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Noch im Frühjahr 2019 schickte sich Norwegen an, zum Eldorado für Windkraft zu werden. Doch die Protestwelle im Sommer veranlasste die Regierung zum Umdenken.
14.07.2020
Von Michał Woźniak | Stockholm
Nach Prognosen von Anfang 2019 sollte die jährliche Windstromproduktion in Norwegen binnen 10 Jahren um fast 150 Prozent steigen und 2030 rund 25 Terawattstunden (TWh) erreichen. Dafür sollten landbasierte Anlagen genutzt werden. Eine Karte mit Regionen, in denen vereinfachte Genehmigungsverfahren galten, war bereits erarbeitet und die entsprechenden Gesetze sollten im Sommer 2019 verabschiedet werden. Doch dann kamen Proteste - von Bürgern, Umwelt- und Branchenorganisationen sowie den indigenen Sami.
Kraftwerktyp | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 bis 2025 |
Wasserkraft bis 10 MW | 627 | 275 | 13 | - |
Wasserkraft über 10 MW | 565 | 388 | - | - |
Wasserkraft, Modernisierungen | 380 | 293 | 8 | 232 |
Windkraft | 6.324 | 2.383 | - | - |
Gesamt | 7.897 | 3.340 | 21 | 232 |
Die Regierung verwarf daraufhin die bestehenden Pläne und erarbeitete neue Regelungen. Das Ergebnis ist der Bericht Meld St. 28 (2019-2020) des Erdöl- und Energieministeriums, der die Gemüter in der Gesellschaft beruhigen soll. Das Konzessionsverfahren wird übersichtlicher, die Dauer des Prozesses absehbarer und sein Verlauf transparenter. Für Projektentwickler bedeuten die Änderungen aber mehr Stakeholder, höhere Anforderungen an die Dokumentationspflicht und voraussichtlich geringere Realisierungschancen. „Wir müssen uns um unsere Ökosysteme kümmern, sowohl im Sinne des Klimas, als auch der biologischen Vielfalt. Deswegen ändern und verschärfen wir jetzt die Genehmigungsprozesse für Onshore-Windenergie mit stärkerem Fokus auf Natur, Landschaft, Leben im Freien und Kultur“, erklärte Klima- und Umweltministerin Sveinung Rotevatn.
Die norwegische Regierung will die Beurteilung für Onshore-Windprojekte regional bündeln. Die Behörde für Wasserressourcen und Energie NVE soll verbindliche Fristen für einzelne Phasen des Konzessionsprozesses festlegen, damit mehrere Projekte zusammenhängend bewertet werden können. Investoren, die die Fristen nicht einhalten, werden ihre Projekte erst nach dem Abschluss des laufenden Bewertungsprozesses vorlegen können. Ausnahmen könnten für kleinere Anlagen oder Modernisierungen bestehender Windparks gemacht werden.
Verbindliche Fristen sind auch im Konzessionsverfahren vorgesehen. Zwischen Festlegung des Detailplans und Baubeginn sollen demnach zwei bis drei Jahre vergehen. Der Detailplan des Projektes wird binnen zwei Jahren nach der Konzessionserteilung eingereicht werden müssen.
Der Detailplan soll mehrere Alternativen bezüglich Anzahl, Leistung und Höhe der Windkraftanlagen berücksichtigen. Die Netzanschluss-Frage muss in der Frühphase des Projektes mit dem jeweiligen Infrastrukturbetreiber geklärt werden.
Die Untersuchungen zum Umwelteinfluss eines Projektes werden in Zukunft umfangreicher. Sie sollen die Bauphase, den Betrieb und den Rückbau umfassen. Zudem müssen beispielsweise Emissionen durch Baumaschinen und Verkehr sowie aufgrund der Änderung der Flächennutzung kalkuliert werden.
Für die Vorhaben soll ferner eine umfangreichere sozioökonomische Kosten-Gewinn-Rechnung erstellt werden. Neben der Umweltuntersuchung, schließt das beispielsweise auch die Erforschung der Einflüsse auf Nachbarn, sowohl menschlicher, als auch unternehmerischer Natur, mit ein.
Um den Bearbeitungsaufwand zu senken, können landbasierte Windprojekte in Zukunft bei begründeten Zweifeln oder Einwänden sofort abgelehnt werden - ohne die Konzessionsprozedur zu durchlaufen.
Behörden und das Sami Parlament erhalten mehr Mitspracherecht im Genehmigungsprozess. Das gilt auch für andere Interessengruppen, die zudem in allen Projektphasen auf Kosten des Projektstellers besser informiert werden müssen - über Ankündigung in lokalen Medien sowie sogenannte Nachbarn-Benachrichtigungen.
