernste Fabrik für Dialysemittel in ganz Lateinamerika ein. Auch Fresenius exportiert einen Großteil der Produktion, neben Lateinamerika nach Asien und zum Mutterhaus in Deutschland. Insgesamt kann Lateinamerika beim Ausbildungsniveau aber nicht mit Ostasien mithalten, wie die PISA-Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegen.
Als Achillesferse Lateinamerikas gilt vor allem die schlechte Verkehrsinfrastruktur. Das macht sich an den exorbitant hohen Transportkosten bemerkbar. In Kolumbien kostet beispielsweise der Transport eines Containers von Bogotá an die Küstenstadt Cartagena mehr als die Fahrt von Cartagena nach Hamburg oder New York City.
Auch die politische Instabilität und die Sicherheitslage sind wesentliche Wettbewerbsnachteile der Region. In Chile und Kolumbien fanden 2019 weitreichende soziale Proteste statt und Kolumbien hat derzeit mit einem Wiederaufflammen der Gewalt zu kämpfen - wenn auch nur in ländlichen Regionen. In Mexiko entwickelt sich die Wirtschaftspolitik des Staatspräsidenten Andrés Manuel López Obrador zunehmend zu einen Risikofaktor. Er sagte bereits mehrere Milliardeninvestitionen nach Volksabstimmungen ab, wie etwa den neuen internationalen Flughafen in Mexiko-Stadt.
Bislang wurde Lateinamerika bei den internationalen Lieferketten meist außen vor gelassen, da die Region oft nicht wettbewerbsfähig gegenüber Asien war. Länder wie Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Peru exportieren zu 70 bis 80 Prozent Rohstoffe und Agrarprodukte und stehen damit in den Lieferketten meist nur auf der untersten Stufe.
Chile, Costa Rica und vor allem Mexiko haben dagegen einen höheren Exportanteil an verarbeiteten Produkten. Dazu zählen etwa Maschinen, Autos, Elektronikartikel und Pharmazeutika. Mexiko weist sogar einen fast so hohen Anteil wie Deutschland (90,5 Prozent) auf. Rund 80 Prozent der mexikanischen Ausfuhren gehen heute in die USA. Die Bauteile und Vorprodukte stammen häufig aus Drittländern wie China, Südkorea, Japan oder Malaysia. In Mexiko werden sie dann zu Endprodukten verarbeitet.
Für Mexiko brachte das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) von 1994 den Wandel. Seitdem konnte das Land seinen Industriesektor ausbauen und den Anteil an den Importen der USA von 6,8 Prozent (1993) auf 14,1 Prozent im Jahr 2019 erhöhen.
Das NAFTA-Nachfolgeabkommen USMCA (US-Mexico-Canada Agreement) trat am 1. Juli 2020 in Kraft und soll Reshoring fördern: Einer der wichtigsten Bestandteile von USMCA ist die Erhöhung der Local-Content-Klausel im Automobilsektor innerhalb der NAFTA-Region von 62,5 Prozent auf 75 Prozent. Während der siebenjährigen Übergangsfrist muss daher entweder die mexikanische Zulieferindustrie ausgebaut werden, um ihre Importe von Vorprodukten aus Asien zu reduzieren. Oder der mexikanische Kfz-Sektor muss stärker auf Zulieferer aus den USA und Kanada zurückgreifen.