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Durch Corona rückt Marokko als Nearshoring-Standort in den Fokus. Kurzfristig will das Königreich eigene Exportbranchen stärker schützen.
14.07.2020
Von Michael Sauermost | Marokko
Marokko ist stark in den Welthandel eingebunden. Mit Hilfe zahlreicher Handelsabkommen wurde ein reger Austausch mit Partnerländern aufgebaut. Durch ausländische Direktinvestitionen hat sich eine Exportindustrie entwickelt, die allerdings noch weiter ausgebaut werden kann. Europa kommt dabei ein besonderer Stellenwert zuteil. Die geographisch strategische Lage als Bindeglied zwischen Europa und Afrika soll in Zukunft stärker genutzt werden. Außerdem lebt das Königreich vom Tourismusgeschäft und profitiert von den Devisen im Ausland lebender Landsleute. Marokko ist bei seiner exportorientierten Fertigung weiterhin stark auf den Import von Kapitalgütern, Rohmaterialien sowie Vorerzeugnissen angewiesen.
Durch die Coronakrise steht allerdings allgemein das Gerüst der Weltwirtschaft auf dem Prüfstand. Wie sehr Marokko international vernetzt und somit auch abhängig ist, hat die Pandemie gezeigt. Allerdings, so hoffen Wirtschaftsvertreter, könnten durch das neue, globale Post-Corona-Szenario neue Chancen entstehen - gerade durch die engen Handelsbeziehungen mit europäischen Ländern. Diese begeben sich nach dem Auseinanderbrechen längerer Lieferketten auf die Suche nach zuverlässigen Partnern.
Marokko drängt sich dabei als praktikable Option eines Nearshoring-Standortes auf. Zwar ist die Konkurrenz von Schwellenländern groß, doch durch die bestehenden Freihandelsabkommen und die erzielten Erfolge beim Aufbau von Industriesegmenten muss sich das Königreich nicht verstecken. Zumindest im Kfz-Sektor und in der Luftfahrtindustrie konnten beeindruckende Fortschritte erreicht werden, die richtungsweisend für weitere Branchen sein könnten. Als Sektor mit Wachstumspotenzial gilt beispielsweise die Nahrungsmittelindustrie.
Auch der Unternehmensverband Confédération Générale des Entreprises du Maroc (CGEM) sieht die Umschichtung der Wertschöpfungsketten als große Chance für die lokale Industrie. Marokko könne dazu beitragen, Europas Abhängigkeit von Asien zu reduzieren.
Wenn marokkanische Unternehmen im Zuge der zukünftigen Risikominimierung ihre Beschaffungspolitik neu ausrichten, könnten sich auch für deutsche Lieferanten bessere Geschäftschancen ergeben. Bislang ziehen sie oft gegenüber der traditionell stark am Markt vertretenen französischen und spanischen Konkurrenz den Kürzeren.
Auf der anderen Seite kommt es im Zuge der Coronapandemie zu Überlegungen, den eigenen Markt vor externen Einflüssen zu schützen, beziehungsweise restriktiv in die freien Marktmechanismen einzugreifen. Dabei geht es nicht nur um die Erhaltung der Ernährungssicherheit oder der Gesundheitsversorgung, Auch zur Unterstützung des Wiederaufbaus der eigenen Wirtschaft nach dem Lockdown werden nationale Interessen in Form von nichttarifären Handelshemmnissen wieder zum Thema.
Verschiedene Wirtschaftsexperten halten den Schutz des Binnenmarktes und der lokalen Industrie zumindest für eine Übergangszeit für erforderlich. Um wirtschaftlichen Coronarisiken einzudämmen, sollte die Regierung beispielsweise auf Schutzklauseln zurückgreifen, die im Rahmen bestehender Freihandelsabkommen verfügbar seien. In ihrem, Mitte Mai 2020 erstellten Wiederherstellungsplan für die Wirtschaft (Plan de Relance Économique) empfehlen Experten des CGEM in Kooperation mit den Fachverbänden Schutzmaßnahmen für einzelne Branchen. Neben erleichterten Kreditmodalitäten, steuerlichen und weiteren monetären Zugeständnissen geht es dabei auch um Initiativen, lokale Erzeugnisse intensiver zu vermarkten.
Wenngleich der Fokus auf der wirtschaftlichen Wiederbelebung und generell dem weiteren Aufbau der lokalen Fertigung liegt, wird die Öffnung nach außen weiter eine tragende Rolle spielen. Über Freihandelsabkommen will sich das Königreich international noch besser positionieren. Von besonderer strategischer Bedeutung sind das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) sowie das Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten.
In Zukunft will sich Marokko auch stärker in Richtung Afrika orientieren und die strategische geographische Lage zwischen Europa und Afrika nutzen. Beispielsweise hat Marokko im Februar 2017 einen formellen Antrag auf Mitgliedschaft in der westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS gestellt. Auch zählt Marokko zu den 44 afrikanischen Ländern, die das im Mai 2019 formal in Kraft getretene Abkommen zur Schaffung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) unterzeichneten.
Partnerland/Abkommen | Inkrafttreten |
---|---|
Tunesien | 16.03.99 |
Ägypten | 29.04.99 |
Jordanien | 21.10.99 |
EFTA (European Free Trade Association) | 01.12.99 |
VAE (Vereinigte Arabische Emirate) | 09.07.03 |
Agadir Abkommen | 25.02.04 |
GAFTA (Greater Arab Free Trade Area) | 01.01.05 |
Türkei | 01.01.06 |
USA (Vereinigte Staaten von Amerika) | 01.01.06 |
Assoziierungsabkommen mit der EU (Europäische Union) | 01. 03.12 |
Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA ) | 30.05.19 |
Ausführliche Informationen sind in der Publikation "Zoll und Einfuhr kompakt - Marokko abrufbar.
Europa blieb 2019 der Statistik des Office des Changes zufolge mit einem Volumen von 52,9 Milliarden US-Dollar (US$) und einem Anteil von 65,8 Prozent am gesamten Warenaustausch mit Abstand beliebteste Handelsregion. Marokko wies gegenüber Europa ein Handelsdefizit in Höhe von 11,2 Milliarden US$ auf. Das waren 852 Millionen US$ weniger als im Jahr 2018. Der Handel mit Asien machte 2019 einen Anteil von 17 Prozent am Gesamthandel aus. Das waren 0,8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Die Vereinigten Staaten kamen auf rund 6 Prozent; der Handel innerhalb Afrikas machte 5,1 Prozent des Gesamthandels aus.
Die im Rahmen von Freihandelsabkommen getätigten Importe Marokkos blieben 2019 im Vergleich zum Vorjahr in etwa unverändert. Sie gingen auf Dirham-Basis marginal auf umgerechnet 15,8 Milliarden US$ zurück. Wesentlicher Bestandteil davon sind die Einfuhren im Rahmen des Abkommens mit der EU. Sie erreichten 2019 ein Volumen von 11,4 Milliarden US$. Das waren 72,4 Prozent sämtlicher im Rahmen von Abkommen getätigter Einfuhren. Die größten Anteile daran hielten Spanien (24,5), Frankreich (19,4) sowie Deutschland mit 12,1 Prozent. Über das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten wurden Einfuhren im Wert von 1,5 Milliarden US$ getätigt. Das entsprach einem Anteil von rund 40 Prozent der entsprechenden Gesamtimporte.