Heute | Änderungen | |
Rollenverteilung | ||
Gemeinde | Anhörung mit Einspruchs- und Klagerecht | Früher Kontakt zum Projektentwickler; Frühe Benachrichtigung der NVE; Konsultationen mit der NVE in der Benachrichtigungs- und Antragsphase. |
Region | Anhörung mit Einspruchs- und Klagerecht | Benachrichtigung der NVE über den Investitionsprozess, einschließlich Fristen und öffentlicher Information; Konsultationen mit der NVE in der Benachrichtigungs- und Antragsphase. |
lokale Gesellschaft | Anhörung | Umfangreichere Informationen; Aktives Engagement; Mehr Informationen für Nachbarn; Stärkere Einbeziehung lokaler Interessensorganisationen. |
Governeur der Region | Anhörung mit Einspruchs- und Klagerecht | Beratung der NVE zu Folgen; Follow-up der Folgenuntersuchung. |
Rentierhalter | Anhörung und Beratung | Aktive Beteiligung in den Frühphasen; Beratung zu Folgen; Teilnahme am gesamten Prozess. |
Andere Behörden | Anhörung mit Einspruchs- und Klagerecht | Miterstellung der Anforderungen für die Folgenuntersuchung; Systematischer Dialog zwischen Behörden; Erarbeitung der Wissensbasis; Mitgestaltung des neuen Leitfadens für das Konzessionsverfahren. |
Konzessionsverfahren | ||
Geografischer Geltungsbereich | Überwiegend Projekt-Einzelbehandlung | Gesamtbehandlung auf Gemeinde- oder Regionalebene. |
Überprüfung | Keine Möglichkeit der Ablehnung im frühen Stadium | Frühzeitige Ablehnung möglich. |
Folgenuntersuchung | Verbesserung der Untersuchungen | Aktualisierte Anforderungen für die Untersuchung; Einbezug direkter Treibhausgasemissionen. |
Sami Interessen | Konsultationen mit Rentierhaltern und dem Sami Parlament | Stärkere Einbeziehung der Rentierhalter; Mitspracherecht bei Folgenuntersuchung; Bessere Koordination von Einwänden und Konsultationen; Prioritäre Behandlung von Minderungs- und Ausgleichsmaßnahmen. |
Entscheidungsgrundlage | Kriterien können verhandelt werden. | Stärkung der sozioökonomischer Gewinnrechnung; Verbesserte Systematisierung und Transparenz der Entscheidungswaagen; Hervorheben der Auswirkungen auf Umwelt, Einwohner und Nachbarn samt Symbioseeffekten; Festlegung von Kriterien für Vor- und Nachuntersuchungen. |
Technische Änderungen | Große Flexibilität | Stärkere Kopplung von Lizenz und Detailplan; Änderungen nur im beantragten Rahmen möglich. |
Netz | Beantragung des Anschlusses in späten Projektphasen | Einbeziehung der Anschlussmöglichkeiten in frühen Projektphasen. |
Zeitrahmen | Langer Aufschub der Inbetriebnahme möglich | Absehbarer Zeitrahmen mit festen Fristen. |
Nach der Konzessionserteilung | ||
Aufsicht | Große Flexibilität und Wissensrahmen für die Aufsicht | Klare Bedingungen als Grundlage für bessere Kontrolle; Stärkung der Aufsicht in der Bau- und Betriebsphase. |
Rückbau | Keine Anleitung | Klare Regeln für Rückbau; vorgezogene Rückstellung der Rückbaukosten wird geprüft. |
Die Verschärfung der Kriterien für Windenergie an Land heißt nicht, dass Norwegen sich von dieser Quelle abwenden will. Vor allem wegen der geplanten, breitangelegten Elektrifizierung des Verkehrs und der Industrie soll der Stromverbrauch laut NVE-Prognosen innerhalb der nächsten 20 Jahre von derzeit etwa 135 TWh auf knapp 160 TWh jährlich steigen. Zudem baut das Land seine Überseestromverbindungen aus und hofft zum wichtigen Lieferanten grüner Energie zu werden.
„Die Wasserkraft wird weiterhin die Grundlage unserer Stromversorgung bilden. Das Potenzial für ihren Ausbau ohne größere Eingriffe in die Natur ist aber begrenzt. Deswegen hat Windenergie in den kommenden Jahren das größte Ausbaupotenzial und weist die niedrigsten Investitionskosten auf“, erklärt die Regierung in einer Pressemeldung.
Neue Kapazitäten sollen vor der windreichen Küste entstehen. Allerdings fällt der Meeresgrund steil ab, was die Installation traditioneller Anlagen, wenn überhaupt möglich, teuer macht. Deswegen wird mit Hochdruck an schwimmenden Anlagen geforscht. Im Rahmen ihres Konjunkturpakets zur Minderung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise, will die Regierung für solche Lösungen mehr Mittel bereitstellen.
Zudem wurden Mitte Juni 2020 zwei Meeresgebiete im Süden des Landes (Utsira Nord und Sørlige Nordsjø II) für die Windkrafterzeugung freigegeben. "Zum ersten Mal wird es möglich sein, eine Lizenz für ein Großprojekt für Offshore-Windkraft im norwegischen Schelf zu beantragen", kündigte Öl- und Energieministerin Tina Bru an. Nach ihrer Auskunft könnten dort Kapazitäten von 4.500 Megawatt (MW) entstehen. Aber: "Gleichzeitig schränken wir die Aktivität aus Rücksicht auf andere Geschäftstätigkeiten und die Umwelt erheblich ein", ergänzte sie.
Eine Karte der möglichen Standorte für Offshore-Wind in Norwegen zeigt der NVE im Internet.