Mehr zu:
Mexiko / Argentinien / Brasilien / LateinamerikaAgroindustrie / Digitale Wirtschaft
Branchen
Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?
Branchen | Lateinamerika | Landwirtschaft
Der Agrarsektor gilt als traditioneller Wirtschaftszweig der Region. Digitale Technologien spielen eine immer größere Rolle. Wie deutsche Unternehmen am Boom partizipieren können.
08.01.2021
Von Judith Illerhaus | Bonn
Als weltweit größter Exporteur landwirtschaftlicher Produkte genießt Lateinamerika schon länger die Bezeichnung als globale Speisekammer. Die Hauptexportprodukte reichen von Soja über tierische Erzeugnisse, Zucker und Kaffee bis hin zu Früchten und Gemüse. Brasilien ist größter Exporteur der Region mit einem Volumen von 79,3 Milliarden US-Dollar (US$) in 2017, so ein gemeinsamer Bericht der OECD und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Darauf folgen Argentinien mit Agrarexporten im Wert von 35 Milliarden US$, Mexiko mit 32,5 Milliarden US$ und Chile mit 17 Milliarden US$. Der regionale Agrarhandelsüberschuss betrug im selben Jahr rund 104,3 Milliarden US$.
Die FAO betont die wichtige Rolle des Sektors als Existenzsicherung: Im Jahr 2020 waren laut Weltbank regional betrachtet 14,1 Prozent aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Vor allem in zentralamerikanischen Ländern, aber auch in Bolivien, Ecuador und Peru waren es sogar mehr als 25 Prozent. Bei Betrachtung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verdeutlicht sich der Stellenwert der Branche: Durchschnittlich betrug der Anteil des Landwirtschaftssektors in Lateinamerika und der Karibik am BIP 4,9 Prozent.
Obwohl die Landwirtschaft in vielen Ländern ein Anker der Stabilität während der Coronakrise war und ist, hat die Pandemie für den Sektor Konsequenzen. Eine durch die Inter-American Development Bank (IDB) im Frühjahr durchgeführte Studie legt Absatzprobleme offen. Gründe dafür sind unterbrochene Lieferketten, eine geringere Nachfrage und niedrigere Absatzpreise. Die IDB rät, risikoavers und vorausschauend zu agieren, um die globale Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten aus Lateinamerika sicherzustellen.
Bild vergrößernLateinamerika will seine Landwirtschaft mithilfe digitaler Lösungen effizienter machen - sowohl ökonomisch als auch ökologisch. Die in diesem Zuge meist genannten Schlagwörter lauten Agrobusiness 4.0, Smart Farming oder auch Precision Farming.
Brasilien gilt vor allem als Vorreiter bei Agrobusiness 4.0 und führt die Branche als Teil der nationalen Strategie für das Internet der Dinge auf. Auch zwei große deutsche Namen sind ganze vorne am Markt dabei: Erst kürzlich gründeten BASF und Bosch ein Joint Venture mit Sitz in Curitiba. Unter dem Namen Bosch BASF Smart Farming GmbH wollen die Konzerne künftig gemeinsam intelligente Systeme beim Aussäen und Düngen einsetzen. Weitere Länder sollen folgen.
Auch Drohnen spielen beim Thema Smart Farming eine wichtige Rolle; sie unterstützen die Landwirte zum Beispiel bei der Überwachung ihrer Flächen oder bei der Nützlingsausbringung. Die Bedeutung von Drohnen wird weiter zunehmen, sind sich Experten sicher. Sie sagen dem Marktwert eine jährliche Wachstumsrate von rund 23 Prozent voraus, von 170 Millionen US$ im Jahr 2018 auf etwa 600 Millionen US$ in 2023.
Im Bereich des Precision Farming, also der zielgerichteten Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, hat derzeit Argentinien die Nase vorn. Die Branche gilt als besonders aussichtsreich: Als die fünf wachstumsstärksten Märkte der Region gelten Argentinien, Brasilien, Mexiko, Peru und Chile. Insgesamt wird der lateinamerikanische Marktwert dieser Branche auf 1,37 Milliarden US$ in 2023 geschätzt.
Bild vergrößernDer digitale Wandel in Lateinamerikas Agrarwirtschaft wird durch innovative Start-ups vorangetrieben. Junge Unternehmen wie Agrofy aus Argentinien oder IAgro aus Brasilien gestalten die Branche im lateinamerikanischen Raum wesentlich mit.
Hilfreich für Kooperationen sind nicht selten Gründerforen, über die sich vielversprechende Start-ups und private Investoren treffen können. Aus Deutschland sind bereits BASF, Bayer, Siemens oder Voith aktive Player am brasilianischen Markt, wenn es um neue Kooperationen im Rahmen der digitalen Transformation geht.
Aus der zentralamerikanischen Region stammen vor allem Zucker, Ananas und Orangen, die meist unverarbeitet exportiert werden. Die Nachfrage nach Verarbeitungsmaschinen ist entsprechend niedrig - am relevantesten sind für deutsche Exporteure also Unternehmen, die für die Endverbraucher vor Ort produzieren.
Laut einer 2019 erschienenen Studie von OECD und FAO belief sich der lateinamerikanische Export tropischer Früchte in den Jahren 2016 bis 2018 auf rund 15,5 Milliarden US$. Die Landwirtschaft spielt vor allem in dieser Region Lateinamerikas eine zentrale Rolle. Aber auch Kolumbien gilt als wichtiger agrarischer Handelspartner Deutschlands: insbesondere Bananen und Kaffee, aber auch exotischere Produkte wie Physalis und Avocados finden sich immer häufiger in deutschen Supermärkten. Darüber hinaus spielen für deutsche Exporteure Maschinen, Technologie und Agrarchemikalien eine Rolle im Handel mit dem Andenland.
In Brasilien führen günstige Wechselkurse, eine hohe Nachfrage und eine Rekordernte zu einer Steigerung der Einkommen in der brasilianischen Landwirtschaft um 37 Prozent. Der Verkauf der Getreideernte dürfte dem Agrarsektor in diesem Jahr etwa 66,5 Milliarden US$ einbringen, das höchste Wachstum seit 2003.
In den letzten zwanzig Jahren ist der Agrarsektor in den meisten Ländern der Region schnell gewachsen. Eine sinkende Nachfrage sowohl im In- und Ausland führe jedoch dazu, dass das Wachstum in den kommenden zehn Jahren abnehmen wird, betonen OECD und FAO. Darüber hinaus würden dringend notwendige Investitionen bislang von vielen Regierungen vernachlässigt. Wichtig wären laut FAO und OECD vor allem der Ausbau ländlicher Infrastruktur und Maßnahmen für eine nachhaltige Produktivitätssteigerung des Sektors.